Tschapka. Mike Nebel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Nebel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592488
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Er sprach das „Verstanden“ so aus, als hätte er eine überlebenswichtige Information erhalten. „Manfred, wir möchten, dass du das zweite Triebwerk erst nach Wiedereintritt in die Atmosphäre zündest.“ „Verstanden!“ Wahrscheinlich war seine Denkpause überhaupt keine Denkpause, er tat nur so, um mir das Gefühl zu geben, er würde sich über die Informationen von Frau Perlheimer Gedanken machen. Was sagte noch Kaportzke? Sollten nicht alle Drücker einen Scheiß auf diejenigen geben, die wir zu besuchen hatten? Nachdem ich mich aus dem tiefkauernden Cabriolet herausgezogen hatte und einen Moment am Wagen stand, zog Manfred ausgesprochen beeindruckend mit nur einem Arm, einen langen Bogen machend, das Verdeck zu. Ich war erstaunt der kleinen Vorführung, was ihm nicht entging und dazu veranlasste, die ganze, auch wenn kurze Präsentation, nochmals für mich zu zelebrieren. Mein Gott, wenn die Computer wüssten, auf wen sie sich hier als Testobjekt einlassen würden.

      Ich fragte Manfred, ob ich an der Tür läuten darf. Ich durfte. Die vielen Sekunden, die vergingen, bis sich Ritas Tür öffnete, verbrachte ich damit zu verstehen, warum der Typ neben mir seine Skibrille nicht absetzen wollte. Wäre ich an Frau Perlheimers Stelle gewesen, ich hätte beim ersten Blick auf Manfred auf dem Hacken kehrtgemacht, die schwere Schublade der Wäschekommode aufgeschoben, den geladenen Trommelrevolver herausgenommen, zurück zur Tür gegangen, die Waffe in Richtung Skibrille gehalten und nur gesagt: „Sie verschwinden sofort!“

      Die Haustür öffnete sich und Rita Perlheimer lächelte uns an. Ich lächelte zurück, legte freundlich meinen Kopf etwas zur Seite und reichte ihr zur Begrüßung meine Hand in die offene Tür hinein. Fehlende Abstimmung zwischen Manfred und mir führte nun dazu, dass er, noch immer wie eine Gestalt aus einer fremden Galaxie hinter seiner verspiegelten, großflächigen Fassade versteckt, einen Schritt nach vorn machte, sich die in meiner Hand sanft schlummernden Hand von Frau Perlheimer griff und ein paarmal an dieser zog und schüttelte. Er tat es so unhöflich und rüde, als wollte er von Beginn an uns, der guten Frau Perlheimer und mir, demonstrieren, wer hier der Platzhirsch in unserem Trio ist. „Frau Perlheimer, wir sind ihr Termin, lassen Sie uns beginnen.“ Stimmlage und Emotionslosigkeit erinnerten mich nun an einen dieser Spezialagenten, die unangemeldet vor deiner Haustür stehen, weil du eine merkwürdige Erscheinung am Himmel gesehen hast. Nur in einer derartigen Situation hätte sein Aufzug mit der Skibrille Sinn gemacht, die sich hinter Frau Perlheimer in der gläsernen Flurtür spiegelte. Er wäre um einiges glaubwürdiger gewesen, hätte er unseren Termin entweder als Auftakt einer feindlichen Übernahme durch eine fremde Lebensform angekündigt, oder andersrum, uns als genau eine solche Spezialeinheit vorgestellt, die auf der Suche nach fremden Lebensformen war. Doch so wirkte sein Spiegelbild nur absurd und tatsächlich beängstigend zugleich. Und in dieser Kleinstadt war Frau Perlheimer an diesem Morgen die erste auf unserer Tour, die leider dran war. Erst als Manfred nach Betreten ihrer Wohnung merkte, dass dort die Sonne nicht ganz so geißelnd schien wie draußen auf den Straßen, reagierte er und schob sich sein Monstrum aus dem Gesicht. Einige Male blinzelte er mit den Augen kräftig durch, musste sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen, verständlich, sah er doch die Welt an diesem Morgen bisher in einem anderen Licht.

      Frau Perlheimer war eine überaus freundliche, zuvorkommende und adrette Person, ich tippte auf zwischen siebzig und achtzig Jahren, weißhaarig und großzügig gelockt, dazu dezent geschminkt und im modernen blauen Hosenanzug wippte sie voran in ihre Wohnstube. Sie war nicht eine von diesen älteren Damen, die in Kittelschürze und Wollsocken mit einem Schrubber bewaffnet vor einem stehen. Ihre Ausdrucksweise war galant, höflich und aus bestem Hause: „Mögen die Herren etwas trinken? Ein wenig Wasser, Kaffee oder einen Schluck Limonade?“ Manfred winkte mit den Worten „…nee, lassen Sie mal, sind für Geschäfte hier …“ ab. Ich bestellte Kaffee, worauf Frau Perlheimer kurz in die Küche ging, sich eine Thermoskanne mit heißem frischen griff, welchen wir beide anschließend mit etwas Trockengebäck und freundlich zugewandten Blicken genossen. Unterdessen schob Manfred seinen Aktenkoffer auf dem Esstisch in die richtige Position, ließ die Verschlüsse aufspringen und holte all die wichtigen Dinge hervor, die er benötigte, um Frau Perlheimer so richtig über den Tisch ziehen zu können. Sodann begann sein Verhör.

