Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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und wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand. In den Augen seines Vaters, dessen war Hubert sich bewusst, war er der anständige, guterzogene Sohn, der eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Bisher hatte Hubert sich nicht dagegen gewehrt – er wusste seit Kindesbeinen an nichts anderes und dennoch...irgendetwas zog ihn weiter. Irgendetwas ließ ihn nicht zur Ruhe kommen und er fragte sich oft, was das sein konnte und ob er den Grund dafür eines Tages finden würde. Es war seine Bestimmung, ebenfalls Pastor zu werden und daran gab es nichts auszusetzen. Es war ein guter Beruf, mit dem er anderen Menschen helfen konnte, wenn auch nicht so, wie er es manchmal gerne getan hätte.

      Am selben Abend gerieten sie in einen wüsten, furchterregenden Sturm. Tosende Wellen schlugen draußen an die Schiffsplanken und brachen sich an Deck.

      „Ich habe Angst“, flüsterte Nikolaus und drückte sich fester an seinen großen Bruder. Beschützend legte Hubert ihm den Arm um die Schultern.

      „Musst du nicht“, versicherte er. „Das ist immer so, wenn über dem Meer ein Sturm losbricht. Das ist immer schlimmer wie auf dem Festland, aber das macht dem Schiff nichts aus, überhaupt nicht! Das ist für solche Überfahrten gebaut!“

      Er wusste, dass das geschwindelt war und in seinem Inneren zitterte er genauso, wie der schmächtige, zarte Junge der sich fest und voller Vertrauen an ihn presste. In seiner Sorge tat Hubert das, was er gelernt hatte zu tun: Er faltete die Hände und betete lautlos, nur für sich. Er betete, dass sie das restliche Stück Weg heil überstehen würden, dass es bald vorüber wäre mit diesem entsetzlichen Geschaukel und dass niemandem an Bord etwas zustieß. Er war noch mitten in sein Gebet vertieft, als plötzlich die Türe aufgerissen wurde und helles Licht von draußen, vom Korridor hereinfiel.

      „Pastor?“, rief eine aufgeregte Frauenstimme. „Pastor, kommen Sie schnell!“

      Ruckartig setzte Friedrich sich auf. Alarmiert warf er seine Bettdecke zurück und griff im Aufstehen bereits nach seiner bodenlangen, schwarzen Kutte, die immer griffbereit in seiner Nähe lag und jetzt am oberen Bett hing.

      „Was ist passiert?“

      „Ein junger Matrose ist die Treppe hinuntergefallen! Kein Wunder, bei diesem Tanz, den der Sturm mit uns vollführt!“

      „Ich komme!“ Friedrich schlüpfte in seine Schuhe und befahl: „Los, Hubert! Steh auf!“

      Sein achtzehnjähriger Sohn seufzte innerlich, doch ihm blieb keine Wahl und so zog er seinen Arm unter Nikolaus hervor.

      „Ich komme so schnell wie möglich zurück“, versprach er und schwang sich vom oberen Bett hinunter. Auf eigenartige Weise fühlte er sich unwohl bei der Vorstellung, jetzt dort hinaus zu müssen, zwischen all die aufgeregten und verängstigten Menschen, um irgendwo nach einem verletzten Matrosen zu sehen. Womöglich war er sogar schon tot, wenn die Frau seinen Vater holte.

      Im Halbdunkeln fingerte er nach seiner Weste und den Schuhen. Sie behielten ihre Kleidung auch nachts an, für den Fall, dass sie schnell von Bord mussten. Im Schein des flackernden Lichts, das durch die offene Tür fiel, konnte er seinen Vater mit der fremden, älteren Frau zusammenstehen sehen. Er hörte jedes ihrer Worte. Sie sprach auf Deutsch mit einem weichen, württembergischen Akzent.

      „Haben Sie schon einen Arzt geholt?“, fragte Friedrich jetzt und Hubert schien es, als sei er sich auch noch nicht ganz schlüssig, wie er sich in dieser Lage verhalten sollte.

      „Mein Mann ist auf der Suche nach einem“, versicherte die Frau aufgeregt und fuchelte mit dem Arm. „Aber dazu müssen wir ja erstmal bis ganz rauf, zur ersten Klasse, wo die Seeleute alle schlafen.“

      Hubert verkniff sich den Kommentar, dass die Wegbeschreibung der guten Frau alles andere als stimmte: Die erste Klasse und die Mannschaftsunterkünfte lagen weit voneinander entfernt und die meisten Seeleute hausten nicht besser, als sie es hier taten, im Gegenteil, doch er schwieg. Hätte er nicht zufällig einen Blick auf die Pläne geworfen, die in jedem Gang für Notfälle und zur Orientierung aushingen, hätte er dies vermutlich auch nicht gewusst. Für die Frau, die jetzt eilig vor ihm und seinem Vater herlief, war der Schiffsarzt ganz einfach „irgendwo da oben“ untergebracht.

