bernsteinhell. Roma Hansen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roma Hansen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738043129
Скачать книгу
steht, neben der vermummten Frau mit Strickmütze, eine junge Frau, zierlich im Wuchs. Zum Wintermantel trägt sie ein Kopftuch, in das sie die Schultern hoch zieht, weder Blicke für den Fang hat noch das Boot. Zur See starrt sie. Seit den Minuten der Ankunft verrinnt ihre Zeit in taumelndem Suchen auf jeder Woge, jedem weißlich-braun gekrönten Gischtschwall.

      „Joos blieb draußen in der See, Helena“, knurrt die Stimme des alten Bootsmanns im Annähern. Auf ihre Schulter sackt seine Hand schwer, indes sein stoppeliges Kinn trotzig zuckt. Selbst ihm klingt die Mitteilung zurechtgelegt. „Keiner konnte Joos retten. Über Bord ging er - tauchte nicht mehr auf.“

      Seine letzten vier Worte befördern Helena in eine Welt aus Trümmern. In ihre Nase bohrt sich Ekel erregend der Geruch von des Bootsmanns Hand. In jähem Dreh schüttelt sie seine Hand ab.

      Der Alte rückt direkt vor sie. Helenas Gesicht ist weiß wie Muschelkalk, als ob darin alles Blut gefror. Ihr dumpfer Blick verführt ihn, so eisenhart wie die Krallen an seinem Kahn die Reling umspannen, so auch Helena von den Salzhütten fortzustoßen.

      Könnte der Fischer - wäre er in der Verfassung seine Tat zu deuten, versinke er vor Scham im Sand. Nein, ihm liegt mehr an Erleichterung. In seinen Gedanken brodelt es giftiger als aus seiner Meldung herausklang, von seinem Verlust. Und daher wendet er sich ab von der zierlichen Gestalt, deren Tuch am Kopf eine Sturmböe hinten hochschlägt. Ihren Haarzopf im Nacken tränkt der Nebel grau, an anderen Tagen schimmert daran blonder Glanz. Helena bewegen mechanische kleine Schritte, sie wankt in den kniehohen Dünengräsern oberhalb - und versinkt.

      „Vater, sieh!“, ruft Helge im Klang seiner Herztöne, die in ihm stolpern, seit der Steuermann Helena grob stieß. Vom Dünengras absehend, wedelt er seine Arme hinüber zum Vater. Weder rührt der sich, noch blickt er ihn an. Seine Sturheit kennt Helge und eilt aufwärts, scheucht zwei Möwen aus dem Nestlager. Sie stieben kreischend fort, kehren gemeinsam heim. Vor nur einem Flügelschlag von Zeit aber brach Einsamkeit über Helena herein, ermisst Helge in seiner Unschuld. Er springt der Gestürzten zur Seite, um am Weg zu ihrer Kate bei der Feuchtwiesen ihre Last mitzutragen. Mit aller Kraft rappelt er Helena hoch, umfasst ihren Rücken.

      Der Bootsmann leckt mit der Zunge in die Lücke seiner unten verbliebenen Zähne. Helge entkam ihm, wie er dem Elend und der Ahnungslosigkeit in Helena. Ihm selbst dröhnt in seinen Ohren die Brandung, sein ureigener Herzschlag und doch voll Bitternis. Einen Blick von seiner Frau möchte er erhaschen. Doch sie wendet sich mit der Hand am Mund um zu Helges Vater, der seitlich abgedreht mit hängenden Armen zur See vorausblickt.

      Ihm verdirbt die Sache unangemessen stark den Blick hinaus, kaum beachtenswert, denkt sie diffus. Ihre Arbeit wartet. Sie beugt sich, schlägt unter ihrem Mantel den Rock auf, zieht ihr Fischmesser aus einem Stiefel. Im Aufrecken entrinnt ihrer Lebenserfahrung ein abgeklärter Gedanke, ein saurer Gruß aus verbittertem Gemüt: Die Häscher brauchen keinen wie Joos, keinen unbeugsamen Querulanten. Sein Untergang zertrümmert zwar Helges Vater den Sand unter den Füßen, aber mehr darf nicht sein. Punktum.

      Ihre Schultern drückt sie zurück, und blickt zu ihrem Mann. Inmitten der Nebelwogen schüttelt er seine drängenden Gedanken ab, wohl zu Recht. Um ihr Heringseinsalzen nicht zu vergiften, beachtet sie ihn keine Minute länger. Sie wäscht den von Helge in die Tonne gefüllten Heringen den Sand ab, schlitzt sie auf. Blut und Gekröse spritzen heraus. Aber sie ahnt weit mehr ihrem ergrauten Mann bevorstehen. Das gewohnte Unvorhergesehene, den Dunst des Agenten, sein ungnädiges Blut. Seine anmaßende Macht wünscht sie sich weit weg, so wispert auch ihr Messer.

      Solche unerwarteten Vorgänge, und die plötzlich zerfledderte Haltekraft unter Dörflern, die Saat von Unverständnis und mangelhaftem Beistand und mehr fürs Schüren von Furcht, obliegen dem seiner Arglist verpflichteten Agenten. Früh am Nachmittag erreicht seine schwarze Kutsche den nächsten Treffpunkt am Feldweg der Peenefurt an der sieben Kilometer langen Bahnbrücke von Karnin.

