Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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Na, wird ja nicht lange dauern …« – Mit soviel biederem Optimismus war Marcel nicht einverstanden. Mühsam jedes Wort suchend – um es dann abenteuerlich falsch zu betonen – riskierte er es, zu widersprechen: »Ah, ma pauvre Hirondelle – keine Illusionen! Schluß mit Illusionen, ma pauvre! Hitler ist, was Bourgeoisie will. Wird sich lange halten, weil genau ist, was Bourgeoisie gerne mag. Bourgeoisie will häßliche, kleine Mann: bißchen Bauch schon« – er deutete pantomimisch die leichte Leibeswölbung des deutschen Kanzlers an – »und kleine moustache – garstig moustache, kommt wie schwarze Schmutz aus Nase gelaufen – oh, so very ugly! Le bel Adolphe – häßlischste Mann von die Welt. Häßlische Nase, und abscheulich Haar – so gemein in die Stirn coiffiert! Very sorry for you, Hirondelle, ma pauvre – Deine Führer, häßlischste Mann von die Welt!« Er klopfte ihr mitleidig die Schulter, während David Deutsch, nervös amüsiert, von krampfhaftem Gelächter geschüttelt wurde und sich das verzerrte Gesicht mit den Händen bedecken mußte. Die Schwalbe wiederholte, gutmütig den französischen Akzent karikierend: »Mein Führer, häßlischste Mann von die Welt!« – Marcel sah, wenn er lachte, wie ein vergnügter Handwerksbursche aus. Alles, was an ihm proletarisch-bäuerlich war – und seine Physiognomie hatte volkstümlich-derbe Züge neben den dekadenten – kam im herzhaften Gelächter zum Ausdruck und schien, solange die Freude anhielt, dominierend zu werden. Das Lachen verjüngte ihn und machte ihn gesund.

      Marion, die den kleinen Kikjou schon ein paar Tage vorher mit Marcel getroffen hatte, versuchte Martin klarzumachen, was für eine Art Geschöpf man da vor sich hatte; es störte sie kaum, daß der Geschilderte dabei war und sogar etwas Deutsch verstand. »Er gehört zu diesen Jungens, wie man sie in Paris manchmal trifft, die alle Sprachen können und gar keine«, sagte sie. »Ich glaube, ursprünglich kommt er aus Brasilien; aber das ist alles etwas zu kompliziert für mein Fassungsvermögen. Jedenfalls ist er mit seiner Familie böse, und seine Familie ist wohlhabend und lebt teilweise in Rio, teilweise in Lausanne, der Wichtigste ist aber ein alter Onkel, und wir können ihn nicht ausstehen, weil er kein Geld schickt, oder beinah kein Geld, jedenfalls nicht genug!« – »Marion! Sie sind schrecklich!« unterbrach Kikjou sie lachend; aber er sah dabei nicht das Mädchen an, sondern Martin, aus sehr sanft strahlenden Augen. – Marion, unbeirrbar, fuhr fort: »Marcel behauptet, daß Kikjou manchmal recht schöne Gedichte macht. Aber der liebe Gott kommt zuviel in ihnen vor. Marcel ist doch so besonders gegen den lieben Gott.« – »Marion, du bist wirklich schrecklich!« Jetzt sagte es Martin, und auch er sah an der Angeredeten vorbei; es gelang ihm aber nicht mehr, Kikjous Blick einzufangen.

      Marcel wandte sich um und rief über die Schulter: »Der liebe Gott? Toujours le Bon-Dieu? Merde alors! On se dispute toute la soirée sur le Bon-Dieu – il parait que le petit Kikjou aime beaucoup ce type-là. Voilà notre petit Kikjou tout à fait furieux parce que je dis, tout simplement, que cet espèce de Bon-Dieu est un salaud, une cochonnerie, une vacherie, une connerie – une … je ne sais pas quoi …« – »Marcel!« bat Kikjou, mit einer ganz leisen, aber merkwürdig innigen, fast metallisch tönenden Stimme. »Marcel! Je t’en prie!« Dabei hob er mit einer priesterlich runden, sanft warnenden, beschwörenden Geste die flach geöffnete Hand. Aber der andere redete weiter, mit Akzent und Haltung eines streitsüchtigen Taxichauffeurs. »Eh quoi – alors! Sans blague! Merde alors! Tu ne comprends pas que c’est encore une espèce de politesse – par pitié – qui me fait dire que ton Bon-Dieu soit un salaud, puisque, en vérité, il n’existe pas, tout simplement. Et je crois qu’il vaudrait toujours mieux d’exister comme un salaud que de n’exister du tout … Et quoi alors?!« – Seine Stimme klang böse, die Augen hatten ein schlimmes Funkeln. Er wartete Kikjous Antwort nicht ab, sondern drehte ihm wieder den Rücken und ging schnell weiter, so schnell, daß David Deutsch und die Schwalbe nun wirklich Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten. Kikjou sagte, und lächelte etwas fahl: »Sie müssen es entschuldigen … Aber Sie kennen ihn ja. Sie wissen, warum er diese fürchterlichen Dinge sagen muß.« Sie blieben mehrere Minuten lang stumm, bis Martin fragte: »Aus welcher Sprache stammt eigentlich das Wort Kikjou? Es klingt wie ein Vogelname … Heißen Sie wirklich so?« Der Fremde schwieg einen Augenblick, ehe er antwortete: »Als ich ganz klein war, in Rio drüben, hat mich eine indianische Kinderfrau so genannt. Und dann Marcel wieder.« Martin nickte.

