Nicht zuletzt werden Mütter im Laufe ihrer Schwangerschaft oftmals vor neue Fragen gestellt, die ihre eigenen mütterlichen Aufgaben, Herausforderungen und Vorstellungen davon betreffen. Man denkt zurück an die eigene Kindheit, Kinderrolle und Mutter, und das ist nicht immer beruhigend. Es können diffuse oder sogar konkrete Erinnerungen an ihre eigene Mutter und belastende Erlebnisse auftauchen, die, weil sie in Körper und Seele der Mutter gespeichert sind, Einfluss auf die Beziehung zu ihrem eigenen Kind nehmen. Auch hier ist Bewusstwerdung unerlässlich, damit die Fehler und Misshandlungen der eigenen Eltern nicht wiederholt werden.
Doch jeder macht im Laufe seines Lebens auch die unvergängliche Erfahrung von Verbundenheit und Zugehörigkeit, die – wenngleich verschüttet – darauf wartet, von uns wieder geweckt zu werden.
„Sie ist deshalb tief in jedem Menschen verankert, und sie kann daher, wann immer es einem solchen enttäuschten Menschen in seinem späteren Leben gelingt, wieder jemanden zu finden, der sich ihm zuwendet, auch wieder wachgerufen werden. Deshalb steckt in jeder Begegnung mit einem anderen Menschen die Chance, sich selbst wiederzufinden.“ (Gerald Hüther: Das Geheimnis der ersten neun Jahre)
„Deine Mutter – Dein Schicksal“?
C.G. Jung’s Zitat bewahrheitet sich immer wieder, wenn auch nicht für jede problematische Beziehung. Wir wissen, dass eine gute Mutterbeziehung uns Urvertrauen schenkt, ein Gefühl des Sich-Verlassen-Dürfens, des Zutrauens zunächst in die Mutter, also in das Leben schlechthin, und später in uns selbst. Jedes Kind - ja, jede Kreatur - hat das natürliche Bedürfnis, sich positiv von der Mutter gespiegelt zu sehen, Geborgenheit und Sicherheit zu fühlen. Diese Erfahrungen mit der Mutter prägen immer auch unsere späteren Beziehungsmuster, unser Verhalten zu Freunden und Partnern.
Zu den Grundbestandteilen einer guten Beziehung zwischen Mutter und Kind gehören also Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit, weil sie die notwendige Basis für einen positiven Lebensweg bedeuten. Körperliche und emotionale Nähe vermitteln uns die Wärme des Angekommen- und Angenommenseins, und wenn die Mutter späterhin so klug ist, uns eine gewisse Autonomie zuzugestehen und die Balance zwischen Nähe und Freiheit zu halten, gibt sie uns Mut und Selbstvertrauen mit auf den Weg.
Besonders wichtig ist mütterliche Empathie, eine ausgeprägte Einfühlsamkeit, mit der sie die Gefühle des Kindes erahnen, verstehen und spiegeln kann. Wenn wir als Kinder einfühlendes Verstehen erfahren, dann fühlen wir uns akzeptiert, geborgen und lernen, unseren Gefühlen zu vertrauen. Empathische Reaktionen der Mutter wirken in uns fort und ermöglichen uns später als Erwachsene, selber empathisch, verständnis- und liebevoll auf andere Menschen zuzugehen. Besonders für hochsensible Kinder ist solch eine Mutter ein Segen, aber trotz aller guten Vorsätze und Bemühungen kann es sein, dass sie von ihrer Veranlagung her dazu nicht in der Lage ist.
Die erste Beziehung unseres Lebens, nämlich die zu unserer Mutter, hat deshalb einen so prägenden Einfluss auf unsere Entwicklung, da sie für die Erfüllung unserer grundlegenden Bedürfnisse von größter Bedeutung ist. Durch ihr Verhalten, ihre Liebe oder fehlenden Gefühle bildet sie die emotionale Grundlage für unsere spätere Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, für Selbstakzeptanz und Vertrauen in das Leben und unsere Mitmenschen. Fühlten wir uns fürsorglich und liebevoll behandelt, vernachlässigt, traumatisiert oder wurden wir mit Eigenschaften der Mutter konfrontiert, die so gar nicht zu unseren Bedürfnissen zu passen scheinen? Wichtige Fragen, die beantwortet werden wollen.
Aus einer geglückten Mutter-Beziehung erhalten wir den Glauben an uns, die so wichtige Selbtliebe, Selbstwert und den Mut, dem Leben mit echten Gefühlen und voller Vertrauen zu begegnen und es zu genießen. Kinder brauchen Wärme und Liebe, die sich in späteren Beziehungen dann widerspiegelt. Das Gefühl, wir selbst sein zu dürfen mit allen Eigenschaften, auch den nicht so akzeptablen, und dass wir um unserer selbst willen geliebt werden, ist der Grundstein für unsere eigene Wertschätzung und Liebesfähigkeit.
