»Ich bin Sophie, Sophie Schatz«, sagte Sophie in die blauen Augen. »Schatz ist mein Nachname.« Das sagte sie manchmal, wenn sie sich jemandem vorstellte. Dieses Mal bereute sie es, kaum dass sie es ausgesprochen hatte. Es war unnötig. Es war albern. Der Zimmermann war keiner von denen, die ihren Nachnamen für Anzüglichkeiten oder Scherze missbrauchten.
»Will Trenck«, sagte er mit einem Lächeln. »Will kommt von Wilhelm, Trenck mit ck am Ende.« Er reichte Sophie die Hand. »Sehr erfreut, Frau Schatz.«
»Sophie«, sagte sie. »Freut mich auch, Will Trenck.« Er hatte eine warme, trockene, feste Hand und einen guten Händedruck. Er fühlte sich an, wie jemand, dem man vertrauen konnte. Er lächelte auch vertrauenswürdig, doch Lächeln konnte täuschen, ein Händedruck nicht. Als Trenck ihre Hand losließ, fand Sophie es fast schade, und das wiederum brachte sie auf abwegige Gedanken. Wenn einer so einen Händedruck hat, dachte sie, wie muss sich erst eine Umarmung von ihm anfühlen? Sie schob den Gedanken von sich, verschloss die Türen des Hauses und folgte Trenck zu dessen Auto. Er hupte, als sie losfuhren. Für ein so großes Auto war die Hupe erstaunlich asthmatisch. Der Ton rief Cora, die wie aus dem Nichts erschien und neben ihnen herlief, während sie langsam die Anhöhe hinab zur Straße rollten. Das Innere des Landrovers war überraschend warm. Er hatte eine Standheizung. Die blies mit voller Kraft heiße Luft an Sophies eiskalte Füße und verschaffte ihr urplötzlich ein geradezu sensationelles Wohlgefühl. Sie schauderte vor Behagen, bewegte die Zehen in den Schuhen und fühlte sich gut. Am liebsten wäre sie gar nicht mehr aus dem Wagen gestiegen.
Eis krachte, als der Golf aus dem Schlammloch befreit wurde, und schwarzes Wasser floss aus dem Motorraum, als er auf der Straße stand. Trenck hatte ein zwei Meter langes, zehn Zentimeter dickes Eisenrohr auf seinem Dachgepäckträger mitgebracht, an dessen einem Ende der Anschluss für eine Anhängerkupplung und am anderem eine stählerne Schlaufe geschweißt war. Ein Schäkel half, den Golf mit der Stange zu verbinden. Trenck stellte die Warnblinklampe in das Rückfenster von Sophies Auto und sagte: »Die Werkstatt, in die ich normalerweise gehe, liegt auf der anderen Seite des Flusses. Ist das okay, wenn wir da hinfahren?«
»Nach Polen?«
»Nicht?«
»Geht das so einfach?«
»Kein Problem. Polen ist EU. Gleich hinter der Grenze liegt Kystrowcze, das war mal ein Dorf und ist jetzt so eine Art Gewerbegebiet, mit Tankstellen, Discountern, Werkstätten und dem sogenannten Polenmarkt. Wir fahren dauernd da hin. Tanken, einkaufen. Samstags ist halb Küstrow auf der anderen Seite der Oder.«
»Kennen Sie die Werkstatt gut?«
»Sie gehört einem Freund von mir. Er hält mein Auto am Laufen. Mit deutschen Werkstattpreisen könnte ich mir keinen Landrover leisten.«
Sophie dachte, im Guten wie im Schlechten ist dieser ganze Tag ein einziges Abenteuer. Und nun der Höhepunkt: einem gutaussehenden fremden Mann ins Ausland folgen.
»Dann los«, sagte sie. »Auf nach Polen.«
Die Fahrt dauerte fast eine Dreiviertelstunde, denn Trenck fuhr nicht schnell. Sophie nahm wenig von ihrer Route wahr. Meist hatte sie nur das kantige Heck des Landrovers im Blick, wartete darauf, dass er blinkte, um mitzulenken, und hörte an ihrem Auto Blech knirschen, wenn er bremste oder enge Kurven nahm. Als die Straßen sich verbreiterten, waren sie in den Außenbezirken Küstrows angelangt. Auf einer langen, ebenen Geraden durchquerten sie die Oderniederung, auf einer stählernen Brücke rollten sie über den Fluss, und die hell erleuchteten Grenzposten passierten sie in einer Kolonne anderer Fahrzeuge und im Schritttempo. Angehalten wurden sie nicht. Die Fahrt endete kurz hinter der Grenze in einem Gewerbegebiet ähnlich dem, in dem Sophie jahrelang gearbeitet hatte, auf dem Hof einer Autowerkstatt. Ihre Arme und Schultern schmerzten von der Anstrengung des Lenkens ohne Lenkhydraulik. Ihre obere Körperhälfte schwitzte in dem dicken Mantel, aber ihre Beine und Füße waren taub vor Kälte. Sie schälte sich mühsam aus ihrem Wagen.
