Marion ihrerseits glich nun einem Schulmädchen, das in peinlicher Sache verhört wird und sich schämen muß. »Er hatte mich wohl satt.« Eine flüchtige Röte lief über ihr blasses Gesicht. – »Er ist nach Europa gefahren«, sagte sie noch. »Er will kämpfen.«
Der Liebhaber examinierte sie weiter. »So waren Sie ganz allein?«
Sie bestätigte: »Ich war ganz allein.«
»Ein Kind ohne Vater …« Er schüttelte nachsichtig und verwundert das Haupt. »Das ist doch eine große Unannehmlichkeit …«
»Was Sie nicht sagen …!« Sie lachte erbittert; griff nach einer neuen Zigarette.
Seine Stimme ward feierlich. »Nun hat es ja einen Vater. – Ihr Kind wird meinen Namen tragen, Marion!«
Dabei war er auf sie zugetreten. Er legte die Arme um ihren Hals. Er war etwas kleiner als sie. Sie neigte ihr ermüdetes, blasses, schönes Gesicht, damit er es küsse. Sie hielt stille in seiner Umarmung. Er suchte nicht ihren Mund. Seine Lippen berührten sehr vorsichtig ihre gesenkte Stirn.
Sie fragte, bewegungslos: »Wird das fremde Kind Sie nicht stören?« Darauf er – milde tadelnd, als müßte er sie an das Bekannteste und Wichtigste erinnern: »Ich liebe dich.« Sie lächelte, dankbar und erschöpft. – »Wirst du dich daran gewöhnen können, daß ich dich so sehr liebe?« erkundigte sich Professor Abel besorgt. »Werde ich dir nicht lästig sein? Wirst du mich gerne haben? Und auf welche Art?«
Sie hatte eine sanfte Gebärde der Abwehr. »Es ist doch noch nichts entschieden …« Gleich mußte sie erleben, daß er wieder heftig ward. – »Es ist alles entschieden!« Mit gravitätischer Schalkhaftigkeit fügte er hinzu: »Das Kind braucht doch einen Vater!«
In ihrem Kopf waren müde, wirre Gedanken. Sie überlegte: ›Wie schlau sie sind – diese Liebenden! Sie nutzen alles zu ihrem Vorteil … Ich habe nicht gewußt, daß ihm so viel an mir liegt. Es muß ihm ungeheuer viel an mir liegen, da er keinen Anstoß nimmt an meiner Schwangerschaft. – Tue ich etwas Schlechtes, wenn ich ihm erlaube, der Vater meines Kindes zu sein? Wen könnte ich fragen? Ich habe nur die Antwort, die aus mir selber kommt …‹
Die Augen des Liebenden wanderten unersättlich über die Landschaft des geliebten Gesichtes. Sie verweilten auf dem Mund, der mit großer, schön geschwungener Kurve sich festlich darbot. – Der Liebende sah: ›Ihre Lippen öffnen sich. Sie erwartet den Kuß. Man lebt lange, geht durch manche Qual – und ein atmender Mund, der sich lächelnd öffnet, bringt unvermutet die stumme Botschaft, die Verheißung und die Erfüllung. Mir ist Glück beschieden – wer hätte es je gedacht …!‹
Die nächsten Tage waren voll Gespräch; es galt, die Vergangenheit zu besprechen und die Zukunft. Was die Zukunft betraf, so schien alles einfach. Abel hatte beschlossen: »Wir heiraten in etwa vierzehn Tagen.« Marion fand nichts einzuwenden. Sie schaute ihn sinnend an; lächelte; schwieg; fragte schließlich: »Machen wir keinen Fehler?« Darauf Benjamin, sehr zuversichtlich: »Wir tun das Richtige.« Da nickte sie ernsthaft: »Ja. Es ist wohl das Richtige, was wir tun.«
Sie würde ihren Kontrakt erfüllen, die Tournee zu Ende führen; neue Angebote aber wollte sie ablehnen. Ende Februar verließ Benjamin die Universität im Mittelwesten; er hatte schon ein anderes Angebot, aus einem der südlichen Staaten. »Dorthin reisen wir zusammen, als Herr und Frau Professor.« Er freute sich sehr darauf. »Und dort kommt dein Kind zur Welt. Unser Kind …« schloß er innig.
