Oblomow. Iwan Alexandrowitsch Gontscharow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iwan Alexandrowitsch Gontscharow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175385
Скачать книгу
schloß Oblomow.

      »Unser Sjemjon Sjemjonitsch ist dagegen unverbesserlich«, sagte Sudjbinskij, »er versteht nur, Sand in die Augen zu streuen. Was er da vor kurzem angestellt hat: Aus den Gouvernements ist ein Prospekt eingelaufen, daß an den zu unserem Departement gehörigen Gebäuden Hundehütten, zum Schutze des Staatseigentums gegen Raub, errichtet werden; unser Architekt, ein tüchtiger, gebildeter und ehrlicher Mann, hat einen sehr mäßig berechneten Kostenanschlag zusammengestellt; das ist ihm plötzlich zu teuer erschienen, und er hat sich darangemacht, Erkundigungen darüber einzuziehen, was das Fertigstellen einer Hundehütte kosten kann. Er hat irgendwo herausgefunden, daß es um dreißig Kopeken weniger kostet, und reicht sofort einen Bericht ein.«

      Es wurde wieder geläutet.

      »Adieu«, sagte der Beamte, »ich hab' mich verplaudert, man wird mich dort gewiß schon brauchen ...«

      »Bleib noch«, hielt ihn Oblomow zurück. »Ich werde mich bei der Gelegenheit mit dir beraten; ich habe ein doppeltes Unglück gehabt ...«

      »Nein, nein, ich komme lieber dieser Tage wieder«, sagte er im Fortgehen.

      Der liebe Freund ist im Schlamm versunken, er ist über die Ohren versunken, dachte Oblomow, ihm mit den Augen folgend. Er ist für die ganze übrige Welt blind, taub und stumm. Er wird es aber zu etwas bringen, wird mit der Zeit im Amte schalten und walten und einen hohen Rang erreichen ... Auch das heißt bei uns Karriere! Und wie wenig wird dabei beansprucht; wozu braucht man seinen Verstand, seinen Willen, seine Gefühle? Das ist ein Luxus! Er wird seine Spanne Zeit leben, und vieles, vieles, vieles wird in ihm nicht wach werden ... Und dabei arbeitet er von zwölf bis fünf in der Kanzlei und von acht bis zwölf zu Hause – der Unglückliche!

      Er hatte das Gefühl friedlicher Freude bei dem Gedanken, daß er die Zeit von neun bis drei und von acht bis neun auf seinem Sofa verbringen konnte, und war stolz darauf, daß er keine Berichte zu erstatten und keine Akten zu schreiben brauchte und daß seine Gefühle und seine Phantasie freien Spielraum hatten.

      Oblomow philosophierte und bemerkte nicht, daß neben ihm ein sehr schmächtiges, schwarzes Herrchen stand, das mit einem Backenbart, einem Schnurrbart und einer Fliege ganz bewachsen war. Er war mit absichtlicher Nachlässigkeit gekleidet.

      »Guten Tag, Ilja Iljitsch.«

      »Guten Tag, Pjenkin; kommen Sie nicht so nahe heran, Sie bringen Kälte herein!« sagte Oblomow.

      »Ach, Sie Sonderling!« sagte jener, »Sie sind noch immer derselbe unverbesserliche, sorglose Faulenzer!«

      »Ja, sorglos!« sagte Oblomow, »ich werde Ihnen gleich den Brief vom Dorfschulzen zeigen; ich zerbreche mir in einem fort den Kopf, und Sie sagen, ich bin sorglos. Woher des Weges?«

      »Aus der Buchhandlung. Ich hatte mich erkundigt, ob die Zeitschriften noch nicht erschienen sind. Haben Sie meinen Artikel gelesen?«

      »Nein.«

      »Ich schicke ihn her, lesen Sie ihn.«

      »Worüber?« fragte Oblomow, heftig gähnend.

      »Über den Handel, die Frauenemanzipation, über die uns zuteil gewordenen schönen Apriltage und über das neu erfundene Mittel gegen Feuerschaden. Wieso lesen Sie denn nicht? Das ist ja unser tägliches Leben. Am meisten kämpfe ich aber für die realistische Richtung in der Literatur.«

      »Haben Sie viel zu tun?«

      »Ja, genügend. Ich schreibe wöchentlich zwei Artikel für die Zeitung, dann Kritiken über Belletristik, und jetzt habe ich eine Erzählung verfaßt ...«

      »Wovon handelt sie?«

      »Davon, wie in einer Stadt der Polizeimeister die Kleinbürger ins Gesicht schlägt ...«

      »Ja, das ist wirklich eine realistische Richtung«, sagte Oblomow.