Trenck wartete neben dem Landrover auf sie. Er sagte: »Alles gut gegangen?«
»Alles gut«, antwortete sie, schüttelte ihre Arme und stampfte mit den Füßen.
Die Werkstatthalle war gleißend hell erleuchtet und blitzsauber. Ein Gebläse rauschte unter der hohen Decke und verteilte warme Luft. Auf sechs Hebebühnen waren ebenso viele Autos hochgefahren, und an jedem arbeitete ein Mechaniker. Kaum, dass sie die Halle betreten hatten, kam ihnen ein Mann entgegen.
»Will Trenck! Mein Freund, was geht?«
»Marek. Wie laufen die Geschäfte?«
Sie begrüßten sich mit einer kurzen Männerumarmung und klopften dabei einander auf den Rücken.
»Solange du alte englische Auto fährst, Will, wird mir Arbeit nicht ausgehen«, sagte Marek. Er war ebenso groß wie Trenck, aber älter, breiter und schwerer. Sein Overall spannte über einem komfortablen Bierbauch. An den Seiten seines Kopfes war sein blondes Haar kurz geschoren, und er trug einen prächtigen Vollbart. Ein Hörnerhelm hätte ihn zu einem veritablen Wikinger gemacht. »Was bringst du mir heute, Will?«
»Die junge Frau hier ist mit ihrem Wagen in ein Wasserloch geraten. Sophie – Marek, Marek – Sophie.«
Marek stellte die gleichen Fragen wie zuvor Will und versprach, den Golf gleich am nächsten Morgen zu untersuchen. Dann schickte er Sophie und Trenck ins Büro des Betriebs, um Fahrzeugschein und Telefonnummern zu hinterlassen und einen Auftrag zu unterschreiben. Auf dem Weg dorthin sagte Sophie: »Sollte ich den Wagen ausräumen?«
»Nicht nötig. Hier kommt nichts weg. Nehmen Sie nur mit, was Sie heute Abend und morgen brauchen.«
Der Innenraum des Landrovers war so warm, dass Cora hechelte. Sophie beeilte sich beim Einsteigen und streckte sofort die Füße in die Ecke des Fußraums, aus der die heiße Luft der Standheizung blies. Draußen war der Tag fast vorüber, im Inneren des Wagens war es Nacht. Trenck startete nicht sofort. Sie saßen schweigend nebeneinander und Sophie fühlte sich gut. Nähe, Stille, Wärme und Dunkelheit vereinten sich für einen kostbaren Moment zu einer Geborgenheit, wie sie sie seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt hatte. Ehe sie dem Gefühl nachspüren konnte, brach Trenck die Stille, indem er sich bewegte, um den Wagen zu starten.
Sophie räusperte sich und sagte: »Will …«
»Ja?«
»Danke.«
»Schon gut. Ich helfe gern.«
»Ich habe Sie einen halben Tag gekostet …«
»Ach was. Alle meine Baustellen sind eingeschneit. Bis zum Frühjahr habe ich viel Zeit.«
»Nein, was ich meine ist … ich will mich bei Ihnen revanchieren dürfen. Ich lade Sie zum Essen ein.«
»Wie, jetzt gleich?«
»Wann sonst? Es sei denn, jemand wartet mit dem Abendessen auf Sie.«
»Nein, das nicht«, antwortete er. »Aber ich kann mich so, wie ich aussehe, in keinem Restaurant blicken lassen.«
»Ach, kommen Sie, ich will doch nicht in einen Laden mit weißen Tischdecken, Kristall und Kerzen. Ich möchte nicht dinieren, ich will essen. Sie kennen sich doch hier aus – wo gehen Sie denn mit Kumpels oder Kollegen hin für eine ehrliche Portion Schniposa und ein Bier?«
Er überlegte einen Moment und sagte dann: »Wie wäre es mit Pizza und Wein?«
»Pizza und Wein sind perfekt.«
Trenck startete den Wagen. »Gut. Da haben wir es nicht weit«, sagte er. »Ein paar Ecken weiter gibt es hier eine Pizzeria.«
»Dann los«, sagte Sophie. »Ich habe einen Mörderhunger.«
»Ich auch«, antwortete er.
11 – In dem Lokal
schlug Sophie ein köstlicher Duft entgegen, und es war anheimelnd warm. Die fünfzehn oder zwanzig Minuten zwischen