      „Frau Perlheimer, wie wir wissen, haben Sie zwei Enkel und es gibt für Sie bestimmt nichts Wichtigeres, als das diese Kinder, ich sage mal, allgemeinbildungsmäßig nicht hinten runter rutschen sollten, und genau dafür haben wir das passende … Teil … Instrument … Ding. Ein vollkommen neues Lexikon hier auf dieser kleinen Scheibe, da ist alles drauf, da können die Kleinen ganz schnell alles finden und sind ganz schnell nicht mehr die Deppen in der Schule.“ Er ließ nun vor unseren erstaunten Augen die kleine Diskette in seinen Fingern kreisen, so, wie er es von Kaportzke gelernt hatte. Er zelebrierte es noch besser, wie ein Zauberkünstler, der im nächsten Moment ein kleines Küchentuch darüberlegen würde, um dann Schwupps und von Manfreds magischer Hand, das Teil verschwinden zu lassen.

      „Nun mein Herr, ganz so ist es nicht. Meine Enkel sind keineswegs die, wie sie es ausdrücken, Deppen in der Schule. Sie besitzen durchaus eine gute Allgemeinbildung. Es wäre schön, wenn Sie von solchen Unterstellungen Abstand nehmen würden. Für mich stellt sich die Frage, was ihre kleine Scheibe denn zusätzlich an Möglichkeiten bieten würde, um, wie sie richtigerweise sagen, schnell an Antworten auf Fragen sämtlicher Themen auf dieser Welt zu kommen. Ich nenne es mal einen Wissenstransfer schnell und unkompliziert gemacht. Sehe ich das richtig?“

      Während ihrer präzisen Ausführungen bekam Frau Perlheimer von mir immerzu ein zustimmendes Kopfnicken und damit war für sie und mich bereits klar, auf welche Seite ich mich schon nach den ersten Minuten geschlagen hatte. Manfred haderte mit ihren Kommentaren und sein Nicken, gepaart mit beginnendem leichten Zucken seiner Oberlippe, sprach eine ganz andere Sprache: Wenn die mir so kommen will, dann kann sie es haben!

      „Ja, Frau Perlheimer, schnell an Wissen rankommen, darum geht`s hier. Die Diskette wird nur schnell in den Computer geschoben und los geht’s. T wie Tierversuche, nur eingeben und schon kommt´s raus, K wie krumme Dinger drehen genauso, und so weiter. Klasse, ne? Ich an ihrer Stelle würde nicht lang fackeln und gleich unter-schreiben, das Ding geht nämlich weg wie warme Semmeln, nicht mehr viel da, also wenn nicht jetzt, dann kann es schon zu spät sein.“

      Wir waren erst zehn Minuten zusammen und ich dachte mir: Läuft hier etwas nur schief oder doch total verkehrt? Wie kann der Kerl nur so ungelenk versuchen der Frau Perlheimer beizukommen? Er war ihr haushoch geistig unterlegen, was ihn aber nur weiter anspornte, sie auf billigste Art und Weise zu bearbeiten.

      „Frau Perlheimer, wollen Sie allen Ernstes, dass ihre Enkel aufgrund mangelnder Allgemeinbildung für immer durch den Rost fallen und als Obdachlose enden? Als Bettler? Nur weil Sie heut und hier nicht den Vertrag unterschrieben haben? Ich glaub es nicht, was ist hier denn los?“

      Manfred hatte nun gänzlich die Kontrolle über sein Rest-Hirn verloren, ganz eindeutig. Frau Perlheimer saß mit offenem Mund da und rang um Fassung und ich überlegte, einzuschreiten oder auch nicht. Ich tat es nicht. Ich wollte sehen wie es weitergehen, wie es richtig zu eskalieren beginnen würde. Letzten Endes könnten Frau Perlheimer und ich ihm immer noch eine Porzellanschüssel über den Kopf ziehen, sozusagen als unsere letzte Rettung.

      „Sie entschuldigen mich bitte, meine Herren!“ Frau Perlheimer verließ das Wohnzimmer. Kopfschüttelnd und wankend vor Entsetzung. Von ihrem wippenden Gang war nichts mehr zu sehen. Ich dachte an 110 und Manfred sagte, als sie aus unserem Blickfeld entschwand, dass sie echt einen an der Waffel haben muss. Es war mir ein Rätsel, wie dieser Typ bisher überhaupt an Aufträge rankam. Aber es gab sie, also hatte er des Öfteren einfaches Spiel mit seinen kleinen, dämlichen Überrumpelungen gehabt. Nach Momenten des gemeinsamen Anschweigens am Tisch, kam Frau Perlheimer zurück zu uns und Manfred baute sich auf. Er zog sich an der Tischkante hoch und ging in eine neuerliche Angriffsposition.

      „Und nun sage ich Ihnen was, Frau …, Frau …, ich gebe Ihnen bei sofortiger Unterschrift zehn Prozent Rabatt auf die Diskette, das ist ne ganze Menge, mach ich sonst ganz selten, nein, eigentlich nie, aber dafür schreiben Sie mir jetzt schön ihren Namen hier über diesen Strich.“

      Frau Perlheimer, kaum dass sie saß, stand wieder auf und verschwand erneut. Dieses Mal war ich mir sicher, sie würde telefonieren, einen Hilferuf absetzen, ihren Schwiegersohn