Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
Скачать книгу
allmählich dahinterkommen – dies erwartet der Herr. Oft grämt und wundert Er sich, weil ihr dermaßen störrisch seid, und so schwer von Begriff! Ich habe Ihn schon fassungslos gesehen – fast entmutigt durch die frevelhafte Blödheit Seiner Kreatur. Niemand kann es Ihm verübeln, daß Er zuweilen die Geduld verliert – so widerspenstig und ahnungslos, wie ihr euch verhaltet. Vor allem Neuen scheut und bockt ihr und versucht, ihm auszuweichen – ohne den schönen Plan darin zu erkennen. Dann wird der Herr sehr betrübt. Riesige Schatten verfinstern Ihm Blick und Stirn – ich kann dir sagen, das Herz zerspringt einem, wenn man’s sieht. Wir singen Hymnen, umkreisen tanzend Seinen glühenden Stuhl, probieren es mit jedem Schabernack, allen spaßigen und ehrfurchtsvollen Gesten – um die große Dunkelheit zu verscheuchen, die auf dem Angesicht des Vaters liegt. Ach – wir strengen uns umsonst die Kehlen an, mit emsigem Jubilieren! Die Gottesstirn bleibt verfinstert.«

      Dies erschütterte Kikjou und machte ihn sehr beklommen. »Wenn sogar die Höchste Instanz oft den Mut verliert – welche Hoffnung bleibt uns, Seinen schwachen, fehlbaren Geschöpfen?«

      Der Engel sprach: »Euch bleibt große Hoffnung. Die Tatsache, daß der Liebe Vater Sich um euretwillen solcherart grämt und erzürnt, beweist Seine innige Teilnahme – die in der Tat jedes erdenkliche Maß überschreitet. Er produziert Tag und Nacht neue Projekte – alle euch betreffend. Er will euch Störrischen auf den rechten Weg zwingen.«

      »Wenn Seine Politik uns gegenüber nur nicht so schrecklich undurchsichtig wäre!« klagte Kikjou. »Zu gewissen Zeiten scheint sie nur aus Willkür und Grausamkeit zu bestehen!«

      »Willkür und Grausamkeit!« Der Engel wurde sehr ernst – dies ging entschieden zu weit. »Da sieht man, wie sich eine Undankbarkeit, die ans Rebellische grenzt, mit fast idiotischem Mangel an Intelligenz garstig bei euch verbindet! – Hat Er euch nicht Seinen Sohn geschickt, damit es nur weitergehe und der Prozeß eurer Selbsterlösung nicht stocke? – Sohn und Vater sind fast die gleiche Person – es scheint unpassend, zwischen ihnen zu unterscheiden. Wir im Paradiese nennen und lobpreisen die Zwei-Einheit in einem Atem. Er tat dies Äußerste und Liebevollste; Er litt, wie unter euch nur der Ärmste; Er trug das Kreuz; Er schmeckte Gallenbitteres auf Seiner Zunge, in den Triumph Seiner Auferstehung nahm Er das Aroma von Blut und Essig mit. Solches nahm Er auf Sich – höchst überlegter, kluger, inniger Weise – und ihr sprecht von Willkür, Grausamkeit!«

      »Es ist nichts besser geworden«, sagte traurig der Sterbliche. »Du weißt doch, wie sehr und stark ich meinen Erlöser lieb habe und ihm ganz vertraue. Um der historischen Wahrheit willen aber bleibt zu konstatieren: Nichts ist besser geworden, seit er schmachtete, verging und strahlend auferstand.«

      Der Engel, nach kurzer Pause: »Das liegt an euch – nur an euch. Er hat euch Verhaltungsmaßregeln hinterlassen, die sind sehr schön und tief. Manches von den Plänen und Absichten ist in sie eingegangen – faßlich gemacht, eurem intellektuellen Niveau pädagogisch angepaßt. Jedes Kind könnte verstehen, was der Liebe Vater drastisch andeutete, durch den menschlich gewordenen Mund des Sohnes – der als Nazarener unter euch ging und litt. Die Kinder haben es wohl begriffen. Aber die Erwachsenen! – Ihr seid scheußlich störrisch.« – Der Bote schien es kaum noch eilig zu haben mit seinem Aufflug und mit dem Bericht vor der Höchsten Instanz. Er verzögerte sich, zwischen den bleichen Gipfeln – sei es, weil die Unterhaltung ihn ablenkte und ergötzte; sei es, weil er auch dieses Gespräch noch einbeziehen und verwenden wollte in seinem knappen und umfassenden Rapport.

      »Und deshalb werden wir gezüchtigt?« fragte der Mensch.

