Böse Obhut. Patricia Weiss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Weiss
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738090147
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ließ sich die Frau vernehmen. „Natürlich wäre es schön zu sehen, dass die Schüler einen guten Weg genommen haben und erfolgreich sind. Aber ich wüsste nicht, wie wir dabei helfen können."

      „Ganz einfach: Sie können mir eine Liste der Schüler mailen, die gleichzeitig mit unserem Klienten, Bernd Schlüter, die Schulbank gedrückt haben."

      „Bernd Schlüter?", kam es scharf von der anderen Seite. „Das ist doch ewig her."

      „Immerhin erinnern Sie sich an ihn", sagte Gilda leicht erstaunt.

      „Erinnern wäre zu viel gesagt. Bernd Schlüter ist ein bekannter Politiker und der Berühmteste unserer Ehemaligen."

      „Wie dem auch sei, können Sie mir bitte die Namen der Schüler geben, die im Zeitraum von 1970 bis 1976 bei ihnen ...", sie wollte schon 'einkaserniert' sagen, konnte sich aber bremsen. „... waren?"

      „Nein, ich sagte es bereits. Die Unterlagen haben wir nicht mehr. Jedenfalls nicht so ohne Weiteres. Vielleicht gibt es noch Ordner im Keller, aber ich habe keine Zeit, das alles durchzusehen."

      „Ok." Gilda überlegte in rasendem Tempo. „Und wenn wir vorbeikommen und selbst nachsehen?"

      „Auf keinen Fall!"

      „Hilft es, wenn Bernd Schlüter Sie kontaktiert und darum bittet? Denken Sie daran, dass er Ihnen nützlich sein könnte."

      „Nein, die Mühe kann er sich sparen."

      „Dann drücke ich mich anders aus: Bernd Schlüter ist es wichtig, seine Freunde wiederzusehen. Er wäre sehr enttäuscht, wenn sein Vorhaben Ihretwegen scheitert. Als Politiker verfügt er über weitreichende Kontakte. Ich könnte mir vorstellen, dass er die auch zum Nachteil Ihrer Schule nutzen kann. Das wollen Sie sicher nicht. Und alles nur, weil Sie ihm diesen kleinen Gefallen nicht tun möchten."

      Die Frau am anderen Ende lachte ärgerlich auf. „Also gut. Ich habe keine Zeit, mich weiter mit so einem Unsinn herumzuschlagen. Sie können jemanden vorbeischicken und sich die Unterlagen ansehen. Aber wenn da irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ist sofort Schluss! Haben Sie mich verstanden?"

       3

      Michael Ehrling schob den vergilbten Vorhang gerade so weit zur Seite, dass man ihn von draußen nicht sehen konnte, und spähte auf den Kirchenvorplatz.

      Das grelle Blaulicht zweier Polizeiautos und eines Krankenwagens blitzte rhythmisch und kalt durch den düsteren Vormittag und wurde von den Pfützen des vom Streusalz geschmolzenen Eises auf dem Asphalt reflektiert. Er wusste, warum sie dort standen, er selbst hatte Zora heute Morgen auf den Kirchenstufen gefunden. Ein Blick hatte genügt, um zu sehen, dass es eine Überdosis gewesen war. Die lange, silberne Nadel der Plastikspritze hatte noch in ihrem mageren Arm gesteckt. Aber verstanden hatte er es nicht. Sie war seit Wochen clean gewesen. Dessen war er sich sicher. Wenn einer so etwas erkennen konnte, dann war er das. Außerdem hatte sie ihre Schlupfwinkel, sie hätte sich niemals mitten auf dem Kirchplatz und direkt vor der DROBERA einen Schuss gesetzt. Das hätte sie ihm nicht angetan. Drogenabhängige hatten wenig moralische Skrupel, doch untereinander hatten sie den Rest eines Ehrenkodex.

      Nach einem langen Blick auf ihr blasses Gesicht, das ausgesehen hatte, als würde sie schlafen, war Michael in die DROBERA gelaufen und hatte die Tür zugeschlagen. Mit zitternden Fingern hatte er Kaffee eingeschenkt und nach kurzem Zögern einen ordentlichen Schuss Wodka hinzugegeben. Die Polizei hatte er nicht gerufen. Das brachte er nicht über sich. In seinem Leben war die Polizei nie ein Freund und Helfer gewesen.

      „Eh, Alter, hast du gesehen, was da draußen abgeht?" Er drehte sich um und sah Cora in der Tür stehen. Sie gehörte genauso lange zur Gruppe wie Zora.

      „Ja, ich weiß, warum die Bullen hier sind. Es hat Zora erwischt."

