Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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wenn Du mir morgen telegraphierst: Ich habe meinen Fehler eingesehen. Ich komme zurück.

      Aber das passiert wohl nicht. Du bist ja so verdammt eigensinnig, altes Haus! Alles Gute! Dein Kamerad Dieter.

      Dieter war ziemlich erschöpft, nachdem er dies alles geschrieben hatte. Einen so langen Brief – schien ihm – hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht abgefaßt. Er lehnte sich in den Sessel zurück.

      Er war ein hübscher, hoch aufgeschossener Junge, mit blondem Haar, einem langen Schädel, blanker Stirn, blauen Augen und einem weichen, kindlichen Mund. Es gab in seinem Gesicht keine Falten.

      Draußen zog ein Trupp von SA-Leuten vorbei. Sie sangen. Dieter trat ans Fenster, um ihnen zuzuhören. Das Lied gefiel ihm nicht. Auch ihre Stimmen klangen nicht angenehm. Er machte das Fenster zu.

Erster Teil 1933—1934

      Doch uns ist gegeben,

      Auf keiner Stätte zu ruhn,

      Es schwinden, es fallen

      Die leidenden Menschen

      Blindlings von einer

      Stunde zur andern,

      Wie Wasser von Klippe

      Zu Klippe geworfen,

      Jahr lang ins Ungewisse hinab.

      HÖLDERLIN

      »HYPERIONS SCHICKSALSLIED«

Schreibmaschinenschrift

      mager; über seinem Gesicht, das wie aus Wachs gebildet schien, stand das schwarze harte Haar aufrecht, wie in ständigem Entsetzen gesträubt – erkundigte sich, ob man noch etwas zu essen bekommen könne. Die Kellnerin war schon im Begriff zu verneinen, als die Patronne, von der Theke her, ihre Stimme vernehmen ließ: aber gewiß doch, es seien noch zwei Portionen Poulet da, außerdem ein »Schnitzel Viennois«, und für eine der Damen könnte man ein Omelett machen. Die vier schienen es zufrieden; während sie sich um einen Tisch in der Ecke niederließen, erklärte der junge Mann, der vorhin mit der Kellnerin verhandelt hatte: »Ich habe neue Berliner Zeitungen besorgt!« Dabei legte er den Stoß von Papieren vor sich hin. Das junge Mädchen schnitt eine Grimasse und sagte: »Pfui!«

      Sie redeten deutsch – was das Ehepaar am Nebentisch aufhorchen ließ. Nun war es die Amerikanerin, die eine angewiderte Grimasse schnitt. Gleichzeitig zuckte sie die Achseln und sagte etwas zu ihrem Gatten, was sich wohl in einem kränkenden Sinn auf die Deutschen im allgemeinen und die vier am Nebentisch im besonderen bezog. Der Gatte schien ihr in allen Punkten recht zu geben; er nickte empört und rief dann schallend: »L’addition, Mademoiselle!«

      Die Deutschen inzwischen hatten ihre Zeitungen vor sich ausgebreitet. Das Mädchen sagte, mit einer schön sonoren, etwas grollenden Stimme: »Auch noch Geld ausgeben für das Dreckszeug! Eine Schande!« Während ihr Gesicht vor Ekel verzerrt blieb – als läge etwas Stinkendes, eine kleine Tierleiche etwa oder Erbrochenes, auf dem Tischtuch, zwischen den Gedecken – streckte sie ihre langen, unruhigen, muskulösen Hände gierig nach den Papieren aus. »Laß gleich das Scheußlichste sehen!« rief sie und lachte finster. »Die Berliner Illustrirte!« Der schwarze Hagere hielt ihr mit melancholischer Neckerei das Titelblatt der Illustrierten hin: es zeigte den Führer und Reichskanzler in idyllischem Tête-à-tête mit einem kleinen blondbezopften Mädchen, das ihm einen enormen Blumenstrauß überreichte. »Ist er nicht schön?« fragte der Bleiche, wobei sein Lächeln säuerlich war. Die ältere Frauensperson – sie fiel durch kurzgeschorenes, hartes graues Haar und ein rotbraunes Kapitänsgesicht auf – stemmte die Arme in die Hüften und machte dröhnend: »Hoho!«

      Die amerikanische Dame sagte, ziemlich laut: »Disgusting!« und stand auf. Die vier Deutschen, in den Anblick des Bildes versenkt, überhörten den Ausruf; sie sahen auch nicht, was für ein furchtbar drohendes Gesicht die Amerikanerin hatte, als sie nun, vom Gemahl gefolgt, das Lokal durchquerte, um die Ausgangstür zu erreichen. »Er bekommt einen Bauch!« stellte animiert der zweite junge Mann fest und meinte den »Führer«.

