Marionette des Teufels. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737561884
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Schulter. An Franziska gewandt fügte er hinzu: „Wir haben heute eine Aufführung, da ist das jetzt gar nicht günstig.“

      „Ja, tut mir Leid, ich mache es auch kurz.“

      Carlos nickte ernst.

      „Was war Sophia Weberknecht für ein Mensch?“

      Der Sänger kratzte sich nachdenklich am Kopf, verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Sie nahm ihren Beruf sehr ernst, hat dauernd geprobt und war auch wirklich zuverlässig. Aber im Grunde war sie kein Mensch, mit dem man gern allein in einem Raum war, Sie verstehen?“ Seine braunen Augen ruhten abwartend auf Franziska, so als habe er sie gerade gefragt, ob sie eine Nacht mit ihm verbringen wolle.

      „Warum denn nicht?“ Franziska dachte an den Anblick der jungen Frau und konnte die Aussage nicht nachvollziehen. Schon gar nicht von einem Mann wie Carlos.

      „Ich weiß nicht, sie hatte so eine unterkühlte Art, nichts Herzliches, nichts Einladendes. Sie war einfach … ja, ich glaube, sie war gern allein mit sich.“

      „Aber wie konnte sie dann auf der Bühne singen?“

      „Ich meine ja nicht, dass sie auf der Bühne so war. So war sie im echten Leben! Zum Beispiel wenn wir einfach nur rumhingen nach einer Probe oder so, und warteten, bis es weiterging. Auf der Bühne war Sophia perfekt.“

      „Hatte sie Neider?“ „Neider? Nein, ich glaube nicht. So wie sie wollte keiner sein, also ich zumindest nicht. Das Leben soll doch auch Spaß machen, oder?“

      Wieder dieser Blick und dieses Feuer in seinen Augen. Franziska fiel es zunehmend schwerer, sich zu konzentrieren.

      „War Sophia in letzter Zeit anders? Ich meine, fiel Ihnen eine Veränderung an ihr auf?“ „Schwer zu sagen. Wissen Sie, die Besetzung ist ja nicht bei jedem Stück gleich.“

      „Herr Schaffroth hat für die Rolle der …“ Franziska legte den Bleistift weg und blätterte in ihrem Notizbuch, denn sie suchte nach einem Namen, „Gilda, richtig, eine Zweitbesetzung organisiert. Hat er ihr die Gilda nicht zugetraut?“

      Carlos unterdrückte sein Grinsen. „Die Gilda! Ja, komisch nicht? Sophia spielte einen halbnackten männermordenden Vamp oder eine Schwindsüchtige, ohne mit der Wimper zu zucken, aber wenn sie ein liebes Mädchen spielen sollte, das der Vater wie ein Kleinkind beschützt, dann rastete sie aus.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Caro nome che il mio cor festi primo palpitar“, sang Carlos mit sehr sanfter Stimme. Franziska sah ihn ungläubig an. „Teurer Name, dessen Klang tief mir in die Seele drang! Verstehen Sie das?“

      Franziska verstand gar nichts, außer, dass das die schönste Darbietung gewesen war, die sie je gehört hatte.

      „Das ist wohl eine der berühmtesten Liebesarien aus Rigoletto und gleichzeitig eine Schlüsselszene. Der bucklige Narr hat seiner Tochter nie seinen Namen genannt, und als sie dann endlich auf den ersten Mann außer ihrem Vater trifft, verliebt sie sich prompt.“

      „In Sie, äh, natürlich in den Herzog von Mantua?“

      „Richtig! Aber was uns alle umgehauen hat: Als Sophia diesen Satz zum ersten Mal bei der Probe sang, ging sie auf Rigoletto los, schimpfte ihn, er solle sie in Ruhe lassen und nicht immer sagen, was sie tun solle und was nicht, sie sei alt genug, selbst zu entscheiden. Wir waren sprachlos.“

      „Wer spielt eigentlich den Rigoletto?“

      „Heinz Wagenthaler.“

      „Und hat er ihr einen Grund dafür gegeben, so zu reagieren?“ „Nein. Ich meine, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Zumindest in dem Moment nicht. Es war einfach seltsam.“ Mit einem schnellen Blick auf die Uhr über dem Besprechungstisch beendete Carlos seine Ausführungen.

