Moloch Unsterblich. Patricia Weiss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Weiss
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592587
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Akt von beklemmender Schönheit.

      Aber es musste sorgsam aufeinander abgestimmt sein. Wie eine gut inszenierte Oper. Der Zeitraum, bis die Reaktion eingesetzt hatte, war länger gewesen als beabsichtigt. Er schätzte den Koloss auf gute 130 Kilo. Wenn er es noch mal mit so einem Kaliber zu tun hatte, würde er die Dosierung hochsetzen. Dafür war der Todeskampf unerwartet kürzer verlaufen.

      Enttäuschend kurz.

      Fünf Minuten zweiundvierzig zwischen den ersten Anzeichen und dem letzten Atemzug. Herzschwäche, Bluthochdruck und Adipositas hatten ihn bei seinem Vorhaben unterstützt. Allerdings hatte er das Stück mehrfach von vorne spielen müssen. Ärgerlich. Vielleicht musste er es auswechseln. Etwas von Wagner nehmen. Oder Vivaldi. Aus den Vier Jahreszeiten. Das gäbe dem Akt des Tötens eine ganz neue Interpretation, eine charmante Leichtigkeit, Beschwingtheit. Aber das würde viel Arbeit bedeuten. Und er wollte nicht mehr warten. Seine Zeit war gekommen.

      Jetzt.

      Das Objekt hatte natürlich versucht, Hilfe zu alarmieren. Hatte sich zuerst an ihn gewandt. Flehend die Hände in seine Richtung gestreckt. Doch er hatte ihn nur unbewegt angesehen. Vielleicht hatte auch der Hauch eines Lächelns um seine Mundwinkel gespielt und ihn verraten. Sicher war er sich da nicht. Zu lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet, ihn immer wieder im Kopf durchgespielt. Möglich, dass er für einen kurzen Moment die Kontrolle über seine Gesichtszüge verloren hatte. Dann war das Dämmern der Erkenntnis auf dem Gesicht des Objekts sichtbar geworden. Dass es zu spät war. Dass er ihn nicht retten würde, ja, dass er sogar der Verursacher der Notlage war.

      Ein Verräter.

      Eine Natter, die das Objekt an seinem Busen genährt hatte.

      Reue traute er ihm nicht zu. Selbstgerecht und gnadenlos war er gewesen. Sadistisch und brutal. Hatte sich gesonnt in der Gewissheit der Absolution von ganz oben. Von ganz, ganz oben. Eigentlich hätte er schon damals seinen Glauben verlieren müssen. Als er noch klein, hilflos und dumm war und das Objekt ihm gezeigt hatte, dass die Hölle keine abstrakte Vorstellung vom Jenseits war, sondern im Diesseits äußerst real existierte.

      Erschaffen von Teufeln, wie das Objekt einer war.

      Und von denen es so viele gab.

      Doch er hatte weiter fest geglaubt, gebetet, um Besserung gefleht, um Erleuchtung. Damit er erlöst würde aus dem Martyrium. Doch nichts hatte sich geändert. Heute wusste er, dass es dort oben niemanden gab, der zuhörte und half. Dass er sich nur selbst befreien und retten konnte. Es stimmte, das Objekt hatte ihn an seinem Busen genährt. Oder streng genommen an einem anderen Körperteil, weiter unten. Aber mit Gift. Und hatte ihn dadurch zur Natter gemacht, zu einem Taipan, der giftigsten Schlange der Welt.

      Und jetzt war er auf der Jagd.

      Das Objekt hatte versucht, zu fliehen. Doch damit hatte er gerechnet und ihn mit einer Jacke, die er um ihn geworfen und hinter der Lehne zusammengehalten hatte, auf dem Stuhl gehalten. Sicher wäre Festhalten oder Fesseln leichter gewesen, aber das hätte Verletzungen hinterlassen, Hämatome, die einen Leichenbeschauer stutzig machen konnten.

      Er blickte auf die Uhr, wie er es den Abend über schon hundert Mal gemacht hatte. Zeit aufzuräumen und die Spuren zu verwischen. Oder die Brücken hinter sich abzubrechen, wie Sinzu sagte. Er kontrollierte den Sitz der Einmalhandschuhe und arbeitete seine Liste ab. Das Gedeck spülen, das er benutzt hatte, und zurück in den Schrank räumen. Die Fingerabdrücke von all den Stellen wegputzen, die er berührt hatte, als er keine Handschuhe getragen hatte, um das Objekt nicht misstrauisch zu machen. Mit dem Kleberoller über den Teppich fahren, um Haare oder sonstige Partikel von ihm zu entfernen. Natürlich würde er Spuren hinterlassen, aus denen man seine DNS ermitteln konnte.

      Aber dazu musste erst mal jemand bemerken, dass ein Mord stattgefunden hatte.