      Der Engel klärte ihn auf: »Von Züchtigung kann nicht die Rede sein. Der Herr verhängt Unannehmlichkeiten über euch, damit ihr nur aufwacht – ihr Schläfrigen! Damit ihr euch der Pflichten bewußt werdet und dem Neuen eifriger dient, werdet ihr in Abenteuer gestürzt. Er versucht alle Mittel, zwecks Beschleunigung des Prozesses – die sanften wie die weniger glimpflichen. Krieg und Pestilenz, jede Art von Ruin, jede Form des Schmerzes, der Erniedrigung – lauter erzieherische Tricks, im Sinn und Dienst der gnadenvollen Heilskonstruktion.«

      »Und die Heimatlosigkeit, der Verlust des Vaterlandes?« erkundigte sich Kikjou. »Das gehört auch zu den – ›Tricks‹, wie du Maßnahmen so radikaler Art zynischerweise bezeichnest?«

      Der Engel bestätigte mit ungerührter Miene: »Auch die Heimatlosigkeit – und gerade sie! – Die Seßhaften, Besitzenden, Satten sind oft die Dümmsten und durchaus störrisch, was das Neue, den Heilsprozeß Fördernde betrifft. Sie machen sich zu Saboteuren der Pläne und Absichten – wodurch sie zum Skandal werden vor der Höchsten Instanz. – An maßgebender Stelle neigt man zu der Ansicht, daß der Schmerz euch sowohl feinfühliger als auch tapferer mache. Der Umgetriebene, Unbehauste, Überallfremde hat vergleichsweise gute Chancen, dem Allerhöchsten Plan gerecht zu werden. Ihr sollt mutig sein; denn die Väterliche Konzeption eurer Vollendung, der Göttliche Wille zur Utopie, ist nicht nur sehr vernünftig, sondern auch verwegen. Seid verwegen! Das Leben, das ihr aufs Spiel setzen könnt, ist keine so große Sache. Mit einem Schwerte wurdet ihr vertrieben aus dem Paradies; mit einem Schwerte sollt ihr es zurückerobern. Ihr müßt euch die Heimkehr erkämpfen, ihr Heimatlosen! Er bevorzugt die flammenden Herzen – denn Sein Element ist das Feuer, Sein wehender Odem ist Glut.

      Die Lauen sind es, die Er aus dem Munde speit. Wer gar zu lange traulich hockt, in der Heimat, wird lau und lahm: es ist beinah unvermeidlich. Deshalb schickt der Liebe Vater euch auf Wanderschaft. Den Staub vieler Landstraßen sollt ihr schlucken, das Pflaster vieler Städte sollt ihr treten, viele Meere sollt ihr überqueren, und auch durch Wüsten führt der lange Weg. Alle Erkenntnisse und Impressionen, die ihr sammelt, könnten, in ihrer Summe, eine erste, leichte Ahnung von den Absichten und Plänen ergeben – auf dergleichen hofft der Herr. Es ist ein Väterliches, Königliches Experiment: natürlich kann es mißlingen. Bleibt ihr stumpf und störrisch? Das wäre peinlich – besonders für mich, euren Schutzpatron. Bereitet sich die ahnungsvolle Erkenntnis, und ihre couragierte Umsetzung in Aktion, bei ganz anderen vor, während gerade ihr, denen man so exquisite Chance gibt, euch kosmisch blamiert? – Tut mir doch das nicht an! Wovon sollte ich dann berichten? Die variablen Symptome der Entwurzelungsneurose sind kein ergiebiges Thema. Schließlich bin ich kein Mediziner …«

      Dabei fiel ihm endlich der Rapport wieder ein, der auf glanzumflossenem Fauteuil mit grimmiger und liebevoller Ungeduld erwartet wurde. – Wie leicht versäumen sich Boten – selbst solche, die für gewissenhaft gelten! Sie schwatzen und schweben, aus Zärtlichkeit für die Kreatur. Der Liebe Vater bleibt eine Weile unbelehrt über Tun und Lassen, Unfug und Martyrium Seiner Sorgenkinder – weil es Seinem Diener gefällt, einem hübschen kleinen Sterblichen zu imponieren mit Weisheitsbrocken, die vom Flammenstuhl zu den Heerscharen fallen. Durch ein Lächeln, einen Blick, eine Träne, durch eine huschende Verfinsterung auf der Stirn, verrät der Herr zuweilen, was Er lieber für Sich behielte. Die Engel aber schnappen alles auf; vielleicht mißverstehen sie manches oder interpretieren es in ungehöriger Weise. Sie tragen es geschäftig weiter, in die Menschenwelt. Göttliche Andeutungen, ein Nicken, Winken, Schluchzen, versuchen sie in Menschenworten auszudrücken – die Formulierung bleibt ungenügend; das Resultat ist konfus.

      Was sollte Kikjou anfangen mit dem fragmentarischen Bericht vom Flammensitz – ihm zugeflüstert, zugeraunt, zwischen den bleichen Gipfeln? Er war enttäuscht und verwirrt zugleich. Das Gehörte reizte ihn zum Widerspruch – die Kreatur ist rebellisch! – er spürte aber auch, daß es sein Fassungsvermögen wesentlich überstieg. Sein schweres, irdisches Herz ward noch schwerer; es zog ihn hinab – während der pflichtvergessene Herold seinerseits sich geschwind entfernte. Kikjous Füße berührten festen Grund: er wußte nicht genau – war es schon der steinerne Boden seiner vertrauten Zelle oder noch das Gletschereis, das wir ewig nennen und das auch einmal schmilzt.

      Es tat ihm wohl, wieder auf eigenen Füßen zu stehen; Gewicht und Reizbarkeit seines Leibes wieder lebendig zu spüren. Er kniff sich selbst in den Arm und war froh, daß es weh tat. Sein Herz war ruhig und voll Freude.

      Woher kam solcher Trost? Noch aus den Worten des Engels – die doch eher quälend gewesen waren? Oder tröstete nur die Heimkehr ins Irdische, das Ende von Flug und Entrückung? – Unser Körper ist schadhaft und plump, auch wird er zu Staub zerfallen: man sei immer