KISHOU II. Michael Kornas-Danisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kornas-Danisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754146002
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dass es im Gegensatz zum Ersten Drom nahezu sanft in seinen landschaftlichen Formen erschien.

      Nur wenige hartkantige Felsen waren zu sehen, alles war eher abgerundet oder bestenfalls borstig – wie die Brust Boorhs, kam es Kishou einen Moment in den Sinn. Unzählige kleine Hügel und Täler – die mehr Senken als wirkliche Täler waren, sorgten für ein stetes auf und ab des Marsches. Aber das war nicht jeder Zeit ersichtlich, weil immer wieder ausgedehnte kahle Wälder und Baumgruppen die wechselnden Höhen für die Augen ausglichen. Die Bäume in den Senken wollten wohl einst der Sonne ebenso nahe kommen, wie diejenigen auf den Hügeln. Das, was die Landschaft letztlich wirklich seltsam erscheinen ließ, war, dass ihr bei aller Vielfalt jegliche Farben fehlten. Alles verlor sich in der Kontrastlosigkeit zwischen allen möglichen von zumeist hellen Brauntönen.

      Wenn sie die Höhe eines Hügels überschritten, und dieser einigermaßen baumlos war, konnte Kishou in gehöriger Entfernung immer wieder diese schwarzgrauen Säulen erblicken, die sich verschiedentlich in den Himmel erhoben, und immer wieder ihre Verwunderung hervorriefen. Große, dunkle Berge schoben sie unablässig aus ihren Gipfeln hinaus.

      „Boorh entscheidet: Es verdrängen sich viele Feuerberge in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms!“, ließ Boorh sich entgegen seiner gewohnten Wortkargheit vernehmen. Er hatte wohl das Staunen Kishous über diese Erscheinungen aus ihren geweiteten Augen, und ihrem offenen Mund erraten, mit denen sie bei jeder Gelegenheit zu ihnen hinüber starrte. Oder vielleicht war er auch so wortselig, weil er es offenbar genoss, all das zu sehen. Er hatte immerhin wohl eine halbe Ewigkeit auf diesen Anblick seiner zweiten Heimat verzichten müssen.

      „Sie erinnern mich an eine Geschichte, die mir Trautel Melanchful mal erzählt hat – da gab es viele rauchende Berge – manchmal kam auch Feuer aus ihnen raus. Sind das solche Berge?", fragte sie fasziniert.

      „Boorh entscheidet: Wenn Kishou so entscheidet, so verdrängt es das Allsein!“

      Mo war wieder einmal stehen geblieben und erspürte mit geschlossenen Augen die Gegend. Dieses Mal bedurfte es aber nicht des besonderen Gespür Mos, um zu erkennen, dass sie nicht alleine hier in der Gegend waren. Ein unüberhörbares Gezeter, schreiende Laute und das Krachen berstender Äste zeigte an, dass unweit vor ihnen offenbar ein heftiger Kampf entbrannt war.

      Kishou schrak heftig zusammen, und drängte sich dicht an Boorh, der in dem selben Augenblick bereits seine Axt aus dem Schulterhalfter gezogen hatte. Aber es war wohl mehr ein Reflex, denn eine unmittelbare Bedrohung bestand nicht. Der Kampf fand ohne Zweifel ein erklägliches Stück weiter vor ihnen statt.

      Mo schien letztlich auch eher unbeeindruckt von dem Geschehen, und schwenkte einfach nur nach rechts ab, wie sie es immer tat, wenn sie meinte, ein Revier umgehen zu müssen.

      „Was ist das?!“, fragte Kishou dennoch etwas besorgt.

      Boorh schob bereits seine Axt wieder in seine Ruhestätte zurück. „Boorh entscheidet: Nur eine kleine Bemessung der Kräfte!“

      Kishou konnte zwar die Ruhe seiner Haltung keineswegs teilen, fühlte sich dann aber doch besser, nachdem niemand von ihren Begleitern eine ernste Gefahr erkannte.

      Nachdem sie offenbar erfolgreich dem Kampfgeschehen ausgewichen waren, kamen sie bald in ein ausgedehntes Waldgebiet. Es war ein unheimlicher Ort, befand Kishou, denn obwohl der Wald sehr dicht war, hatte die Sonne keinerlei Schwierigkeiten, ihren Weg bis zum Boden zu finden. Das blattlose Geäst bot trotz seiner Dichte den gleißenden Strahlen der Sonne kaum einen Widerstand. Mächtige hölzerne Stämme, die sich hoch in den Himmel reckten, standen dicht an dicht mit fingerdicken Stöckchen, die nicht mehr die Zeit gefunden hatten, erwachsen zu werden, und beim kleinsten Anstoß brachen.

      Hellbraun war alles hier um sie herum. Ein helles, sandiges Braun, das sich nicht von den trockenen Gräsern unterschied – und auch nicht von dem Boden, aus dem sie vor langer Zeit einmal hervorgekrochen waren. Ein einziges, großes, wunderliches Skelett, das jegliches Fleisch verloren hatte. Und doch schien es, als wollte es leben. Kishou schauderte. Das stetige Krachen des spröden Holzes um sie herum, wo immer sie mit ihm in Berührung kamen, ließ es nicht zu, dass die Ohren voraushörten, um eventuelle Gefahren einschätzen zu können.

