Das erste Buch Opa. Bastian Litsek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bastian Litsek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754174975
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zieh dich entsprechend an, wir müssen auf einen Berg.“

      Ich klimpere mit den Wimpern.

      Opa geht, ohne sich weiter zu erklären.

      Gut. Was bleibt mir groß. Ich suche noch eine Weile nach dem Schlüssel. Vergebens. Um 20.55 Uhr stehe ich gepackt mit Rucksack samt Proviant, Bergsteigerschuhe und dickem Kittel da und warte.

      Opa kommt um Punkt 21:00 Uhr zu mir in den Flur. Er trägt seine übliche abgetragene Lederjacke, Bluejeans sowie schwarze Schuhe und Schiebermütze.

      „Wie?“, frage ich. „Warum bist du nicht ausgerüstet.“

      Mein Großvater nimmt seinen Auto- und Haustürschlüssel aus dem Schlüsselkästchen und winkt mir, ihm zu folgen. Draußen steigen wir in seinen Mercedes 500 SEC. Ich behalte den Rucksack auf dem Schoß.

      „Wo fahren wir hin?“

      „Zur Lösung deiner Probleme. Du hast Glück, heute ist Vollmond.“

      Ich schaue aus dem Fenster, wie Opa rückwärts aus der Auffahrt ausparkt. Der Mond erhellt die Straßen. Ein volles Käserad steht am Himmel.

      Wir fahren in Richtung Wald oberhalb der Plüderhausener Hochzeitskapelle. Hinter dem Ort erstrecken sich kilometerweite Wälder, in denen man problemlos die Orientierung verlieren kann.

      In diesen Wäldern ist alles zu finden. Skelette in Ritterrüstungen, Flugzeugwracks mit Hakenkreuzen und mit Sicherheit auch irgendwo das ein oder andere hinterhältige Eichhörnchen. Echte Wälder.

      Es soll hier draußen sogar wieder Wölfe geben.

      Es wundert mich ein wenig, dass Opa den guten Mercedes so anstandslos in den dreckigen Wald steuert. Er scheint es ernst zu meinen.

      Als die Scheinwerfer ausgehen, finden wir uns im vom Mondlicht getränkten Wald wieder. Meine Augen brauchen einen Moment, um sich an das Dunkle zu gewöhnen.

      Opa steigt aus.

      „Und jetzt?“, frage ich und schultere den Rucksack.

      „Kommen Sie“, sagt er und winkt mich hinter sich her. Er läuft schnurstracks in den Wald hinein.

      „Sollten wir nicht auf dem Weg bleiben?“

      „Wer den Weg nie verlässt, wird nur das finden, was andere für ihn bereitgelegt haben.“

      Ich spare mir den dummen Kommentar und folge ihm. Es geht knappe fünfhundert Meter in den Wald. Opa leuchtet den Weg mit einer Taschenlampe. Ich nehme mein Smartphone zur Hand.

      Abseits des Weges bringt auch das Mondlicht nichts mehr. Nach einer Weile wird der Wald steiler. Er hatte recht, wir besteigen einen Berg. Kein Berg in den Alpen, aber es geht ganz schön hoch. Nach zehn Minuten hält Opa inne. Er atmete schnell. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn.

      „Sind wir da?“

      „Nein“, sagt er.

      „Warum halten wir dann an?“

      „Weil ich 79 Jahre alt bin und kein junges Flöckchen mehr wie du. Ich muss mich kurz setzen. Das Sitzkissen bitte.“

      Ich krame das Ding, welches ich bei unseren Gartenstühlen geklaut habe, aus dem Wanderrucksack.

      „Danke“, sagt er und setzt sich. „Puh.“ Er wischt sich den Schweiß von der Stirn.

      Was mich immer wundert, ist, dass er die Schiebermütze nicht abnimmt. Nicht mal, wenn ihm warm ist. Er lässt das Ding immer auf, als würde ihm sonst das Hirn wegfliegen. Alte Leute sind manchmal schon komisch.

      „Willst du etwas trinken?“, frage ich.

      „Gerne“, sagt Opa. „Was hast du anzubieten?“

      „Ähm … Kaffee oder Wasser?“

      „Ein heißer Kaffee wäre genau das Richtige.“

      Ich gieße ihm eine Tasse in den Verschlussbecher der Thermoskanne. „Zucker? Kaffeesahne?“

      „Zwei Stück und einen Spritzer Kaffeesahne bitte.“

      Ich bereite zu, richte an und reiche rüber.

