Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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in den vertieften Zügen die Zeichen und Male des Geistes trug. Um ergreifende Anekdoten »aus dem Alltag des Bürgerkriegs« war er auch jetzt nicht verlegen. Er rührte seine Zuhörer, und übrigens verstand er es, sie zu erheitern; denn er streute Komisches ein.

      Hingegen schien es die Absicht des hochberühmten französischen Romanciers, einzuschüchtern und Entsetzen zu verbreiten. Von allen Autoren der jüngeren Generation war er es, der am meisten bewundert wurde – nicht nur für seine Werke, sondern auch für politische Taten. Um die Sache des Fortschritts hatte er sich aktiv verdient gemacht. Die Masse kannte seinen Namen; viele hatten sogar seine Bücher gelesen. Man jubelte ihm zu; er antwortete mit einem nervösen Nicken – das er übrigens während seines ganzen Vortrages beibehielt: es war fast ein Tick. Sein schöner, schmaler Kopf zuckte und machte seltsam hackende kleine Bewegungen. Unter einer drohend geduckten, breiten und blanken Stirn brannten, befehlshaberisch und begeistert, die tiefen Augen. Unter einer nervös schnüffelnden Nase verzerrte und öffnete sich der Mund. »Camarades!« schrie der große Romancier in die erschütterte Menge. »Was ist Spanien? Nur die Generalprobe! Es wird schlimmer kommen. Heute kreisen die Bombenflugzeuge der Faschisten nur über Barcelona, Valencia, Madrid – über den schönen Städten des tapferen spanischen Volkes. Auch über unseren Städten werden sie kreisen. Ich sehe den Himmel verdunkelt …« Er beschwor apokalyptische Bilder. »Camarades – wir werden alle keines natürlichen Todes sterben!« prophezeite er gräßlich. »Unsere Generation wird aufgeopfert!« – Er war ein vorzüglicher Redner. Kein Laut war im Saale zu hören, während seine Stimme donnerte, seine Augen blitzten. Man war entzückt und entsetzt. Er weckte Enthusiasmus und Grauen. Er sprach nicht von Siegeshoffnungen; nur von dem Inferno, das sich vorbereite. An seinem fürchterlichen Ernst aber war zu ermessen, wie entscheidend wichtig der Kampf war. Der Sieg mußte unendlich kostbar sein, wenn es sich lohnte, ihn so teuer zu bezahlen.

      Nach so fulminanter rhetorischer Leistung schien es für die nächsten Sprecher fast hoffnungslos, noch irgend Eindruck zu machen. Trotzdem gelang es dem jungen Mann, der nun vom Versammlungsleiter vorgestellt wurde. Es war Kikjou – schon sein Name befremdete; beinah niemand hatte vorher von ihm gehört.

      Er stand da, schmal und jung, und von seinem Antlitz kam ein Leuchten wie von weißer Flamme. War der Engel noch in seiner Nähe – der Unsichtbare, Geschwinde – und gab ihm von seinem Glorienschein etwas ab? – Kikjou stellte mit belegter Stimme fest: »Ich bin ein Christ; ich bin fromm« – was wiederum die Zuhörerschaft befremden mußte. Doch nickte man beifällig, als er dann erklärte: »Gerade deshalb verabscheue ich den General Franco und seine Faschisten. Sie morden nicht nur, sie wagen es, ihre Schandtaten im Namen des Herrn zu begehen, und schänden so den Allerhöchsten Namen. Sie meinen ihre schmutzigen Interessen und reden von Jesus Christus. O Schmach! O Ruchlosigkeit! – Die Folge hiervon muß sein, daß der einfache Spanier seinen Erlöser, der am Kreuze für ihn starb, hassen lernt, weil er seinen gebenedeiten Namen zusammendenkt mit den Namen von Unterdrückern, Mördern, Briganten. – Ich bin in Spanien gewesen«, teilte Kikjou mit. »Das erste Mal nur ganz kurz, unter seltsamen Umständen« – hierbei lächelte er, schamhaft und benommen – »dann ausführlicher; monatelang. Ich habe die Verhältnisse dort studiert; habe wohl auch versucht, mich nützlich zu machen. Die Berichte über meine Eindrücke und Tätigkeiten sind in vielen katholischen Zeitungen zu lesen; vielleicht haben einige von euch sie zu Gesicht bekommen. – Ich bedaure die Priester, die sich dazu hergegeben haben, Werkzeuge des heidnischen Faschismus zu sein. Der Schade, den sie der Sache des Christentums zugefügt haben, ist unermeßlich. Gott möge ihnen verzeihen; es geht über meine Kräfte, ohne Bitterkeit und Haß, ohne Verachtung an sie zu denken.« – Er erzählte, schilderte, was er gesehen hatte; seine Darstellung war knapp, anschaulich, sachlich. Er sagte: »Ich gehe nach Spanien zurück. Ich bete jede Nacht zu Gott, daß die gute Sache, die menschliche Sache siegen möge.« Ehe er abtrat, hob auch er die geballte Faust. – Er war etwas breiter in den Schultern geworden. Nun war er kein Knabe mehr.