Der mütterliche Schatten
Wenn über unserer Kindheit ein mütterlicher Schatten lag, fühlen wir uns später nicht angenommen und aufgehoben. Unsere Liebe ist dann mit Schmerz, Zurückweisung und Kühle verbunden, sodass wir schließlich davon überzeugt sind, kein Recht auf Zuneigung und Zuwendung zu haben. Auch wenn wir als Kind immer wieder enttäuscht wurden, statt Liebe und Freude zu erfahren, Gebote, Verbote und Pflichterfüllung im Vordergrund standen, erwarten wir auch später noch, dass sich unsere Wünsche nicht erfüllen werden, wenn wir diesen frühen Geboten entsprechen. Also ziehen wir uns zurück, weil wir den Schmerz von einst nicht mehr fühlen wollen. All diese Befürchtungen und Erwartungen belasten nicht nur unsere Gefühlsnatur, sondern beeinflussen fatal eben auch unsere Beziehungen, zumindest die auf einer intimeren Ebene.
Hätten wir ein grundlegendes Vertrauen ins Leben entwickeln können, müssten wir später nicht dieses Ur-Misstrauen mit uns herumtragen. Bei allem, was gefühlig werden könnte, gehen wir auf Distanz. Durch unsere emotionale Verkapselung, einer Schutz- und Abwehrhaltung gegen die – so meinen wir – mit Sicherheit uns überflutenden Schmerzen, entfremden wir uns von unseren Gefühlen und sind von unseren Wurzeln abgeschnitten. Wir wollen uns emotional geborgen und zugehörig fühlen, aber wir isolieren uns und weisen andere in ihrem Bemühen, uns näher zu kommen, zurück: Das, was wir selbst früher erfahren haben, geben wir später weiter, ja, strahlen es geradezu aus.
Wenn wir als Kinder einst nicht ausreichend geliebt wurden, empfinden wir später ein großes Loch, eine Leere in uns. Oft fallen wir als Erwachsene in einen dunklen Abgrund, ohne zu wissen, warum wir uns so desolat und ungeliebt fühlen, wo es doch Freunde und Freundinnen gibt, die uns soviel Zuneigung entgegen bringen. Aber es ist eben nicht die Liebe der Mutter! Wir haben nur diese eine Mutter in unserem Leben, und wenn wir deren Liebe nicht erfahren haben, fühlen wir uns betrogen und nicht liebens-wert. Denn wenn wir es wären, hätte uns unsere Mutter geliebt (vielleicht hat sie uns ja geliebt, aber wir haben es nicht gefühlt). Aus diesem ganzen Gefühlschaos entwickeln sich nicht selten Depressionen, verbunden mit starken Angstgefühlen, und hier liegt der Beginn unserer narzisstischen Verwundung, der schmerzhaften Störung unseres Selbstwertgefühls, der Liebe zu uns selbst.
Auch ruht in uns als Kind latent die Angst, dass die Mutter uns verlassen könnte, uns fehlt das für ein Kind so wichtige Vertrauen. Durch all diese gespeicherten frühkindlichen Erinnerungen werden wir in Situationen, bei denen unser Stabilitätsgefüge ins Wanken kommt, unsere Sicherheit bedroht erscheint, Angst bekommen.
Die Fähigkeit zur Empathie ist uns zwar angeboren, wenn allerdings unsere Gefühle in den ersten Lebensjahren nicht gespiegelt wurden, wenn wir die Einfühlung der Eltern nicht erfahren haben, dann bleibt uns zunächst – oder ohne entsprechendes Bemühen für immer –der Zugang zu unseren Gefühlen verschlossen und die positiven Anlagen verkümmern. Das erklärt auch, wieso empathische Menschen so selten anzutreffen sind. Besonders betroffen sind hier die hochsensiblen Kinder, die ihre schönen Anlagen der hohen Empfindsamkeit, Einfühlung und sensitiven Wahrnehmung verstecken müssen, um nicht ständig gehänselt und missverstanden zu werden.
Wie viele Anstrengungen, fast schon Verzweiflungstaten, werden unternommen, um geliebt zu werden: Geschenke, die über unser Budget hinausgehen, Leistungen, die uns an den Rand unserer Kräfte bringen, gemeinsame Reisen, die uns eigentlich ein Gräuel sind, von der Mutter aber gewünscht wurden, und vieles andere mehr. Wenn ich das und das bewältige, schenke, für sie tue, dann wird sie mich lieben. Im besten Falle erhalten wir Anerkennung oder ein bisschen Dankbarkeit, aber dieses einmalige Gefühl, dass wir selbst und nur wir und nicht unsere Leistung, unsere Geschenke gemeint sind, bleibt uns vorenthalten.
Ist die Mutter immer Schuld?
Die nachfolgenden Überlegungen sollen die eklatanten Fehl- und Misshandlungen manch einer Mutter nicht beschönigen oder entschuldigen, dennoch halte ich es