Wenn die Kindheit Schatten wirft.... Barbara Egert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Egert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783753192116
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teilweise von den Großeltern Mann, denn er hielt sich gerne in ihrer Nähe auf. Die fehlende Nähe und Geborgenheit, die für jedes Kind über-lebenswichtig ist, erzeugt eine nachhaltige Sehnsucht nach dieser unerfüllten Liebe und lässt den Menschen lange nach Ersatzmüttern suchen, wo doch eigentlich immer nur die Eine gemeint ist. Die Alma Mater, die nährende Mutter, ist ein Begriff, mit dem im deutschen Sprachraum die Universität bezeichnet wird. Frido Mann absolvierte ein Musik-, Theologie- und Psychologie-Studium und studierte schließlich mit 44 Jahren noch fast 4 Semester Medizin. Wir können diesen Studieneifer unter anderem auch auf seine verzweifelte Suche nach Zugehörigkeit und Geborgenheit zurückführen, die seine Mutter ihm verweigerte. Ersatz suchte und fand er in jener Übermutter, der Alma Mater, und im „Schoß der Kirche“, der Über-Über-Mutter sozusagen.

      Wenn man über ein Familienmitglied der Familie Mann schreibt, kommt man nicht umhin, über den Übervater, den Lichtspender, aber auch „Schattenwerfer“, Thomas Mann zu sprechen, der das Leben seiner Kinder und Kindeskinder so prägend beeinflusste. Auch Frido Mann stand lange in seinem Schatten, er verübelte ihm die „literarische Verewigung als Nepomuk Schneidewein, genannt ‚Echo’, der im ‚Doktor Faustus’ als vierjähriger Himmelsbote nach qualvoller Krankheit buchstäblich vom Teufel geholt wird.“ Frido reagierte darauf sehr empfindlich und weigerte sich in der Folge sein halbes Leben, die Werke seines Großvaters zu lesen. Das Thema Abgrenzung von der Familie und besonders von seinem Großvater nahm einen großen Raum in seinem Leben ein. Natürlich wurde auch er, wie all die anderen Nach-Manns, immer an dem großen Thomas Mann gemessen, besonders als er in späteren Jahren begann, eigene Bücher (noch dazu Romane) zu verfassen.

      Wir sehen hier, wie auch in sozial gut oder „besser“ gestellten Familien, in der man ein gewisses Niveau erwarten könnte, Kinder misshandelt und grob vernachlässigt werden.

       Die Schatteneltern von Karin

      An dem Beispiel von Karin möchte ich zeigen, wie sich eine dunkle Kindheit auswirkt, eine Kindheit, die kaum Licht und viel Schatten wirft, zumal beide Elternteile an dem Drama beteiligt sind.

      Karin wurde kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges in Norddeutschland geboren, der Vater war im Krieg, die Mutter musste sich alleine um Haus, Hof, Schlachterei und das Kind kümmern. All diesen Anforderungen war sie kaum gewachsen, was aber nicht erklärt, warum sie keine Zeit für ihr schwer an Diphtherie erkranktes Kind hatte. Sie beauftragte stattdessen eine Flüchtlingsfrau, die mit auf dem Anwesen wohnte, sich um Karin zu kümmern. Die Ärzte hatten dem Kind - bei fehlender intensiver Betreuung - nur wenige Überlebenschancen gegeben.

      Als der Vater 1948 aus russischer Gefangenschaft heimkehrte, wurde die häusliche Situation noch schlimmer. Karin lehnte den „fremden Mann“, der ihr Vater sein sollte, vehement ab, zumal er, durch den Krieg gezeichnet, sehr viel trank, jähzornig und nicht ansprechbar war. Sie bezeichnete sein Verhalten später als destruktive Machtausübung, die sich auch auf seine Ehe bezog. Die Atmosphäre im Elternhaus war kalt, nüchtern, arbeitsam, lieblos, und Karin war nie vor aggressiven Ausbrüchen des Vaters, aber auch hoch emotionalen Verhaltensweisen der Mutter sicher. Ein Jahr nach Rückkehr des Vaters wurde ihr Bruder geboren, zur großen Freude aller endlich ein „Stammhalter“. Karin zog sich weiter in sich selbst zurück, ihre Verlassenheitsgefühle verstärkten sich, aber sie wurde auch störrisch – eine Abwehrhaltung gegen all diese Verletzungen.

      Karin wurde in ihren Gefühlen nicht von der Mutter gespiegelt und verlor so sehr früh den Kontakt zu sich. Dieser traumatischen Kindheit entfloh sie in Traumwelten. Voller Entsetzen erinnert sie sich noch heute an das qualvolle Schreien der Tiere, die im Schlachthaus, das neben ihrem Kinderzimmer lag, getötet wurden. Trotz allem, oder all das kompensierend, entwickelte sie in der Schule und dem folgenden Studium sehr großen Ehrgeiz: Ein verzweifeltes Bemühen um Liebe und Anerkennung. Ihre erfolgreichen Ergebnisse in Schule und späterer (von ihr erzwungenen) Ausbildung wurden jedoch weiter herabgesetzt, und ihr wurde drastisch vor Augen gehalten, dass sie aus der Art schlage und sich lieber um den Hof kümmern solle. Das Geld für ihr Studium und weitere berufliche Fortbildung verdiente sie sich nebenbei selbst, da Lernen für die Eltern vergeudete Zeit und verlorenes Geld war.