      Nicht des Agenten habgierige Geister oder nur die im Nebel, bewegen deren sechsundzwanzig Meter breites mittleres Hubstück. Die Zuggewichte der Brücke lassen die Schienen auf Platten wie einen Fahrstuhl herabgleiten und scheppernd einrasten. Von den Streben des alles überspannenden, geschwungenen Gestänges platschen Eisbrocken in die schwarz wie Blei kabbelnden Wellen.

      Herüber vom anderen Ufer quert ein Zug mit Lastwaggons die Brücke, daran quietschen Stämme, gesichert mit Ketten, für das Ahlbecker Sägewerk, und allerlei Gerüste des Bauhandwerks. Der Qualm vom Schlot der Lok steigt in den Nebel, den der frostige Ostwind anhob, doch braune Schwaden über den Feldweg deckt, wo ein hochrädriger Einspänner wartet.

      Unter dessen Dach kauert, haltend den Zügel vom feurigen Traber, ein Helfer des Agenten, Krischan. Er hat einen Leinenbeutel mit rohen Bernsteinen, an deren Leuchten in Gold er nicht denkt. Er kaut an rissigen Lippen, ebenso wie am Drangsalieren, das ihn immerzu verfemt und ächtet. Prompt verätzt ein Tropfen dreister Bosheit sein Überlegen, schmerzt in der Nase und dem blau geäderten Wulst daran. Wie seit der Hetzfahrt herbei von Ahlbeck. Als Lehrer Johann ihn aufhielt, tadelte bei einem Heilsgequatsche, nur bestimmt für die Bernsteinsammler.

      Der allseits beliebte Lehrer dreht bei meinem Heil den Hahn nicht zu!, wütet Krischan vor Rage, in der ihm Kaiser Wilhelm II. Bernsteinmonopol blinkt. Das verhagelte seinem Dienstherrn, Mittelsmann Danziger Kaufleute, einst das Grünzeug. Aber dessen Heimtücke brachialer Überwachung presst alles Denkbare aus den Küstensammlern heraus. Denn reiche Adern, wie in alter Sage die Bernsteinhexe im Streckelsberg fand, findet ein schlauer, zäher Greifvogel in anderen Bergen, randaliert im Inneren Krischan hinein in den Hall des Dröhnens auf den Schienen über dem Wasser.

      Der Hall lässt nach. Nun wirft sein Traber den Kopf hoch. Leises Klirren unterlegt das Gerappel der Kutsche, die wenig fern anhält. Aus der Tür heraus fährt ein Gehstock, am Knauf krümmt sich ein winkender Finger. Und dorthin schlendert Krischan hinüber, als ständen Banalitäten an.

      „Dag, Krischan.“

      Der bieder in feines Wolltuch gekleidete Alte, seine Beine umhüllt eine Webdecke, fixiert ihn wie ein seniler Geier aus eng stehenden Augen minutenlang. Schließlich wischt er über seine schiefe Nase, zieht eine Börse aus einer Manteltasche.

      „Danziger Kaufmannsgesetze bleiben Gottes Gesetz,“ ertönt dröge seine Stimme, in ein Krächzen gedämpft. „Strandsammler rühren sich. Bist du mit Swinemünde durch, klappere die Usedomer ab.“

      Krischan taxiert die Börse. Wieselflink dämmert ihm etwas, das heraus muss. „Die verschieben ihren Bernstein selber. Für eine Reichsmark wird keiner denunziert, deine fetten Zeiten sind längst rum.“

      Widerspruch hat der Agent keinen erwartet. Sein Kinn klappt faltig herab an den Mantelkragen.

      „Läuft die Tour miserabel, pack Riemen ein, leg Feuer unter deren Mors! Ich mache den Rest, du bist bloß mein Knecht! Pah! Und dafür nimm hin deinen Lohn, Schmarotzer!“

      Wie jedes Mal nach Austausch von Börse und Leinenbeutel, trommelt der Gehstock auf die Tür. Der Kutscher schnalzt den Pferden, und die Kutsche biegt bald darauf in einen Seitenweg ab.

      Auf die Brücke blickt Krischan, dort heben sich gurgelnd die Bodenplatten der Schienen. Tief im Wasser der freien Durchfahrt nähert sich ein mit Fässern voller Kahn unter braunen Segeln.

      Krischans Nase prickelt. Heraus gärt niederträchtig, was ihn den Agenten gänzlich vergessen, an nur eines denken lässt: Am Swinemünder Markt entlädt der Kahn Schwarzes, längs des abblätternden Namens Helena. Die bringt Glanz in schnöden Alltag! Und Eggebrecht! Der greift zur Ladung wie nach einem Strohhalm, damit sein Kopf oben bleibe, ihm sein Swinemünde nicht vollends absäuft. Ich bin also gar nicht mit Observieren durch. Kiek eens det an, der Nebel wäre geklärt!

      Krischan springt mit entkrampften Knien hinter die Zügel, bringt den Einspänner in Position.

      1

      An einem Nachmittag im Februar quert des Lehrers Einspänner von Ahlbeck herbei den Wiesenweg. Kurz darauf fährt er in den von Schnee überkrusteten Hof der Kate