      Als die Amerikanerin an dem Tisch vorbeikam, wo deutsch gesprochen und das Hitler-Bild betrachtet wurde, blieb sie eine Sekunde lang stehen und sagte sehr deutlich: »À bas les boches!« Ihr französischer Akzent war leidlich, jedenfalls viel besser als der des Gatten, der noch breit hinzufügte: »À bas les nazis!« Dabei hatte er sich der Türe genähert. Die Dame aber wandte sich noch einmal um, und nun spuckte sie aus. Auf eine Entfernung von mindestens zwei Metern spuckte sie recht kräftig und geschickt – man hätte es der respektabeln, keineswegs jungen Person kaum zugetraut – so daß eine nette, saftige Portion Speichel direkt neben den Schuhen des hageren jungen Mannes auf den Fußboden klatschte. Dann fiel die Türe hinter der Amerikanerin zu.

      Die Kellnerin und die Patronne des Lokals hatten den Vorgang wortlos beobachtet; die Kellnerin mit einem kaum sichtbaren, hämischen Grinsen, die Chefin mit einem Achselzucken, als wollte sie sagen: ›Wozu soviel Aufregung wegen dieser Deutschen? Solange sie ihre Zeche zahlen, soll mir alles andere egal sein …‹

      Die vier am Tisch waren so erschrocken und derart fassungslos erstaunt, daß mehrere Sekunden lang keiner von ihnen ein Wort hervorbrachte. Die beiden jungen Männer und das Mädchen waren sehr blaß geworden, während das Gesicht der Alten leuchtend rotbraun blieb. Sie war es, die das Schweigen brach, indem sie schallend zu lachen begann. »Das ist wunderbar!« brachte sie unter großem Gelächter hervor, wobei sie mehrfach dröhnend auf die Tischplatte schlug. »Ausgerechnet uns muß das passieren! Das ist köstlich! Nein, so was!« Die beiden Jungen versuchten mitzulachen; aber das Resultat ihrer Bemühung war kümmerlich, nur die bittere Andeutung eines Lächelns kam zustande. Das Mädchen schaute vor sich hin auf den Teller und sagte leise: »Ich finde es gar nicht komisch.« – »Warum nicht komisch? Wieso nicht?« wollte die Alte wissen. Aber nun gestand der zweite junge Mann – der blond und stattlich war, mit einem hellen, großflächigen, hübschen, etwas weichen und müden Gesicht: »Ich kann mich eigentlich auch nicht besonders darüber amüsieren. Mein Gott, bin ich erschrocken!« Dabei führte er die Hand ans Herz und blickte aus großen, entsetzten Augen, kokett um Mitleid werbend, von einem zum anderen. Der hagere Schwarze betrachtete grüblerisch den Speichelpatzen, der noch neben seinen Füßen auf dem Boden lag. »Vor zwei Wochen«, sagte er leise, »vor genau zwei Wochen hat in Berlin, auf dem Kurfürstendamm, ein SA-Mann mich angespuckt. Auch aus ziemlicher Entfernung. Er traf noch etwas besser als diese Lady: sein Speichel klebte an meinen Schuhen …« In eine kleine Stille hinein, die diesem Bericht folgte, sagte die Grauhaarige: »Armer David …« Die Kellnerin stellte mit einem demonstrativen Mangel an Höflichkeit die zwei Portionen Poulet, das Schnitzel Viennois und ein Omelett auf den Tisch.

      »Man hätte die Leute ja aufklären können«, sagte der blonde junge Mann mit dem schönen, weichen Gesicht – er hatte eine schleppend melodiöse Art zu sprechen; seine Worte kamen zögernd und einschmeichelnd daher. »Man hätte ihnen auseinandersetzen können, daß wir zwar vielleicht ›des sales boches‹, aber sicher nicht ›des sales nazis‹ sind. Nur scheint mir ungewiß, ob die Herrschaften sich für solche Nuancen überhaupt interessiert hätten; für sie ist das alles wohl das gleiche …« Er zuckte die Achsel und lächelte resigniert. »Außerdem ließen sie uns keine Zeit zu ausführlichen Konversationen.«

      Das Mädchen mit der schönen, grollenden Stimme schob die Zeitungen fort, die immer noch aufgeschlagen zwischen den Weingläsern und den Tellern lagen. »So was muß man sich gefallen lassen! – Ich war gleich dagegen, daß man sich mit dem Schmutzzeug« – sie gab den Papieren noch einen wütenden Stoß – »in ein öffentliches Lokal setzt. Es ist eben einfach zu kompromittierend!« Sie sah reizvoll aus in ihrer Empörung. Aus ihren Augen, die eine merkwürdig dunkelgrüne, ins Schwarze spielende Färbung hatten, schlugen Flammen des Zornes. Der blonde junge Mann – er hieß Martin Korella – legte ihr den Arm um die Schulter und bat mit der schleppenden Schmeichelstimme: »Ärgere dich nicht, Marion! Wir sind ja eigentlich gar nicht gemeint gewesen. Im Grunde war es doch ein recht erfreulicher kleiner Zwischenfall: er beweist, wie unbeliebt die Nazis draußen sind. In Amerika scheint ja eine nette Stimmung gegen sie zu herrschen. – Die freundlichen Herrschaften sind doch Amerikaner gewesen?« fragte er. Das Mädchen