      „Dem Herrn sei’s gedankt“, sagt Opa.

      „Dem Herrn sei’s gegönnt“, gebe ich zurück.

      Ich gönne mir einen Schluck Wasser und frage mich, wie all das mir helfen wird, meine Schlüssel wiederzubekommen.

      „Sind wir hier richtig?“, umschreibe ich meine Verwunderung.

      Opa nickt. „Du wirst denken, ich spinne, aber dann wieder, das hier ist ein eigentlich einmaliges Erlebnis.“

      „Das will ich hoffen“, sage ich und lausche den Geräuschen im Wald. In der Ferne streift irgendetwas durchs Unterholz. Vielleicht ein Wildschwein mit seinen Jungen. Von denen gibt es hier zu Genüge.

       Mir steigt die Waldluft in die Nase. Nur gut, dass ich die warme Jacke anhabe. Mir wird schnell kalt.

      Opa steht auf und läuft weiter. Wie ein braver Bediensteter packe ich das Sitzkissen und die Kaffeetasse ein.

      Es geht weiter den Berg hinauf.

      Oben ankommen sind wir beide außer Puste.

      Das Mondlicht erhellt ein Plateau aus Stein. Eindrucksvoll.

      In der Mitte liegt etwas, das aussieht wie riesige Knochen. Darunter ein gigantischer Schädel mit zwei langen bedrohlichen Stoßzähnen. Der hintere Teil des Skeletts ist von einem grauen, buschigen Fell bedeckt.

      „Ist das etwa?“, frage ich.

      „Ganz recht. Ein Mammut“, bestätigt Opa. „Pass auf, Jungspund.“

      Er tritt vor das Skelett, breitet beide Hände aus und erhebt die Stimme. „ICH RUFE DICH, WÄCHTER DER VERLORENEN DINGE. ERWACHE ZUM LEBEN, DER, DER DU TAUSENDE VON JAHREN GERUHT HAST, UND HILF UNS, DAS ZU FINDEN, WAS VON UNS GENOMMEN WORDEN IST.“

      Ich starrte auf Opa. Hat er den Verstand verloren?

      Nichts passiert.

      Wir stehen auf dem Steinplateau, die Knochen mit Fell und Stoßzähnen liegen leblos da.

      „Ein Museum würde sich bestimmt freuen“, sage ich, da hebt Opa den Finger, dass ich gefälligst die Klappe halten soll.

      Großvater breitet die Hände wieder aus und schreit: „BITTE.“

      Der Boden unter unseren Füßen beginnt zu wackeln. Kieselsteine tanzen auf dem Plateau umeinander.

      Ein Erdbeben, hier? In Plüderhausen?

      Ich muss aufpassen, dass ich nicht hinfalle. Auch Opa gerät ins Schwanken. Als ich aufsehe, bemerke ich, dass sich der große Schädel des Mammuts in die Luft erhoben hat.

      Jetzt hat sich der gesamte Knochenhaufen erhoben.

      Jeder Knochen fliegt an seinen Platz, bis ein knöchernes Mammut vor uns steht. Es knackt und klappert. Das Fell legt sich wie ein Mantel über das imposante Skelett.

      Das Mondlicht fokussiert sich wie ein Scheinwerfer auf das Mammut. Es wird immer heller, bis wir uns die Hand vor die Augen halten müssen.

      Ein goldener Ball aus Licht schießt vom Himmel und landet in den Mammutknochen.

      Ich halte mir die Augen zu. Das helle Licht bereitet mir Schmerzen.

      Die Erde hört auf zu vibrieren. Als ich die Hand von den Augen nehme, kann ich es nicht glauben.

      Ein heißer Atem fährt über mein Gesicht.

      Keine zwei Meter vor uns steht ein waschechtes und sehr lebendiges Mammut. Mit dicken schwarzen buschigen Augenbrauen. Er sieht uns an und schmatzt mit den Lippen.

      „Schnell“, sagt Opa, „die Sandwiches.“

      Ich stehe da wie festgefroren. Opa verpasst mir einen Stups mit dem Ellenbogen.