      Marion hatte ihn seit Marcels Tod nicht gesehen. Sie begegneten sich im Treppenhaus. »Du hast gut gesprochen«, sagte Marion. Er lächelte. »Man bekommt Übung … Früher haben die Menschen mir Angst gemacht. Jetzt ist es mir ganz natürlich geworden, ihnen zu sagen, was ich denke und fühle.« – »Du hast dich verändert.« Marion schaute ihn nachdenklich an. Er, statt zu antworten, bekam plötzlich einen Blick, der in Fernen ging. Auch der bleiche Glanz auf Stirn und Lippen war wieder da, während er leise sagte: »Marcel ist leicht gestorben. Er hat keine Schmerzen gehabt – oder doch nicht lange. Ins Herz getroffen. Tot.« Marion, furchtbar erschrocken, wollte fragen: Woher weißt du das? – Und: Wie kommst du auf diese Worte? – Aber andere Menschen drängten sich dazwischen; das Treppenhaus füllte sich, es gab eine Pause im Saal. Kikjou wurde von Marion getrennt. Er winkte noch einmal; der Blick seiner kindlichen, vielfarbigen, weit geöffneten Augen – ein freundlicher und ernster, dabei fast lustiger Blick – traf sie noch. Dann war er verschwunden, wie verschluckt von den Menschenmassen. Er wurde einer von ihnen; Marion fand ihn nicht mehr.

      Adieu, kleiner Kikjou – auch du bist durch Abenteuer gegangen, die dich bedeutend verändert haben. ›Was ist aus le petit frère de Marcel geworden?‹ dachte Marion, innig betroffen. ›Der reizende, etwas suspekte Abenteurer – Martins schwieriger Liebling – zu was hat er sich entwickelt, und was wird aus ihm? – Sein Gesicht ist jetzt viel weniger weich, als ich es früher gekannt habe; härter, kühner, männlicher geworden. Es freut mich so, daß ich ihm noch begegnet bin! Ein gutes Wiedersehen zum Schluß. Ein guter Abschied von Europa; ein hoffnungsvoller Abschied.‹

      Während der letzten Tage, die sie in Paris verbrachte, war sie besser gestimmt als die ganzen Wochen vorher; vielleicht hing es mit Kikjou zusammen, und er war es wohl, dem sie dankbar sein mußte.

      Sie ging durch die geliebten, vertrauten Straßen und dachte: ›Au revoir. Ich sehe euch wieder. Wir sind noch nicht fertig miteinander; noch lange nicht. Uns steht noch allerlei bevor – euch und mir: nicht nur Bitteres, sondern auch Triumphe. Jetzt haben wir keine gute Zeit, viele Gefahren drohen; doch kommt es auch anders, auch besser.

      Au revoir, Boulevard St.-Germain, Rue Jacob, Rue des Saints-Pères, Boulevard St.-Michel, Rue Monsieur le Prince; au revoir, Quai Voltaire, Place de la Concorde, Boulevard des Italiens, Place Blanche, Boulevard de Clichy, lächerliche alte Moulin Rouge. Auf Wiedersehen, du taubengraues, perlengraues Licht der geliebten Stadt! Heimat der Pariser, Heimat der Franzosen, Heimat der Heimatlosen, Herz Europas – leb wohl! Sieh mich nur recht spöttisch und zurückhaltend an – ich lasse mich von dir nicht kränken. Bin ich die Unerwünschte für dich, l’indésirée, und am Ende doch nur eine sale boche? Was ficht’s mich an? Ich liebe dich, auch wenn du keinen Wert darauf legst. Je t’aime malgré toi. Deine kühlen, spöttischen Blicke ärgern mich nicht; um es nur zu gestehen: eher sind sie geeignet, mich zu amüsieren. Was sagen mir deine Blicke? – Alors, en somme, Madame, vous êtes sans patrie … Da muß ich freilich etwas widersprechen. Heimat – das Wort ist so voll mit Sinn, so inhaltsreich, ist so schwer und tief. Ich bin so vielfach gebunden – nicht nur an Deutschland, das ich nie verlieren kann; auch an diese Stadt, die ich liebe, und an den Erdteil, den problematischen Kontinent, an das alte, besorgniserregende, treu geliebte Europa … Keine Heimat? Zuviel Heimat … Zuviel Erinnerungen … Würde ich so schweren Herzens abfahren, wenn es nicht die Heimat wäre, die ich verlasse? – Ich habe Angst um Europa. Ich sorge mich um Paris wie um eine Kranke. Ich zittere für Deutschland wie für einen nah Verwandten, der irrsinnig wird. Trotzdem reise ich ab. Ist dies Flucht? – Nein; denn ich komme wieder. Und vielleicht kann ich meinem alten Erdteil jetzt besser dienen – dort draußen und drüben.

      Ich trage meine Sorge um Europa in die Welt hinaus.

      Adieu, Champs-Élysées, Rond Point, adieu, Étoile! Ihr Häuser, ihr Bäume, sanftes Wasser der Seine, ihr Brücken, ihr Brunnen; ihr Menschen – lachende oder schimpfende oder betrübte Menschen; ihr blassen Kinder, spielend im Jardin de Luxembourg – lebt wohl!

      Adieu, Paris – und leb wohl!‹

Dritter Teil 1937—1938

      Das goldene Zeitalter, heißt es, liege nicht hinter uns, sondern vor uns; wir seien nicht aus dem Paradiese vertrieben, mit einem flammenden Schwerte, sondern wir müßten es erobern durch ein flammendes Herz, durch die Liebe; die Frucht