      Seltsamerweise war dieser brüchige Wald offenbar frei von allen Wesen, die dieses Drom bewohnten. Nicht ein einziges Mal änderte Mo ihre Richtung, was darauf hindeutete, dass sie tatsächlich ganz allein in dieser seltsamen Kulisse wandelten. Als sich Kishou bei Mo darüber verwunderte, gab sie ihr zu verstehen, das man einen solchen Ort nicht verteidigen konnte, ohne ihn zu zerstören. Ein so brüchiges Revier wird niemand in Besitz nehmen wollen.

      Bis zum Abend brauchte es, bis sie den knöchernen Wald durchschritten hatten. Als sie aus ihm heraustraten, fanden sie sich am Ufer eines gigantischen Sees wieder – zumindest das, was von ihm übrig geblieben war, vermutete Kishou in einer entsprechenden Äußerung sofort. Sie wurde in ihrer Annahme von Boorh sogleich bestätigt.

      Der Anblick der weiten öden Fläche erinnerte sie an ihre ersten Schritte in der Ersten Ebene des Ersten Tals des Ersten Droms, nachdem sie Trautel Melanchful verlassen hatte – und sie ertappte sich dabei, dass sie nach unten schaute, um ihre Fußspuren zu sehen. Nach einer leichten Dünung erstreckte sich das weißlich-braune Tuch des ehemaligen Seegrundes bis zum Horizont, und riss dort in einem Spiegelbild die rote Abendsonne in tausend Fetzen. Doch sehr schnell erkannte sie die Unterschiede zu ihrer ersten Erfahrung. Der Boden war nicht gleichmäßig bedeckt mit feinem Sand, wie sie es im Ersten Drom Anfangs vorgefunden hatte. Hier war er brüchig – wie eine riesige zerborstene Glasscheibe: flach aus großer Höhe aufgeschlagen, in tausend Scherben gesprungen – und doch in einem Stück geblieben.

      Kishou setzte sich, wo sie stand, und schnürte sich das Bündel von der Schulter, um erst einmal einen kräftigen Schluck aus ihrem Wasserbeutel zu nehmen. Noch nie zuvor bis zu diesem Augenblick hatte sie das Drama der Dürre so deutlich empfunden wie in diesem Moment. Eine ganze Weile saß sie so da, und starrte in die zerrissene Ebene hinein. Auch Boorh und Mo schienen sehr beeindruckt. Regungslos und mit versteinerten Gesichtern konnten auch sie sich offenbar nicht von dem Anblick lösen.

      „Boorh entscheidet, wenn Kishou die Großen Wasser wieder wieder sein lässt im Großen Belfelland, werden ihre Augen vom Allsein trennen, was auch Boorhs Augen vom Allsein trennten, als er zuletzt diesen Ort bemaß!"

      Kishou antwortete nicht, nur ihre Hand bewegte sich langsam nach oben zu ihrer Brust, bis sie den großen kristallenen Schlüssel darunter spürte. Durch ihre Bluse hindurch umspannte ihre Hand hart den langen Schaft. „Werden wir eine Oase sehen?“, fragte sie plötzlich leise, ohne ihren Blick abzuwenden.

      „Boorh entscheidet: Der Pfad Kishous in das Zweite Tal der Zweiten Ebene des Zweiten Droms verdrängt den Ort ,Sahier’ vom Allsein. Es ist der ,Stamm des Zehnten’, der diesen Ort sein Eigen nennt. Doch Boorh kann nicht entscheiden, ob Sahier noch das Allsein verdrängt, nachdem nur noch zwei Stämme an diesem Ort bemessen sind – wie das Untere Squatsch entschieden ist.

      Die Blicke von Boorh und Mo wanderten zu dem Erwähnten, der wohl von der ganzen Situation noch am wenigsten beeindruckt war. Er kannte das Land und seinen Niedergang – er hatte es in der langen Zeit mit angesehen, und sich längst daran gewöhnt. „Oh ...!“, stichelte er gespielt erstaunt gegen Boorh, und musste sich dabei fast den kurzen Hals verrenken, um zu dem nahestehenden Muskelberg aufzuschauen. „Er hat sich was gemerkt! Er hat sich tatsächlich was gemerkt – hat er sich! Wenn eine Zeit dafür ist, musst du in mir unbedingt den Trick vom Allsein trennen, wie du das bemessen ... oh – oh ... verzeiht meine kleine unbemessene Verdrängung ... ich – äh ...!“ Er watschelte kopfwackelnd und schulterzuckend zu Kishou hinüber. „Natürlich, natürlich – es verdrängt dort eine Oase das Allsein – nicht sehr groß, ... nicht sehr groß! Die Grabenmacher hatten den ,Stamm des Zehnten‘ vor vielen Zeiten dem Allsein zugeführt. – hatten sie! ... und verdrängten jenen Ort fortan vom Allsein als ein Revier der Grabenmacher! Allerdings vor noch nicht sehr vielen Zeiten – nicht sehr vielen – nahm der Stamm der langen Schatten die Oase in seinen Besitz. Es war ein furchtbares Gemetzel ... ja, das war es! Nun ja, nun ja. Die Zeit der Oase verdrängt nicht mehr viel Raum vom Allsein – nicht mehr sehr viel. Aber