bernsteinhell. Roma Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roma Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738043129
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auf. Sie greift in die Truhe, zieht die Sagen von Karl Eduard Haase heraus, schlägt abgegriffene Seiten um, die mit den Mähren über Bäume, deren Wispern sie lauschen müsste, um zu verstehen. Sie legt es zurück auf die mystischen Sagen, die Joos ein Verdruss waren, aber ihr, in der Achtung ihrer Bestimmungen und Impulse durch lebendige Natur, immerzu Freude bereiten. Dafür ist nicht die Zeit, kühle Morgenfrische streift heran. Die Kaminglut glimmt schwach nur. Helena stapelt Scheite zu einem Stern, der lange abbrennt. Dann sortiert sie aus der Truhe rasch die löchrigen Socken in einen Weidenkorb hinein, bevor sie sich an ihr Frühstück setzt.

      Dabei in einem Buch über Tiere in Wald und Wiese blätternd, stutzt sie bei einem mageren Tier mit struppigem Fell gezeichnet, ein Rotfuchs mit weißer Brust und buschigem Schwanz. Weiter hinten hockt in einer Mulde harter Dünengräser ein Hase, mit den Hinterläufen im Sand schaufelnd.

      Helena stockt unvermittelt bei hübsch gezeichneten Rindern. Solche Flecken bedecken die Flanken ihrer Kuh, die auf ihr Melken wartet. Nur winzige Decken wären zu stricken aus dunklen Fäden, für Kälbchen, deren Ohren am Kopf abstehen. Könnte aus den Traumtieren Spielzeug für Kinder werden? Stricken könnte sie einen tapsigen Fuchs, und ihm Knopfaugen sticken. Ja, dafür taugen Joos’ Socken, und die Bilder in den Schulbüchern.

      Sie steht auf, behaftet von ihrer planenden Fantasie. In der Scheune klaubt sie zum Ausstopfen der Stofftiere Heu vom Boden auf in einen Sack. Dabei den Aalreusen näher kommend, fixiert sie die, als stören sie ihre neu errungene Aussicht. Je nun, damals stieg Joos damit in die Mündung der Beek. Sollte sie auch das übernehmen?, fragt sie sich, und denkt weiter. Steige sie in die Beek, wird der Rock nass, auch wenn sie ihn schürze. Stört nur. Eine Hose von Joos ziehe sie an und im Stall. Seines wurde ihres. Ja! Sie grabe den Kopf nicht ins Heu hinein - bessert die Aussicht nicht.

      Helena wedelt mit der Hand durch die Luft, die leidige Befangenheit verscheuchend. Nun schwappt ihr eine zurückliegende Zeit vor Augen, als Joos wegen ungeklärter Ursachen kompliziert wurde. Ein Gang an die alte Eibe half. Deren bernsteinhelle Sonnensprenkel im Grün flirrten ein Willkommen. Im Dämmerlicht tief darunter, raschelte magisch der Schemen des Wuschelhaares, rotgrau, schulterlang gewachsen dem hüfthohen Wesen vom anderen Volk. Völlig außer Atem sprang es, plötzlich wie wild vor ihre Beine. Zu Boden gestürzt, schlief sie ein im Eibenduft, träumte vom Werktisch der Kammer. Eine Kinderstimme plapperte nebenan. Nachschauen wollte sie, nur verging ihr der Impuls. Erwacht, wusste sie, weshalb der Zwerg atemlos war. Zu kurze Beine. Er bündelte all sein Feuer in dem einen Tritt, damit sie der gütigen Eibe lausche. Sie weist nicht nur den Weg ins Jenseits, auch den ins Recht im Diesseits, für ein Anerkennen des Mannes Joos, und sie sich, in der Erwartung seines Kindes.

      Umsonst war es gewesen, wie die leere Kammer. Nun liegt die einst gesehene Vision neu in ihrem Atem und sagt, Joos' Tod ändere am Recht im Leben kein Fitzelchen, auch nicht die Erde unter der Eibe. Auch ihr Alleinsein verebbe, während sie sich dem widme, was mit der Hände Arbeit gedeiht.

      Erfüllt von ihrer Erkenntnis, die ihre Hoffnungslosigkeit verdrängt, folgt sie diesem Vorsatz und greift aus dem Heu einen Ballen, trägt den zur Box, streichelt anschließend die warme Flanke der Kuh.

      Beim Melken zupft die Kuh gemächlich Halme aus der Schütte, muht ab und an zufrieden. Helenas Gedanken fliegen derweil zum Schiet unter ihr, zur Miste draußen, zu dem Wetterpfeil auf eisernen Willen, schichte sie den Haufen um auf Kartoffel- und Gemüseacker. Einzig ihr Stolz, so erkennt sie bald, darf nicht auf die Miste! Er bewirke den Mut mit den Ahlbeeker Viechern im Stricken. Die Eibe blinke ihr doch wie das Leuchtfeuer am Turm seewärts zu, beseele sie. Indes fehlt irgendetwas doch noch, während die Milch in den Eimer rinnt, der Hals der Schwarzgefleckten einmal schaukelt.

      „Fühlst du mit? Dir liegt die Käserei näher“, raunt Helena ihr zu, drückt ihre Stirn ins Fell der Flanke.

      Unruhig stampft ein Hinterbein auf, das Helena tätschelt, dann aufsteht, den Melkschemel nahebei zwischen zwei der Streben im Ständerwerk der Pfosten klemmt. Weite Kuhaugen drehen sich ihr zu, und kehliges Muhen, dem sie sich nähert. Die Zunge der Kuh leckt durch ihr Gesicht. Kichernd wischt Helena den Seim am Ärmel ab, ergreift den Milcheimer und den Jutesack mit Heu.