      „Fuck!" Cora wurde blass, ihre dunkel geschminkten Augen dominierten das Gesicht. Blind tastete sie nach einem der Stühle, die um den großen Tisch in der Mitte des Raumes arrangiert waren, und ließ sich darauf fallen. Michael setzte sich zu ihr. Mit fahrigen Fingern nestelte er eine Zigarette aus einer verknitterten Packung, die neben dem überquellenden Aschenbecher auf dem Tisch lag, und zündete sie an. Tief inhalierte er den ersten Zug und ließ den Rauch mit zurückgelegtem Kopf zur Decke aufsteigen.

      Cora spielte mit einer schwarzen, langen Haarsträhne und schaute ihn unsicher an. „Voll krass. Was ist passiert?" Ihre Stimme zitterte.

      „Überdosis."

      „Wie beschissen ist das denn! Bist du jetzt völlig meschugge? Sie war doch so gut drauf! Hatte es geschafft! Unmöglich!" Cora schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen.

      „Ist aber so. Ich habe sie draußen liegen sehen. Die Spritze war noch in ihrem Arm. Irgendwann erwischt es eben jeden von uns."

      „Fuck, nein, nicht Zora!" Cora sprang so heftig auf, dass der Stuhl umkippte. „Sie war clean! Echt! Und wenn sie sich einen Schuss gesetzt hätte, dann never ever eine Überdosis. Sie war ein Pro!" Michael zuckte müde mit den Schultern und nahm einen weiteren tiefen Zug.

      „Irgendetwas ist da oberfaul." Cora wanderte aggressiv durch den Raum. „Vielleicht hat ihr so ein Spacko schlechten Stoff untergejubelt. Aber das kann nicht sein. Sie hat nur bei Amdi gekauft. Der hat ihr sogar manchmal was auf Pump gegeben. Der hätte sie nie beschissen."

      Michael stellte mit schwerfälligen Bewegungen den Stuhl auf, streckte die Hand aus und zog sie an ihrem dünnen Arm zum Tisch zurück. „Setz dich, du machst mich ganz kirre. Die Polizei wird gleich vorbeikommen und mit uns reden wollen. Wir sollten aufpassen, dass wir keine wilden Anschuldigungen machen. Wir wissen ja auch nichts. Warst du nicht gestern Abend mit Zora unterwegs?"

      Cora nickte. „Wir haben in der City abgehangen. Unten am Rhein, am Bahnhof und auf der Domplatte. Haben ein paar Biere gezischt, geguckt, was so abgeht, ob wir was drehen können, du weißt schon", sie warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. „Aber Zora war ok. Nicht auf Droge. Echt."

      „Ich weiß. Aber vor einem Rückfall ist man nie sicher. Du nicht und ich nicht. Und Zora auch nicht. Keiner von uns. Deshalb müssen wir der Polizei gegenüber vorsichtig sein und dürfen keine wilden Vermutungen anstellen."

      Es klopfte an der Tür. Die beiden zuckten zusammen und sahen sich angespannt an. Ohne auf eine Antwort zu warten, traten zuerst zwei uniformierte Polizisten, dann ein kräftiger Mann mittleren Alters im ausgebeulten Anzug und abgestoßener Lederjacke ein.

      „Guten Tag, die Herrschaften. Kripo Köln. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen. Auf dem Vorplatz wurde eine Frau tot aufgefunden. Könnten Sie bitte mitkommen? Sie ist wahrscheinlich keine Unbekannte für Sie."

      Michael winkte ab. „Ich habe sie gesehen. Es ist Zora, sie gehört zu unserer Gruppe."

      „Ach ja?" Die Augen des untersetzten Mannes starrten ihn argwöhnisch an. „Sie haben uns aber nicht benachrichtigt. Das war jemand anders. Das können wir nämlich sehen."

      Michael senkte den Blick und drückte seine Zigarette aus.

      „Ist Rauchen hier nicht verboten?" Der Dicke zeigte auf die Din-A-4-großen Verbotsschilder, die an den Wänden klebten. „Wenn Sie es mit den Zigaretten nicht so eng sehen, nehmen Sie es mit der Drogenabstinenz wohl auch nicht so ernst?"

      „Doch." Michael wand sich. „Natürlich nehmen wir das Thema Drogen ernst. Deshalb gibt es uns ja. Aber es ist nicht leicht für die Leute, davon loszukommen. Vielen fällt es schwer, auf alles zu verzichten. Deshalb erlaube ich bei den Gruppensitzungen, dass geraucht wird."

      Der Kommissar schaute Michael missbilligend an, verfolgte das Thema aber nicht weiter. „Was können Sie mir über die Tote sagen?"

      „Als ich heute zur DROBERA kam, lag sie auf den Kirchenstufen. Die Spritze steckte in ihrem Arm. Ich wollte die Polizei rufen, aber dann sind Sie ja schon gekommen. Und keine Sorge, ich habe nichts angefasst."

      Der