      „Ja, dann“, Franziska machte sich eine Notiz, dass sie Wagenthaler später befragen musste, „haben Sie vielen Dank.“ Sie erhob sich, während es im selben Moment an die Tür klopfte und Ramona den Kopf hereinsteckte. Sie hatte Lippenstift aufgetragen und sich die Haare gebürstet. „Da ist eine Nina Breitmann für Sie.“ Franziska dankte ihr lächelnd. Wenn Besuch kam, zog sie immer das respektvollere Sie vor. „Ah, Nina! Die kann Ihnen bestimmt mehr über Sophia sagen, aber glauben Sie bitte nicht alles, was sie sagt, ja?“

      „Hätte sie denn einen Grund, jemanden anzuschwärzen?“

      „Anschwärzen? Nein, da würde sie andere vorschicken. Sie … ach, lassen Sie sich einfach überraschen.“ Er nickte Franziska zu. „Kann ich dann gehen?“

      „Ja. Nein, eine Frage hätte ich noch. Mit welchen Männern hat sich Sophia Weberknecht getroffen?“

      „Das wollten Sie ja schon im Theater wissen, aber ich weiß es wirklich nicht. Mit mir jedenfalls nicht.“

      „Und, nur der Routine halber, wo waren Sie in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober?“

      Carlos kratzte sich am Kopf, dass seine dicken Locken nur so herumwirbelten. „Das war Dienstag auf Mittwoch, richtig?“

      „Genau.“

      Dann strahlte er übers ganze Gesicht. „Da waren meine Mama und meine Schwester Theresa zu Besuch. Die kommen zweimal im Jahr und schauen nach, ob es dem kleinen Carlos gut geht.“ Er freute sich wie ein kleiner Junge. Ob des vorhandenen Alibis oder des Besuches konnte Franziska nicht heraushören.

      „Ja, dann, vielen Dank. Wenn noch was ist, melde ich mich bei Ihnen.“ Franziska brachte ihn zur Tür, wo er von Ramona mit den Worten „Ich liebe die Oper!“ in Empfang genommen und dazu genötigt wurde, ihr ein Autogramm zu geben.

      ***

      „Ich glaube, Sophia war krank.“ Nina Breitmann war noch nicht richtig zur Tür hereingekommen und hatte der Oberkommissarin nur lasch die Hand gereicht, da legte sie auch schon los. Franziska deutete mit der rechten Hand auf den eben erst frei gewordenen Stuhl und sah sie interessiert an.

      „Wie kommen Sie darauf?“ „Sie sah nicht gut aus in letzter Zeit, war immer so blass und fahrig, und dann hat sie ja auch immer diese Tabletten nehmen müssen.“

      „Tabletten? Davon haben uns Ihre Kollegen ja gar nichts erzählt.“ Franziska beugte sich ein wenig vor.

      „Wer sollte Ihnen auch davon erzählen? Carlos? Der ist ein Mann. Männern fällt so was nicht auf. Oder Katharina? Ach, die große Eschenbacher, die achtet doch nicht auf so was!“ Franziska dachte an Carlos‘ Warnung. „Aber Sie, Sie haben darauf geachtet?“

      „Ja, natürlich. Ich hab es ihr immer gleich angesehen, wenn es ihr nicht gut ging. Ich musste ihr nur in die Augen gucken. Ich hab ihr dann oft ein Glas Wasser hingehalten und gesagt: Sophia, du musst deine Tabletten nehmen.“

      „Und wie hat sie reagiert?“

      „Es gab Tage, da hat sie gar nicht hingeschaut, so als wäre ich nicht da, und an anderen Tagen hat sie mich angelächelt und gesagt: Danke, Nina, wenn ich dich nicht hätte.“

      „Aber Sie wissen nicht, um welche Krankheit es sich gehandelt hat?“

      „Nein, leider. Vielleicht war es ihr ja peinlich, immerhin war sie ein gefeierter Star. Sie bekam ja auch tolle Artikel in der Presse, und einmal war sie sogar im Fernsehen.“

      „Hatten Sie Mitleid mit ihr?“

      „Nein. Ich meine, die hatte doch alles. Warum sollte sie mir Leid tun?“ Fragend sah sie Franziska an, doch die zuckte nur mit den Schultern, also fuhr sie fort. „Wissen Sie, wie ich mir mein Studium finanziert habe? Ich habe morgens um fünf Zeitungen ausgetragen und bin abends putzen gegangen, und auch heute kann ich mir kaum was leisten und muss jeden Cent umdrehen.“ Franziska nickte, dachte an die schöne Wohnung der Weberknecht, und dass sie sich so was auch nicht leisten konnte.

      „Und wegen der Krankheit?“

      „Wenn sie ihre Tabletten genommen hatte, ging es ihr ja wieder gut.“