Böse Obhut. Patricia Weiss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Weiss
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738090147
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haben sie wegen ihrer roten Haare Zora genannt. Den Nachnamen weiß ich nicht auswendig, wir reden uns nur mit Spitznamen oder Vornamen an. Manche möchten anonym bleiben, wir respektieren das. Zora hat aber an einem Spezialprogramm teilgenommen, dafür musste sie ein Formular mit vollem Namen ausfüllen. Ich sehe in den Unterlagen nach."

      Michael stand schwerfällig auf, ging zu einem Regal an der Stirnseite des Raums, zog einen Ordner heraus und blätterte darin. Dann schüttelte er den Kopf, sah hoch und suchte weiter. „Merkwürdig, ihr Antragsformular ist nicht mehr da. Ich weiß genau, dass ich es abgeheftet habe. Aber ich kann auf der Liste nachsehen, die wir zusätzlich führen. Einen Augenblick."

      Er schlug einen anderen Ordner auf und fuhr mit dem Finger über eine Tabelle. „Ihr Name ist Soraya Kandikili. Sie ist neunzehn Jahre alt und seit sechs Wochen in dem Projekt."

      „Genau", schaltete sich Cora ein, „sie hat nicht mehr gespritzt. Die kriegen so ein Zeug, damit sie von der Droge runterkommen."

      „Methadon?", fragte der Kommissar.

      Michael Ehrling schüttelte den Kopf. „Nein, eine ganz neue Therapie. Es sind spezielle Medikamente zur Linderung der Entzugserscheinungen und zur körperlichen Kräftigung. Das Projekt beinhaltet auch psychische Unterstützung, Fitness und die Vorbereitung auf eine berufliche Ausbildung. Die Kandidaten werden rund um die Uhr betreut. Es ist nicht leicht, einen Platz zu erhalten. Wir haben Glück, dass die DROBERA den Zuschlag für die Kooperation bekommen hat." Michael stellte den Ordner zurück und schlurfte mit hängenden Schultern zum Tisch.

      „Eben." Cora gestikulierte wild mit den Händen. „Sie war total heiß auf den Platz. Es kann nicht sein, dass sie sich einfach ins Jenseits geschossen hat."

      „Sind sie auch in dem Projekt?" Der Kommissar musterte Cora zum ersten Mal eingehend, sein Blick blieb an den Piercingringen in ihrer Nase hängen.

      „Nein, noch nicht. Aber ich krieg das hin." Sie zupfte an dem viel zu großen, schwarzen Pulli herum.

      „Jedenfalls hatte Zora gestern Nacht einen Rückfall. So erfolgreich war das Projekt nicht." Aus dem letzten Satz des Kommissars war die Häme nicht zu überhören.

      Michael presste die Lippen zusammen. „Wir haben beachtliche Erfolge mit dem Projekt. Professor Martin ist sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Wir haben ihm viel zu verdanken."

      „Professor Martin? Von der Suchtklinik für Schöne und Reiche draußen in Marienburg?"

      „Genau der!" Michael straffte den Rücken und nickte. „Er hat viel für uns getan. Er hat mit Pfarrer Zieten die DROBERA ins Leben gerufen. Uns gibt es seit dreißig Jahren."

      Der Kommissar schaute sich geringschätzig um. „Das sieht man. Der betuchte Herr Professor hätte ruhig mal ein paar Euro für Farbe und neue Möbel lockermachen können. Wie auch immer, es sieht nach einer Überdosis aus, allerdings müssen wir die Ergebnisse der Gerichtsmedizin abwarten, bevor wir den Fall abschließen können. Sollte es Ungereimtheiten geben, kommen wir auf Sie zu, um die Punkte zu klären. Halten Sie sich zu unserer Verfügung." Michael nickte und atmete auf, als sich die Tür hinter den Ordnungshütern geschlossen hatte.

      „Wir müssen Prof Martin Bescheid sagen!" Cora war ans Fenster gelaufen und sah den Polizisten hinterher.

      „Das mache ich. Er wird nicht begeistert sein. Zora war eine seiner Vorzeige-Exemplare. So hat er sie immer genannt. Jetzt bleiben nur noch Eddie, Nico und Nastja. Hoffentlich schaffen die es und bleiben standhaft, sonst sind wir die Kooperation los und können den Laden über kurz oder lang dichtmachen."

      Cora kam zum Tisch, schenkte sich einen Kaffee ein und griff beherzt zur Wodka-Flasche.

      „Halt, das ist meiner!"