      Sie bogen in einen Seitenkorridor ab, wo vor einigen Türen ein Menschenauflauf herrschte. Sie alle wollten wissen, was geschehen war und fragten neugierig Friedrich, den sie im Vorbeilaufen als Geistlichen erkannten, doch dieser winkte nur beruhigend ab.

      „Geht wieder schlafen, Leute! Es ist bloß jemand ausgerutscht, bei einem der Hüpfer, den unser Schiff gemacht hat! Kein Grund zur Aufregung!“

      Hubert hörte ihn reden und rufen und fragte sich, weshalb er seinem Vater eigentlich wie ein Handlanger, mit zwei Schritten Abstand, folgte. Eigentlich war er hier doch völlig überflüssig! Weder er, noch Friedrich verstanden sonderlich viel von Medizin, also konnten sie sowieso nichts ausrichten, ehe nicht...nein. Hubert musste sich korrigieren. Falls dieser junge Matrose keinen Arzt mehr benötigte, dann allerdings war sein Vater der Richtige. Einige Meter vor ihnen hatte sich eine große Menschentraube gebildet.

      „Geht weg!“, rief die Frau mit lauter, schriller Stimme und zerrte an ein paar Hemden und Ärmen. „Ich habe den Pfarrer dabei!“

      Tatsächlich machten die Neugierigen Platz und ließen Friedrich und Hubert an den Treppenabsatz treten. Dort, zusammengesunken und ohne Bewusstsein, lehnte ein junger Mann, höchstens zwanzig.

      Hubert schluckte. Überall auf den weiß gestrichenen Stufen und der Wand klebte Blut. Jemand musste den Matrosen halb auf die ersten beiden Stufen gelegt und seinen Kopf mit einer Jacke gestützt haben.

      „Gütiger Himmel!“, entfuhr es Friedrich leise und er ging neben dem Verletzten in die Knie.

      Huberts Blick glitt die Treppe hinauf und dann zurück zu dem jungen Mann. Aus einer langen, hässlichen Stirnwunde tropfte unaufhörlich Blut und sein linker Arm wölbte sich seltsam verrenkt nach oben. Der Blutspur nach zu urteilen, musste er vornüber hinuntergefallen und mit dem Kopf gegen die gusseiserne Haltestange geschlagen sein. Hubert atmete tief durch, während er das hellrote Blut dabei beobachtete, wie es aus der Wunde, über das geschlossene rechte Augenlid hinab und über die Wange rann, um von dort auf die blaue Uniform zu tropfen.

      „Achtung! Lassen’s mich durch! Ich bin Arzt! Hören’s denn nicht? Lassen’s mich doch durch!“

      Hubert drehte sich zu der energischen Stimme um und stellte erstaunt fest, dass sich ein kleiner Mann von vielleicht Ende zwanzig durch die Menge schob. Sein strohblondes Haar war zerzaust, als sei er eben aufgestanden und er sprach mit deutlich österreichischem Akzent.

      „Ah, geh!“, schimpfte er jetzt und schob eine Frau beiseite. „Immer diese unnützen Gaffer!“ Er nahm kaum Notiz von Hubert oder Friedrich, sondern griff sofort nach dem Handgelenk des Patienten. „Hmm“, machte er schließlich. „Stabil und gleichmäßig.“ Er nickte Friedrich zu. „Schaut nicht so aus, als bekämen’s heute noch was zu tun, Herr Pastor!“

      Friedrich lächelte amüsiert. „Das will ich auch hoffen! Das sollte eine schöne Überfahrt für mich werden!“

      „Das kann man sich nie aussuchen“, entgegnete der schlanke, kleine Österreicher und tupfte mit seinem Taschentuch behutsam das Blut rund um die Stirnwunde fort. „Ah, ich glaube, das wird wieder.“

      „Er wird es schaffen?“, fragte Hubert und spürte, wie das Herz ihm bis zum Halse schlug. Es war das erste Mal, dass er einem Arzt bei der Arbeit zusah.

      „Sicher!“, wurde er beruhigt und eine Hand forderte ihn auf, mit anzupacken. „Wir bringen ihn trotzdem auf die Krankenstation. Da kann er sich auskurieren.“

      Er fasste den jungen Matrosen unter den Achseln und Hubert packte seine Knöchel. „Kommen Sie, wir werden den Weg schon finden!“

      Hubert nickte und spürte, wie sein Vater ihm auf die Schulter tätschelte. „Gut so, mein Junge!“ Er lächelte und beobachtete, wie sein ältester Sohn mit dem jungen Arzt verschwand.

      „Ich bin übrigens Burkhard Retzner“, sagte der Österreicher mit seinem unverkennbaren