bernsteinhell. Roma Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roma Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738043129
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der Fellweste löst sie ihre verschränkten Arme, umgreift das Fensterbrett, betrachtet nun doch das eigenartige Licht am Horizont. Eine schneeschwere Wolke teilt ein Strahl Abendsonne. Helenas Lider dämmen nichts des blendend hellen Lichtflirren, der golden phosphoreszierenden Farben, die ihr Augenlicht umkehrt in einen hellblauen Abdruck, und Frieden und Geborgenheit vor den Klumpen im Gemüt senden. Der stirbt, das Friedliche hat Bestand, verkrümelt sich nicht. Helena sieht herab an den Hof mit seinem Sinn, mit dem gepflastert - auch wenn darauf Schnee liegt - was sie wäre, könnte sie warten. Helena lugt aus schmalen Augen ins Abendlicht, darin flirrt ein Regenbogen. Der bunte Fingerzeig überträgt ihr eine Ahnung, die, wonach sie am Waldrand hätte forschen können.

      Oft lockt der Kaminrauch um diese Stunde Vedder an, in ihre Fenster zu spähen. Riskiert er es heute erst im Dustern? Dann erwische sie ihn keinesfalls. Eher ein andermal, vielleicht. Mit dieser Ahnung daneben gelegen zu haben, spürt sie, und zeitgleich, wie wirkungslos sein Luschern wäre, ihr leeres Heim zu ertragen, sähe sie ihn in echt. Ein lästiger Gedanke. Dennoch prickelt ihre Stirn den Hauch unumstößlichen Vertrauens wach, eine Seelenantwort, die eine ganz und gar andere Wende meint.

      Der Strahl des Abendlichts taucht ein in die Wolken. Helena wendet sich vom Fenster ab, legt mehr Brennholzscheite auf das Kaminfeuer, das ihre Kök und Schlafstube in dieser Nacht wärmt.

      Vedder steht inzwischen an der Bretterwand der Scheune, wo ihn der Wind nicht gar so trifft. Er hört ein Muhen, riecht Heu und Gülle. Doch blinzelt er magisch angezogen in das Licht der Tischlampe im Katenfenster.

      Helena verstrickt Wolle aus seiner Schur, im Herbst überaus förmlich vor seiner Kate erbeten. Sie sah seine steife Schulter an, die, im Sturz vor einen Holmen, seinem Tagwerk als Fischer das Ende gab. Helenas Blick war tiefgründig. Und, so glimmt in Vedder auf, über ihr wölbte sich im Mittagslicht ein violetter Bogen, eine gnadenreiche Faser. Kodderig wurde ihm, er rannte später um seine Kate am Schloonsee. Joos lebte damals noch. Er selber würde sie niemals verlassen, und immerzu beachten! Denn seither wurde sein Gemüt wieder froh.

      Soeben trägt Helena Strickzeug und Öllampe fort. Die Stube dunkelt. Die Nachtkälte rückt näher um Vedder als ihm lieb ist. Durch das Tor schlüpft er, lässt den Jagdsack zu Boden fallen. Dunkel umfängt ihn, und das Schnauben der Milchkuh. Auf den Pfosten davor geht er zu, gräbt sich in sein Heulager. Inzwischen kennt ihn die Schwarzgefleckte, sie fällt auf die Streu nieder, keucht ins raschelnde Stroh, bevor sie einschläft. Ihre Rempler an den Holzstäben der Futterlege wecken Vedder. Es tagt. Die Kuh reagiert, bevor die Dämmerung das Helle auf die Scheune schickt. Vedder regt seine kühlen Glieder, stakst mit einem Arm voll Heu hinüber, wischt hernach Halme von der Hose. Das Tor öffnet er knapp zum Hinausschlüpfen. Vor Eile stößt er Atemwolken in den eisigen Morgen. Er muss die Schafe seines Stalls versorgen.

      Den Holzriegel an der Hintertür öffnend, trifft ihn der vertraute herbe Geruch. Rasch legt Vedder den Jagdsack ans Gatter, greift über zu blökenden Köpfen mit hellem Fell zwischen hängenden Ohren, und geht vorbei.

      Am Spiegel bei der Stubentür nimmt er die Fellmütze ab. Speckig klebt sein Haar am Kopf. Au weh! Er geht drei Schritte weiter in die Knie, legt Zunder in den Kamin, macht Feuer mit Zweigwerk. Nach und nach entweicht den Fingern der Frost, aber nicht im Geringsten ihm der Schock über sein Spiegelbild.

      Erwägend hockt er am von Asche bedeckten Sims. Ja, Ella hätte ihm einen kalten Guss verpasst, mit festen Griffen den Kopf eingeseift! Sie schleuderte eher selber hin und her, statt ein hartes Wort zur Schluderei zu sagen. Umwerfend witzig war sie, ihr Geifern hörte er trotzdem heraus. Sie war mit sich unaufrichtig; starb daran. Ihm verblieb ihre Art als grüner Lichtblick. Und nun weiß er auch, mit Ella gab es keine so enorme Anziehung wie zu Helena. Mächtig, ja, und näher als die Wassergeister vom See, denen bloß am Schabernack und weniger daran liegt, einem armen Schäfer beizuspringen. Sind die einmal böse geworden und stur, dann schlägt man am besten Haken, die sie abschütteln.