      Ohne auf seinen Protest zu achten, goss sie einen ordentlichen Schluck in die Tasse, gab drei Löffel Zucker hinzu und rührte um. „Das brauche ich jetzt, ich bin total durch. Die arme Zora. Ich kann es nicht fassen. Weißt du, sie war so gut drauf. Hatte alles gecheckt, wusste genau, was sie wollte. Sie hatte irgendetwas in der Hinterhand und meinte, das wäre ihr Sechser im Lotto. Und jetzt das."

      „Was für ein Sechser im Lotto?" Michael schaute alarmiert auf.

      Cora zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Sie wollte nichts rauslassen. Hat sich wichtig gemacht damit. Meinte, dass sie sich jetzt keine Sorgen mehr um ihre Zukunft machen müsste."

      Er lachte bitter.

      „Das hat ja gut geklappt. Sorgen muss sie sich jetzt keine mehr machen."

       4

      Es war Mittagszeit, als Laura die Tür ihres Büros öffnete und zu Gilda in den Vorraum trat.

      „Zeit für eine kleine Pause!" Genervt strich sie sich eine dunkle Haarsträhne zur Seite, die sofort wieder ins Gesicht fiel.

      Vor einigen Monaten hatte sie sich in einem Anfall von Depression die Haare kurz schneiden lassen und es nach dem ersten Blick in den Spiegel sofort bereut. Mittlerweile hatten die Haare zwar wieder eine halbwegs akzeptable Länge erreicht, waren aber immer noch nicht lang genug, um sie zusammenbinden zu können.

      „Hast du Lust, mit mir nach Godesberg zu gehen? Wir könnten Döner oder Hamburger essen."

      Zwanzig Minuten später wanderten die beiden Frauen mit ihren Snacks durch die Godesberger Innenstadt und sahen sich die Schaufenster an.

      „Lecker!" Gilda leckte genüsslich einen Klecks Ketchup von ihrem Zeigefinger.

      „Ja, nicht schlecht", stimmt Laura mit vollem Mund zu. „Hast du schon Informationen gefunden zu unserem Fall?"

      Gilda nickte und signalisierte mit dem halb gegessenen Cheeseburger, dass sie erst fertig kauen musste, bevor sie antworten konnte. „Ich habe mich über unseren Auftraggeber schlaugemacht. Er ist tatsächlich ein bekannter Politiker und tritt auf vielen Veranstaltungen auf. Ansonsten unverheiratet, keine Familie, keine Kinder. Vielleicht hat er eine Freundin, aber darüber habe ich nichts gefunden. Über seine Vergangenheit gibt es auf den ersten Blick keine Informationen. Aber ich werde bei Gelegenheit tiefer graben."

      Laura nickte zustimmend.

      „Dann habe ich das Internat angerufen, um die Namen der früheren Mitschüler zu erfragen. Die waren zuerst nicht sehr kooperativ. Eher das Gegenteil. Aber ich habe den Namen von Bernd Schlüter erwähnt und ziemlich übertrieben, wie viel er für den guten Ruf der Schule tun könnte. Oder dass er ihnen auch schaden könnte. Schließlich haben sie zugestimmt, dass wir die Information bekommen können."

      „Gut!" Laura lächelte. „Darauf gönnen wir uns einen Glühwein!" Sie zog Gilda an der Jacke zu einem Bistro und kurz darauf standen sie unter einem Heizpilz und wärmten ihre Hände an den heißen Tassen.

      „Es gibt noch einen Aspekt." Gilda blies unschuldig in ihr Getränk.

      „Der da wäre?"

      „Die Unterlagen vermodern bei denen im Keller und müssen erst gesichtet werden. Natürlich haben sie keine Lust, das für uns zu machen. Das bedeutet, einer von uns muss ins Sauerland fahren und vor Ort recherchieren."

      „Oh nein! Das sagst du mir, nachdem ich den Glühwein spendiert habe? Aber im Ernst", Laura verzog das Gesicht, „wir haben so viel zu tun. Das Internat liegt nicht gerade um die Ecke. So viel Aufwand, nur um ein paar Adressen zu finden?"

      „Hallo, die Damen! Machen die Detektivinnen eine Pause, oder seid ihr in einem verdeckten Einsatz?"

      Barbara Hellmann, Pianistin und Lauras beste Freundin, stand strahlend mit ausgebreiteten Armen vor ihnen, um sie zu umarmen.

      „Selbst bei dieser Kälte, wo jeder nur vermummt herumläuft, siehst du glamourös aus! Wie machst du das nur?" Laura zog in gespieltem Unverständnis die Augenbrauen hoch.

      Barbara lachte, strich sich durch die schulterlangen, blonden