      Sie hatten die Gare de Montparnasse erreicht und bogen links in den Boulevard ein. Die Schwalbe schlug vor, man solle einen Rundgang durch die großen Cafés machen: »um die Freunde zu sammeln …« als gälte es, einen feierlichen oder kriegerischen Umzug zu organisieren. In der »Coupole« fanden die Deutschen keinen ihrer Bekannten; nur Marcel wurde von ein paar jungen Leuten begrüßt, es waren französische Literaten, sie paßten nicht ganz in den Kreis. Im »neuen« »Café du Dôme« – einer erst seit einigen Jahren eröffneten, etwas eleganteren Dépendance des alten, schon klassisch ehrwürdigen Etablissements – trafen sie Professor Samuel, den Maler: ein betagter Herr, würdig, väterlich, aber immer noch unternehmungslustig, nicht ohne verschmitzte, leicht diabolische Züge; Professor Samuel – Schüler der großen Pariser Impressionisten, von den internationalen Kennern und Sammlern seit Jahrzehnten respektiert; seit Jahrzehnten in den Montparnasse-Cafés ebenso intim beheimatet wie in den Berliner Lokalitäten gleichen Stils – er rief mit seinem wunderbaren, orgeltiefen Baß: »Da seid ihr ja, meine Kinder!« – und zog einen nach dem anderen ans Herz; zuerst Marion, dann Marcel, dann Martin, David, die Schwalbe, und sogar Kikjou, den er gerade erst kennenlernte. Der »Meister« war stets gerne dazu bereit, junge Leute, männlichen oder weiblichen Geschlechtes, zu umarmen und ein wenig zu liebkosen. Er hatte, unter dem breitrandigen Schlapphut, ein großes, kluges, altes, blasses Gesicht; die Augen verschwanden hinter geheimnisvoll spiegelnden Brillengläsern; das Lächeln des feingeschnittenen Mundes war sowohl gütig als schelmisch und von einer gleichsam verklärten, väterlich-allumfassend gewordenen Sinnlichkeit. »Der Meister! Le maître lui-même!« riefen die jungen Leute durcheinander. Sie kannten ihn alle, und sie waren angenehm berührt, seine schöne Orgelstimme wieder zu hören. Er genoß großes Vertrauen bei den jungen Leuten, die oft ratlos waren. Man beichtete ihm, klagte bei ihm, erbat Rat, er hatte für alles Verständnis, es überraschte ihn nichts, er hatte viel gesehen, auch selber viel mitgemacht, er war alt und klug.

      In der Gesellschaft des Meisters gab es einen munter und adrett wirkenden kleinen Herrn mit auffallend schönem, soigniertem weißem Haar über einer rosig appetitlichen Miene. Marion und Martin schienen mit ihm intim zu sein, auch Marcel und die Schwalbe kannten ihn, David hatte ihn nie gesehen. Er hieß Bobby Sedelmayer und war der Manager der Knickerbocker-Bar in Berlin gewesen – eines Etablissements, in dem die arriviertesten von den Stammgästen der Schwalbe sich mit dem eigentlichen Kurfürstendammpublikum, den Snobs und den hochbezahlten Künstlern, begegneten. Der kleine Sedelmayer und die Schwalbe standen in einem neckisch-gespannten Verhältnis, jedoch überwog die schalkhafte Nuance; denn im Grunde waren sie nie Konkurrenten gewesen, da bei der Schwalbe die Erbsensuppe dreißig Pfennig, bei Bobby der Cocktail fünf Mark kostete. Nun hatten sie beide ihre Pforten schließen müssen und begegneten sich auf der Terrasse des »Dôme« – beide übrigens durchaus optimistisch, bei allem Ernst der Situation, und den Kopf voller Pläne. Bobby hatte in seinem Leben mindestens schon fünfundzwanzig verschiedene Professionen gehabt, hinter ihm lagen vielerlei Abenteuer, es war erstaunlich, daß er immer noch ein so rosig-adrettes Aussehen zeigte. Er war vermögend und er war bettelarm gewesen. Er hatte in einem großen Kunstsalon in Frankfurt am Main Picassos verkauft und zu Berlin heiße Würstchen, nachts, auf der Friedrichstraße. Er war Fremdenführer in New York gewesen und Schauspieler in München, Journalist in Budapest und der Empfangschef eines Institut de Beauté an der Tauentzienstraße in Berlin. Er war einfallsreich, tapfer, immer guter Laune, intelligent und unverwüstlich. Marion küßte ihn auf beide Backen, er zog sie sofort beiseite, um ihr mitzuteilen: »Jetzt mache ich natürlich in Paris ein Lokal auf, der alte Bernheim wird mir das Geld geben, du kommst doch zur Eröffnung, ich will es diesmal ganz schick machen – Avenue de l’Opéra, große Negerband – der alte Bernheim scheint ziemlich viel money im Ausland zu haben …«

      Außer Bobby fand sich ein verschüchtert wirkender Jüngling an Samuels Tisch: ährenblondes, artig gescheiteltes Haar, das hübsche, glatte Gesicht etwas entstellt durch mehrere Pickel auf der Stirne und um den Mund; dunkel und nicht ohne Feierlichkeit gekleidet, mit breiter, schwarzer Krawatte, im Stil lyrisch gestimmter Heidelberger Studenten. – Martin