      2 Sonntag

      

       Panoramapark, Rüngsdorf

       Opfer im Labyrinth des Blutrausches

      Es kratzte an der Tür. Jaulen, Krallen auf dem Parkett im Flur. Erneutes Scharren an der Schlafzimmertür. Schlaftrunken richtete sich Laura Peters auf, tastete im Dunkeln nach dem Schalter der Nachttischlampe und knipste sie an.

      Der Wecker zeigte fünf Uhr.

      Seufzend sank sie zurück in die Kissen und zog sich die Decke über den Kopf. Die Nacht war ein einziger Albtraum gewesen. Wie fast jede Nacht in den letzten Wochen. Diabolische Augen hatten sie durch ein Labyrinth gejagt, aus dem es kein Entkommen gab. Sie rannte durch verschlungene Gänge, flüchtete vor dem Unvorstellbaren. Doch am Ende wartete das Skalpell auf sie. Die Klinge, die vor ihren Augen stählern aufblitzte, um dann in ihr Fleisch zu schneiden. Auf sie niederfuhr, tiefe Wunden in ihren weichen Bauch, ihre Arme und Beine riss und ihr Blut in leuchtend hellroten Tropfen durch die Luft spritzen ließ. Und die Stimme, emotionslos und seltsam hell:

       Schneiden, um zu verletzten, Stechen, um zu töten.

      Immer wieder war sie keuchend hochgefahren, hatte sich aufgesetzt, das Licht angeschaltet und die verschwitzte Stirn abgewischt. Versucht, sich zu beruhigen. Nur um im Dunkeln erneut als Opfer im Labyrinth des Blutrausches zu enden.

      Sie hatte das Gefühl, erst vor fünf Minuten Ruhe gefunden zu haben. Und sie brauchte den Schlaf dringend. Doch das Kratzen und Jaulen konnte sie nicht ausblenden.

      „Ich komme ja schon“, murmelte sie und schälte sich aus dem Bett. Barfuß tappte sie über das kalte Parkett zur Tür und öffnete sie. Vor ihr saß der betagte Dackel der Nachbarin, legte den Kopf schief und wedelte.

      „Friedi.“ Sie bückte sich und streichelte über das weiche, rotbraune Fell. „Geh wieder schlafen. Es ist noch viel zu früh.“ Doch der Hund war anderer Meinung. Schwanzwedelnd watschelte er den Flur entlang zur Wohnungstür, drehte den Kopf und sah sie an. Es war klar, was er vorschlug.

      „Oh Mann. Echt jetzt? Warte, ich ziehe mir wenigstens etwas über. Draußen ist es eisig.“ Laura verspürte wenig Lust, so früh in die Kälte hinausgejagt zu werden, aber wenn der Hund musste, wollte sie kein Risiko eingehen und hinterher Friedis Häufchen vom Teppich entfernen müssen.

      Sie zog sich die Jeans und einen Wollpullover über das Schlafshirt und stieg barfuß in die weich gefütterten Boots. Vom Haken im Flur angelte sie die Daunenjacke.

      Als der Dackel sah, dass seine Bemühungen Früchte trugen, vollführte er ein paar schaukelnde Hüpfer mit den Vorderpfoten und wedelte stärker.

      „Komm, Friedi.“ Laura beugte sich zu ihm hinunter und hielt ihm das abgewetzte Halsband entgegen. Doch der Hund zog den Kopf weg und duckte sich an ihr vorbei.

      „Jetzt mach schon“, seufzte sie und verfolgte ihn gebückt durch den Flur, bis sie ihn in eine Ecke drängen und ihm das Geschirr überziehen konnte. Sie hakte die Leine ein, schnappte sich die Schlüssel von der Kommode neben der Tür und verließ die Wohnung.

      Die Kälte traf sie wie ein Schlag.

      Ihr Körper, der noch die Bettwärme gespeichert hatte, begann unkontrolliert zu zittern. Sie schlang die Arme um sich und verkroch sich tief in der Jacke. Dem Dackel schienen die Minusgrade nichts auszumachen, die Nase dicht am Boden verfolgte er konzentriert schnuppernd eine Spur den Bürgersteig entlang. Ohne auf sie zu achten, schlug er den Weg zum Panoramapark ein und zerrte sie hinter sich her.

      Laura setzte die Kapuze auf, zog den Ärmel über die Hand, in der sie die Leine hielt, und vergrub die andere tief in der Jackentasche. Mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern lief sie dem Dackel hinterher.

      Es war stockdunkel, lediglich die Straßenlaternen tauchten den Weg in regelmäßigen Abständen in goldgelbe Lichtkegel. Die Straßen lagen ruhig da, die Häuser schliefen friedlich vor sich hin. So früh am Morgen war noch niemand unterwegs.

      Der Park, von dem aus man tagsüber einen schönen Blick auf den Rhein hatte, lag unbeleuchtet