      Sein Schlenker zu Seegeistern setzt einen Widerhall in seine Beine, so, als steckten sie im Schloonsee, vom Rand hinein gewatet, von Sommerlicht umflort. Und schon werden seine vom Schnee bedeckten Stiefel schwer wie Blei, und das erreicht seine Knie, saugend wie der See. Vedder glaubt beinahe, es steige noch höher, rüttle und trete er sich nicht los aus dem dunklen Morast. Unbeweglich kauert er am Sims, ihn treibt etwas, größer und stärker als er selber, unaufhaltsam in den Sog. Er weiß weder, wie er hinein geriet, noch, wie er herauskommt. An den Beinen lecken Sommerwellen. Er schüttelt benommen den Kopf - was es noch schlimmer macht. Ihm schwappt eine plötzliche Welle vor, eine Vision reißt ihn mit.

      Helena sieht er in ihre Scheune kommen, in deren dämmrigem Licht er hockt. Vedder sucht den Sog abzuwehren. Aber drückend fesseln Netze ihn in knotigen Maschen, durch die er einen Blick zwingt. Das Tor steht weit offen. Im selben Moment spürt er ein Gemisch aus frohem Frieden und banger Zurückweisung. Handelte er falsch? Verließen ihn alle guten Geister? Ein winziges Wissen erreicht ihn, weich wie eine in die Netzmaschen gewundene Alge: Helena lief ein Kind in den Buchenhain, um sich zu verkriechen als mutter- und vaterloses Tier. Helenas Schemen im Sommerlicht eilt dem Kind nach. Aber Vedder fesselt das Netz an seinen Platz. Doch jetzt und sofort kann er den Umstand, ein Kind würde Helena bestürzen, abschütteln.

      Ah! Die Seegeister schicken wie eh und je an diesem Ort irritierende Gedanken, dem leichten Opfer ihrer Ränke! Oder, war es gut so? Mischt sich sogar Ella ein, sein grüner Lichtblick? Schon lacht ihr Witz in Vedders Gehör, erleichtert von Zauberhand seine Beine. Einher damit reißt ein unsagbarer Druck in den Augen ihm die Fäuste hoch. Der Schmerz vergeht halbwegs. Er weiß, Helena lebt ohne ein Kind. Die unsinnige Flut entspringe nur dem Wunsch nach Kinderhänden, denen er lehre wie die Funken im Leben fliegen. Voll Wärme brennen die, hinausgekehrt gehört nachher nur ein wenig von der Asche.

      Höchst betroffen von dem, was ihn durch treibt, schichtet Vedder kreuzweise Scheite über die Glut. Bald knistert das Feuer. Er tunkt die Kelle in den Milchkübel, wärmt damit den Rest Grütze im Topf, kratzt mit dem Holzlöffel, fährt mit der Zunge nach.

      Schließlich entlässt er am Gatter das Böckchen und öffnet den Verschlag der Herde. Die schubst vorbei, erregt mit den Schwänzen wackelnd, erreicht sie das schneebedeckte Gehege. Die Keckeren springen den Bock seitwärts an, hüpfen munter. Ein paar ihrer Bäuche sind trächtig. Vedder karrt den Dung zur Miste, sein Blick streift auf die hüfthohe Räucherstelle aus seegeschliffenen Kieseln. Sein Mund muss warten. Vorerst, einige Schritte ferner, schlägt Vedder in das Eis im Regenfass, schöpft mit den Händen Wasser und benetzt sein Haar. Kernseife reibt er an seine Kopfhaut, und hält beim nächsten Guss die Luft an.

      Es tropft vom Kinn, als sein Haar am Kamin trocknet, in der inzwischen wärmeren Stube. Aus den Ecken steigt Modergeruch und muffelt krass. Zu nah am See liegt seine Kate, versinkt mit den Jahren im Grund. Vedder öffnet ein Fenster dem rauen Sturm, der die See aufschäumt, doch keineswegs seinen Entschluss mindert, die verwirrend klugen Ahnungen aus dem Gemüt zu treten, im Ziel eine Kiepe voller Fische vom Ostseefang.

      Schon vor den Salzhütten blickt er voraus, und erkennt Helena mit einem Henkelkorb zu den Frauen gehen, die sich dort über Tröge bücken. Ein Blitz voll Magie zuckt durch Vedder, schlägt entzückend ein unter seiner Fellkappe, weit über die Ohren herab gezogen, und dann auch ein im Bauch. Lautlos japst er, tritt steifbeinig zum nächsten Fischer, vor dem er den Korb vom Rücken streift, und spröde den altgedienten Mann begrüßt: „Dag och. Allens en Maaten?“

      „Sturmgebrus blev, dat kannst me glööven. Sust de Wind in Februar, reken up een godes Jahr.“ Bei seinen kundigen Worten füllt der alte Fischer den Korb mit silbrigen Heringen, patscht ein Dorsch obenauf, und seine Freude am reichhaltigen Fang.

      „De Well’ hät allens geven. Hölpt för de Appetit. Helge is nu wech. De denkt, quasselt de Ohren up.“

      Vedder hievt den randvollen Korb über seine Schulter, nickt ihm zu, und stiefelt schwer tragend im böigen Wind fort. Helena blinzelt er nach. Unter dem Sturm, der anrückt, würde er heute nicht mehr nach ihr sehen. Doch des Fischers Blick folgt Vedders, bläht seine Wangen. Bitter schluckt er an dem, was er spürt und denkt über das Unglück der jungen Frau. Er krümmt den Rücken, wendet sich ab.