      Karin war also der Übermacht ihrer Eltern ausgeliefert: ihrer Kindheit fehlte eigentlich alles, was für die positive Entwicklung eines Kindes Voraussetzung ist: Liebe, Geborgenheit, Nähe, Wärme, Ur-Vertrauen, Sicherheit und Zugehörigkeit: Stattdessen wurde sie lediglich versorgt…

      Die unglaubliche Wut, die sich in Karin im Laufe der vielen Jahre voller Unterdrückung, Demütigung und Ablehnung angesammelt hat, ist noch heute ihr Problem. Tiefe Gefühle und intensive Emotionen, die sie früher nicht zeigen durfte, brechen sporadisch mit aller Gewalt und Kontrollverlust aus ihr heraus. Auf jede Form von Dominanz, durch die sie gleichzeitig ihre Sicherheit bedroht sieht, reagiert sie explosiv. Allerdings bemüht sie sich bewusst, ihre Gefühle zurückzuhalten, da sie um deren Intensität und zerstörerische Kraft weiß und sich überdies nicht noch verletzlicher machen möchte.

      Ihr Bruder starb in jungen Jahren durch einen Verkehrsunfall und kurz darauf verstarb auch Karins Vater, mit dem sie nach einem heftigen Streit anlässlich der Beerdigung des Bruders keinen Kontakt mehr hatte. Alle Wunden brachen wieder auf, und die Gewissheit, dass eine Versöhnung nun unmöglich geworden war, brachte sie an den Rand der Verzweiflung.

      Trotz alledem konnte sie ihre guten Veranlagungen nutzen, begann, sich mit ihrem Unbewussten auseinander zu setzen, besonders mit dem inneren verletzten Kind, und ging auf die Suche nach neuen Erkenntnissen und sinnvollen Aufgaben. Sie begann eine Psychotherapie, und auch ihr Mann, mit dem sie schon viele Jahre verheiratet ist, unterstütze sie und half ihr, Licht in die schlimmen Schatten der Kindheit zu bringen. Allerdings ist das Thema Mutter noch nicht verarbeitet. Sobald Mutter und Tochter in Kontakt treten, was selten genug vorkommt, brechen alle Verletzungen und Verwundungen wieder auf, wohl auch, weil die Mutter es immer noch zu gut versteht, ihrer Tochter jedes bisschen Liebe und Aufmerksamkeit zu verweigern. Und Karin kann die Hoffnung, doch noch geliebt und anerkannt zu werden, einfach nicht aufgeben.

       Das Mutterproblem von Sonja

      Sonja wuchs in äußerst beengten Verhältnissen auf, der Vater verließ frühzeitig die Familie, und so war sie mit ihrer echten Schwester und einer Halbschwester ihrer dominanten Mutter ausgeliefert. Ihre Halbschwester wurde bevorzugt, ihre Schwester immerhin noch akzeptiert, aber sie selbst abgelehnt. Sie fühlte sich ungeliebt, unerwünscht und führte ein Schattendasein voller Angst, Demütigungen und Wut. Vor allem ihre Ängste vor dem Tod, besonders dem gar nicht zu erwartenden Tod ihrer Mutter, waren kaum zu ertragen, zumal sie sich niemandem anvertrauen konnte.

      Als sie sich endlich durch eine Heirat von der Mutter löste, geriet sie (zwangsläufig) an einen Mann, der sie nicht viel besser behandelte als ihre Mutter. Sie hatte zu gehorchen, musste alles selbst verdiente Geld abgeben (wie bei der Mutter) und nahm mehr oder weniger Befehle entgegen. Sie schaffte es, nach der Geburt ihrer Tochter die Scheidung durchzubringen und ging zur Behandlung in eine psychiatrische Klinik, wo ihre massiven seelischen Verwundungen fachärztlich behandelt wurden. Heute allerdings, mit sechzig Jahren, hat sie immer noch Probleme mit ihrer Selbstbehauptung, möchte es jedem recht machen, widerspricht selten und fühlt sich sehr schnell immer noch unerwünscht. Die psychische Vernachlässigung und Misshandlung durch ihre Mutter hatten aber auch eine Ansammlung von Wut und Zorn zur Folge, die sie tief in sich vergrub. Ein Ausleben dieser Emotionen schien ihr undenkbar.

      Die fehlende Liebe der Mutter überschattete ihr ganzes Leben, zeitweise konnte sie den Alltag und alle Ängste und Panikattacken nur mit Tabletten bewältigen. Nach und nach erkannte sie, dass ihre Depressionen auch mit einer religiösen Problematik zu tun hatten. Sie wurde streng katholisch erzogen, und die ihr vermittelten Glaubensinhalte lösten in ihr Schuldgefühle, Scham und Ängste aus. Als ihre Mutter vor 10 Jahren verstarb, war das innere Drama jedoch noch lange nicht beendet. All die vorgenannten Erfahrungen und Emotionen waren so tief in ihr gespeichert, dass sie erst spät damit umzugehen lernte.

      Überwältigend waren