Tschapka. Mike Nebel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Nebel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592488
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Gustav Landinger. Meine Frau …“, er öffnete kurz seine Hand in Richtung seiner neben ihm sitzenden Salzsäule, „… und ich begrüßen Sie bei uns zu ihrer Präsentation ihres neuartigen Produktes aus der Bildungsbranche, so wie ich es hoffentlich doch richtig verstanden habe. Mögen Sie Tee? Vielleicht auch ein stilles Wasser?“

      Der gute Gustav Landringer wartete nicht nur auf eine Antwort seiner Offerte, sondern auch auf eine Vorstellung unserer kleinen Besuchsdelegation. Ich schaute zu dem neben mir sitzenden Delegationsleiter, der sich bereits in weit vorgebeugter Kampfeshaltung in Position gebracht hatte.

      „Neben mir, das ist der Luschke vom Innendienst, will sich mal den harten Verkaufsalltag anschauen.“ Dann lachte er kurz aus sich heraus, da er dachte, einen Knaller gelandet zu haben. Nur, alle Anwesenden, begriffsstutzig oder aus einer anderen Welt, hatten Mühe zu verstehen und zu folgen. Was Frau und Herr Landinger in Perfektion beherrschten, war, in Sekundenschnelle ihre Gesichtszüge von freundlichem Lächeln in verachtungsvoller Ernsthaftigkeit zu wechseln. Und nun folgte der erste Moment an diesem Tag, in dem ich zum ersten Mal während eines Besuches in Manfreds Anwesenheit sprach: „Mein Name ist Ronny Luschke, und ich freue mich, heute erstmalig bei einem Verkaufsgespräch von einem unserer Profis mit dabei sein zu dürfen. Ich übergebe jetzt wieder an unsere Verkaufskanone, die uns durch den weiteren Nachmittag führen wird und werde gespannt zuhören.“

      Der Verkaufskanone gefiel ganz und gar nicht, was ich von mir gab. Da ihm passende Worte nicht einfielen, fuchtelte er nur mit seinem Schreiber in der Luft und ließ dann seinen Aktenkoffer aufspringen. Klack. Klack. Ich mochte diesen Sound, Manfred ganz offensichtlich auch, was ich an seinem zufriedenen Gesichtsausdruck sah. Die Show konnte beginnen. „Lady and Gentleman, I proudly present, the best Wanderheuschrecke ever! The unbelievable Manfred! I am sure, you will never forget the upcoming hour!“ Ich hatte nach meiner zirkusreifen Ankündigung im Kopf meine Mühe, mir das Lachen zu verkneifen und rang um gespielte Ernsthaftigkeit. The best Wanderheuschrecke ever übergab beiden jeweils einen Prospekt, doch dem Paar war nicht danach, in einem Prospekt zu blättern. Sie legten fast synchron das dünne Hochglanzpapier zurück auf ihren afrikanischen Holztisch. Der intellektuelle Anspruch der Eheleute Landinger gab sich offenbar weder mit intensivem noch mit flüchtigem Lesen zufrieden, so wie man es beispielsweise mit Postwurfsendungen macht.

      Manfred stutzte etwas mürrisch, legte diesen ersten Akt seiner Vorführung unerledigt geistig zurück in seinen Koffer und ging zum zweiten Teil der Prozedur über. Er steckte seinen Zeigefinger in das Loch der kleinen Scheibe, die wunderschön im einfallenden Licht regenbogenfarbig schimmerte, und begann wortlos, jedoch sich einer gewissen dramaturgischen Wirkung dieser Nummer sicher, mit dem Zeigefinger an der Scheibe zu drehen. Mit kindlich staunenden Augen betrachteten die Eheleute Landinger und ein gewisser Ronny Luschke die zaubernden Hände des weltberühmten Zweihandscheibendrehers Manfred und warteten nur darauf, bis sich das runde Etwas wie ein Miniaturraumschiff von seinem Finger lösen würde, um mit reichlich Schwung erst durch den Salon, dann in den Flur, um letztlich – die asiatische Haushälterin wäre bereits zum Halbmond gelaufen und hätte das Tor geöffnet – zurück zum Heimatplaneten zu fliegen. Mein Gott, was für ein Nachmittag, was für ein unglaublicher Moment, den ich mir vorstellte.

      Wir drei Zuschauer stierten wie zur besten Hypnose auf die Scheibe, die jedoch leider ihre Mühe hatte richtig Fahrt aufzunehmen, um sich auch nur etwas von seinem Finger empor schwingen zu können. Manfred stoppte schließlich den Anschub und so blieb die fliegende Untertasse am Boden. Kein Start. Vielleicht ein anderes Mal. Der zweite Teil seiner Vorführung fand ein jähes Ende und erzeugte doch eine sichtliche Enttäuschung in den Gesichtern der Zuschauer. Der Herr Professor tippte mit einem Finger kurz nachdenklich an seinem Mund. Hatte er etwas nicht verstanden? War da etwa etwas was Manfred tat, weit außerhalb seiner Vorstellungskraft, ohne jeglichen Zugang, diese Vorführung auch nur für einen Moment in seiner Tragweite erfassen zu können?