      So schnell wie möglich quert sie im Hof das böige Wehen; es trug die Nebelschwaden fort. Ihr Herz klopft deutlich rascher, als sie bald darauf vor den Socken am Tisch sitzt. Sie ribbelt und sortiert Wolle nach den natürlich grauen Farbtönen der Schafe und weiß nichts Wichtigeres zu tun, bis das abendliche Zwielicht sie zum Melken ruft. Helena versorgt flink die Schwarzbunte, prägt sich deren Formen ein, schon dabei überdenkend wie es weitergeht.

      Der Bogen aller Körper wäre in gleicher Art wie im goldenen Schnitt zu entwerfen, auch die kräftigen Hälse, kurze Beine, Pfoten und Hufe. Das Verhältnis bestimmt, wie eines wirkt, ein Tier an den Beinen steht. Eine Passe aus Stoff würde es hübsch betonen. Kapuzenjacken mit Ärmeln sollten es werden, mit deutlichen Nähten an Kopf und Maul, in die Kinder später hinein beißen dürfen. Dafür würden Joos’ Küstenklamotten dran glauben müssen.

      Bis weit in die Nachtstunden hinein heftet Helena. Sie gibt verstimmt ihre Entwürfe für tadellose Schnittmuster auf, als an die Fenster immer öfter Hagel knattert. Eindringlich pfeift der Luftzug über die Dielen, flirrt und kreiselt im Kamin in Glut und Asche. Die kehrt Helena zusammen, und geht schlafen. Traumlos verläuft die Nacht, in der sich ein Sturm absoluter Art ungebremst entlädt.

      In den nächsten drei Wetter verhagelten Tagen hört Helena ihre Schwarzbunte in gereizten Tönen muhen und überdrüssig quengeln. Fast erwartet Helena, den massigen Kuhkörper im Dreieck in der Streu springen zu sehen. Sie selber täte es, würde es das Drama abstellen. Allein ihre Gewissheit lenkt sie ab, irgendwann ende es, nur einander im Anlehnen zu halten. Doch ihre triste Unruhe bleibt. Die kurzen Wege in der Scheune und zwischen den Wänden der Kate reichen nicht aus. Am nächsten Morgen stiefelt Helena, den Kopf umhüllt und in den Mantelkragen gezogen, in eiskalter Februarluft ans Ufer. Am Wasser driftet ein Boot mit erdbraunem Segel gen Horizont. Den Vorgang überträgt sie auf sich.

      Fischer geben nie auf, schippern immer. Auch wenn sie auf Wellen der Armut um Seelenruhe ringen. Joos sprach genau das für sein Drücken vor der Feldarbeit. Auf ewig nun. So ewig muss ich bewahren, was mich erhält. Viel Feines schon entdeckte ich, strickte nach Eingebung. Die führe weiter, folgert auch Lehrer Johann aus den Wolken, an denen er sich besinnt. Und die Seeluft hilft mit, das Grobe von einst durch Feines im Jetzt zu ersetzen, alte Flausen zu vertreiben.

      In solch gnadenvollen Gedanken, atmet Helena tief erlöst in die Brust unter ihre verschränkten Arme, geht am Ufer ostwärts. Sie gelangt an die Verwüstung des Sturms. Zur Flutgrenze hängen Kiefern mit verkeilten Kronen, teils entrindet von der sandigen Brandung. Helena hangelt sich hindurch und zum Pfad des flachen Findling, der Landmarke nach Swinemünde.

      Sie springt auf den Stein. Zutiefst vom Toben der Elemente betroffen, ignoriert sie den wüsten Windbruch, blickt seitwärts hinab. Am Strand gehen ein paar Heranwachsende in Winterjacken. Ab und an beugen sie die bemützten Köpfe tiefer, wühlen mit den Händen im Sand, sammeln eindeutig Bernsteine. Kaum angedacht, stockt Helenas Atem, flirrt ihre Sicht als träfe sie Hagel, wiederum zur Erledigung restlicher Geschäfte umgeschwenkt. Im Gesprenkel gewahrt sie eine Bewegung aus dem borstigen Dünengras oberhalb hervorkommen.

      Zwei torkelnde Männer mit Schirmkappen wanken heraus, heben die Füße nicht. Ihre Stiefel stieben Sandregen auf, als hätten sie Spaß. Sie schlingern zum Wasser, und laufen davor ungestüm seitwärts, entreißen die Beutel den Sammlern, zerren sie grob an den Armen mit sich.

      Helena atmet stoßweise, es klärt ihre Sicht auf den Strand, aber schickt ihr erregende Stiche in ihr Gemüt. Ihr Blick wandert wie gefesselt unten umher. Das dort sieht sie nicht zum ersten Mal und spürt, im Grunde oft entkommen zu sein. Sicherlich, vor allem, denke sie an Joos’ Verbot, der mit den rangelnden Kerlen erstklassig umgegangen wäre. War es so gewesen?

      Eine kleine Scham spürt sie Gestalt annehmen, er hätte mehr Kraft. Dieser Regung folgend, wird sie ihrer Kraft sicher. Nicht weniger vehement verfolgt sie das Geschehen, unter ihr erzittert der Stein, auf dem sie steht. Doch mehr irritiert sie ihr Nichtverstehen des unten nur sichtbaren Geschreis, vor dem der Wind an- und abebbt, und in den hinein sie