Die Vergangenheit war komplizierter als die Zukunft. Beide hatten viel zu erzählen. Marion erfuhr Benjamins ganzes Leben, nichts ward ausgelassen, weder die brave Annette noch das süße Stinchen. Das »Huize Mozart« kam vor und der schaurige Brummer, Herr Wollfritz, das Flüchtlings-Comité in Skandinavien, die ersten schweren Wochen in New York: alles wurde beschworen. »Anfangs habe ich mich vor Amerika gefürchtet«, gestand er. »Und jetzt bin ich so gerne hier …«
Wie schwierig war es für Marion, von Marcel zu berichten! Auch Martin und Kikjou waren Figuren, die sich in gedrängter Form kaum beschreiben ließen. Sie verweilte lange bei Tilly, ihrer armen Schwester: Benjamin erschrak und erbleichte, als er von ihrem Abenteuer hörte und wie arg es geendigt hatte. »Arme Tilly! Arme Marion!« Er nahm sanft ihre Hand. Und: »Arme Marion!« sagte er noch einmal, als sie Tullio schilderte und die kurze, heftige Wonne, die sie mit ihm genossen hatte. War er eifersüchtig? Er sagte:
»Du hast dich noch niemals lieben lassen, wie eine Frau sich lieben lassen soll – jetzt geschieht es dir zum ersten Mal, oder du duldest es zum ersten Male. Du hast zuviel experimentiert, das war sehr gefährlich. Du bist doch kein Junge – wenngleich du magere Glieder wie ein Junge hast. Du bist eine Frau – die amazonenhafte Allüre kann keinen täuschen, der dich wirklich kennt.« – »Amazonenhafte Allüre?« Sie schien ein bißchen gekränkt. Er belehrte sie zärtlich: »Du hast ein Element, einen Teil deines Wesens überbetont – ein echtes Element, einen wichtigen Teil; aber etwas anderes ist zu kurz gekommen. Du warst zu aktiv. Du hast deine jungen Freunde geliebt – beinah wie ein Mann die Frau lieben soll. Dadurch hast du dir viel Schmerz angetan und bist reif geworden, weil du gelitten hast. Jetzt beginnt etwas Neues für dich, auf der Höhe deines reichen Lebens. Du wirst ein Kind haben, und du erlaubst einem Mann, dich zu lieben.«
Marion hörte sich dies an und fand es teilweise richtig. Gerade deshalb wurde sie ärgerlich. Sie zerknackte Streichhölzer zwischen den Fingern. »Die Zeit der Jugendtollheiten wäre also vorbei.« Ihr Lächeln war ziemlich sauer. »Darauf läuft deine kleine Predigt doch wohl hinaus.« – Er blieb ernst, obwohl sie kicherte. – »Etwas Neues fängt an!« erklärte er, mit bewegtem Nachdruck.
Er rührte sie durch seine feierliche Unbeholfenheit. Sie fand ihn auch etwas komisch. Sie fühlte sich sehr wohl in seiner Nähe, er hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Ihr Lachen bekam sanftere Laute. Ihr lachendes Gesicht barg sie an seiner Schulter. Er hörte sie sagen: »Alter Benjamin! Ich mag dich … Ich mag dich … Wenn du nur nicht immer wie ein Lehrer sprechen wolltest! Natürlich fängt etwas Neues an. Das Leben hat es so an sich, immer neue Situationen zu produzieren. Das ist ja das Interessante! – Das ist ja das Schöne …« gestand sie an seiner Schulter.
Am Silvesterabend gab Professor Abel eine »party« in seiner gemütlichen kleinen Wohnung. Marion erschien vor den übrigen Gästen – Benjamin hatte es ausdrücklich verlangt. »Du bist die Hausfrau und mußt meiner Lucy helfen, das Buffet zu richten.« Lucy war eine fröhliche, dicke Negerin, dem Professor sehr herzlich ergeben, und übrigens, als einzige Person in der Stadt, von seinem neuen Glück unterrichtet. Sie küßte Marion die Hand und strahlte über das ganze Gesicht. »My Professor sure got himself a fine girl!« stellte sie mit Befriedigung fest.
Was das Buffet betraf, so war es schon in perfekter Ordnung. Marion fand: »Für mich bleibt nichts mehr zu tun.« Benjamin aber erklärte, animiert und geheimnisvoll: »Es ist sehr gut, daß du so früh gekommen bist!« Er hatte eine Überraschung vorbereitet – wie sich bald erwies. »Bei uns ist es jetzt sieben Uhr«, bemerkte er schmunzelnd. »In Zürich haben sie ein Uhr morgens.« Marion wußte nichts damit anzufangen. »Natürlich«, sagte sie. »In Zürich ist der Silvesterabend schon vorbei.« – Benjamin, munter und rätselhaft: »Hoffentlich noch nicht ganz!« Dann rückte er mit der Überraschung heraus: »Ich habe eine Telefonverbindung nach Zürich angemeldet!« – »Eine Telefonverbindung?« Marion konnte es gar nicht fassen. »Ich soll mit Mama sprechen? – Aber das muß furchtbar teuer sein!« Sie war recht erschrocken. Benjamin rieb sich die Hände. »Es ist mein Weihnachtsgeschenk, mein Neujahrsgeschenk und mein Verlobungsgeschenk!« Sie hatte ihn noch nie so aufgeräumt gesehen. Er behauptete übermütig: »Ich kann es mir leisten! Ein wohlbestallter Professor darf wohl mal mit seiner Schwiegermutter telefonieren!«
Da läutete schon das Telefon. Lucy watschelte hin – Benjamin ihr nach und riß ihr den Apparat aus der Hand. »Ist das Pension ›Rast und Ruh‹ in Zürich?« fragte er gierig. Es war Pension »Rast und Ruh«. – »Marion – deine Mutter!« rief Benjamin.
Frau