      Dass Manfred während seiner Darbietung stumm blieb und auch die von mir erwarteten vollmundigen Ankündigungen, gepaart mit einem spannungstreibenden Anpeitschen – wie es die großen Zampanos beherrschen – ausblieben, war die eigentliche Enttäuschung seiner Showeinlage. Jedoch dreht sich im Zirkusgeschäft die Welt immer weiter, und so war ich gespannt auf die nächste Vorführung von meiner Wanderheuschrecke. Doch nun übernahmen Frau und Herr Landinger die Regie. Weitere Enttäuschungen wollten sich beide wohl ersparen. Ich dagegen, hätte mir von Manfred sehr gern noch einen nächsten phänomenalen Auftritt gewünscht.

      „Meine Herren ...“, Herr Landinger übernahm nach einem kurzen Sichtkontakt zu seiner Frau das Gespräch, „… meine Herren, am Telefon wurde mir gesagt, wir würden heute von Ihnen eine Präsentation und detaillierte Informationen zu einer neuen, elektronischen Enzyklopädie erhalten. Bitte seien Sie so freundlich und erklären uns nun bitte schön, worum es geht.“

      Ich glaube, es war das Wort Enzyklopädie, welches Manfred nunmehr aus der Bahn warf. Es war ihm anzusehen, dass ihm dieser Begriff nicht sonderlich viel sagte. Ich bangte, er würde nichts Falsches von sich geben. Nicht, dass er schnell das Weite suchen will, nur weil er ein Lexikon feilbot und das Paar von einer Enzyklopädie sprach. Eine schweigende, vollkommen unsichere Wanderheuschrecke neben sich sitzen zu haben, ist nicht das Beste was einem passieren kann, ist man bei den Landingers auf Geschäftstermin. Doch dann sprach er. Himmel, er sprach doch.

      „Auf dieser hochmodernen CD-ROM ist das komplette Lexikon drauf, alles, was sie wissen wollen, können sie hier abrufen. Nur in den Computer schieben und los geht’s, alles von A bis Z.“

      „Wenn Sie von allem reden, kann ich dann davon ausgehen, dass es sich eine umfassende, allgemeine Enzyklopädie sämtlicher Wissensgebiete handelt?“

      „Es ist ein Lexikon, mit allem drauf, ja, alles drauf, meine Hand drauf.“

      „Dann kann ich es sozusagen als eine Welt-Enzyklopädie verstehen?“

      „Ich sagte doch, es ist ein Lexikon und alles drauf auf dieser Scheibe, ja, die ganze Welt auch.“

      „Interessant. Was ist mit Anhängen wie Bibliografien, Landkarten, Ortsverzeichnissen, Illustrationen, einem umfassenden Index, sowie Listen von Abkürzungen?“

      Es war die Dame des Hauses, die das Schwert der Fragen schwang und Manfred mit jeder tiefe Wunden zufügte. Manfreds Oberlippe begann zu beben. Wenn jemand mit derartigen Fragen in die Enge gedrängt wird, dann ist es nicht schwer zu erahnen, was passieren könnte. Manfred verstand nichts, versuchte sich aber, zu konzentrieren und schob leicht grimmig guckend seine Augenbrauen nach vorn. „Alles was Sie sagen, ist drauf, vom Ersten bis zum Letzten. Alles. Hand drauf!“

      Soweit, so gut. Soweit, so schlecht und Herr und Frau Landinger waren nicht mehr einfach nur enttäuscht, ich konnte bei ihnen erste Anzeichen von Unruhe und Anflüge von Erbostheit erkennen. Da das Paar schon eine halbe Stunde mit uns verplempert hatte, rechnete ich mit einem abrupten Ende unserer kleinen Sitzung. Dann folgte sozusagen der Knock-Out für Manfred. Ob Schwert oder doch afrikanische Lanze, ich wusste, jetzt würde der finale Stoß folgen. Frau Landinger rutschte in ihrem Sessel etwas nach vorn, brachte sich in ihre persönliche Kampfposition und sprach: “Ich möchte gern ein paar themenspezifische Dinge von Ihnen wissen. Von Ihnen, als Verkäufer von Enzyklopädien.“

      Jedes Mal, wenn dieses Wort fiel, drehte sich Manfred nervös auf der Couch hin und her. „Ich gehe davon aus …“, fuhr Frau Landinger fort, „nun, Sie müssten doch auch selbst mit einem außergewöhnlichen Allgemeinwissen ausgestattet sein. Sagen Sie mir erst einmal, wie aktuell ihre Enzyklopädie ist. Ist beispielsweise das Thema Wiedervereinigung detailliert und mit allen wichtigen Hintergrundinformationen integriert?“

      „Hören Sie, ich hatte Ihnen schon mehrmals gesagt, wir reden hier von einem Lexikon, nicht mehr und nicht weniger. Und Wiedervereinigung? Klar ist die drin, die war doch schon, oder nicht?“

      Frau Landinger schüttelte wort- und fassungslos nur ihren Kopf. Doch sie gab nicht auf, sie biss sich förmlich an Manfred fest. Sie wollte ihn als ungebildeten Idioten bloßstellen.

      „Anderes Thema. Menschheitsevolution. Sind die neusten Erkenntnisse zur Menschheitsevolution berücksichtigt? Sagt Ihnen der Begriff Homo sapiens denn irgendetwas?“ Frau