      »Nicht wahr?« bestätigte der erfreute Journalist. »Ich führe folgenden Gedanken aus, von dem ich weiß, daß er neu und kühn ist. Ein Vorüberreisender war Zeuge dieser Behandlung und beklagte sich bei seinem Zusammensein mit dem Gouverneur darüber. Dieser beauftragte den Beamten, welcher daselbst inspizieren sollte, sich nebenbei von der Sache zu überzeugen und überhaupt über die Persönlichkeit und das Benehmen des Polizeimeisters Erkundigungen einzuziehen. Der Beamte ließ die Kleinbürger kommen, angeblich um über den Handel zu sprechen, machte sich aber statt dessen daran, sie über jene Angelegenheit auszufragen. Wie haben sich aber die Kleinbürger dabei verhalten? Sie haben sich verbeugt und gelacht und haben das Lob des Polizeimeisters gesungen. Der Beamte begann, sich anderwärts zu erkundigen, und man sagte ihm, die Kleinbürger wären schreckliche Betrüger, sie handelten mit fauler Ware und übervorteilten selbst den Staat beim Wiegen und Messen, sie wären alle sehr unmoralisch, so daß die Schläge sich als eine gerechte Strafe erwiesen ...«

      »Die Schläge des Polizeimeisters spielen also in der Erzählung die Rolle des Fatums der alten Tragiker?« sagte Oblomow.

      »Sehr richtig«, fiel Pjenkin ein. »Sie haben viel Takt, Ilja Iljitsch. Sie sollten schreiben! Und dabei ist es mir gelungen, das eigenmächtige Verfahren des Polizeimeisters, die Sittenverderbtheit des Volkes, die schlechte Organisation der Beamten und die Notwendigkeit von strengen, aber gerechten Gesetzen zu zeigen ... Nicht wahr, dieser Gedanke ist ... ziemlich neu?«

      »Ja, besonders für mich«, sagte Oblomow, »ich lese so wenig ...«

      »Man sieht in der Tat keine Bücher bei Ihnen!« bemerkte Pjenkin. »Aber ich beschwöre Sie, lesen Sie das eine; es erscheint ein, man kann sagen, wunderbares satirisches Poem: ›Die Liebe des Bestechlichen zum gefallenen Weibe.‹ Ich kann Ihnen nicht sagen, wer der Autor ist. Das ist noch ein Geheimnis.«

      »Wie ist denn der Inhalt?«

      »Es wird darin der Mechanismus unserer ganzen sozialen Bewegung bloßgelegt, und das alles in poetischen Farben. Alle Federn werden berührt; alle Stufen der sozialen Leiter werden untersucht. Der Autor richtet darin den schwachen, aber verderbten Edelmann, den ganzen Schwarm der ihn betrügenden bestechlichen Beamten und alle Rangstufen der gefallenen Frauen ... Französinnen, Deutsche und Finninnen, und das alles wird mit verblüffender, lebensvoller Wahrheit geschildert ... Ich habe Bruchstücke daraus gehört – der Autor ist groß! Man glaubt in ihm bald Dante und bald Shakespeare zu vernehmen ...«

      »Das will aber viel heißen!« sagte Oblomow und richtete sich erstaunt auf.

      Pjenkin verstummte plötzlich, da er sah, daß er tatsächlich übertrieben hatte.

      »Wenn Sie es lesen, werden Sie selbst sehen«, fügte er schon ruhiger hinzu.

      »Nein, Pjenkin, ich werde es nicht lesen.«

      »Warum denn nicht? Es hat Lärm gemacht, man spricht davon ...«

      »Und wenn! Manche haben ja nichts anderes zu tun, als zu sprechen. Es gibt einen solchen Beruf.«

      »Lesen Sie es doch aus Neugierde.«

      »Was ist denn Neues darin?« sagte Oblomow. »Warum schreiben Sie bloß so zum Zeitvertreib ...«

      »Wieso denn? Wie wahr, wie wahr alles ist! Es ist zum Lachen ähnlich. Wie lebendige Porträts. Wenn Sie irgend jemand vornehmen, einen Kaufmann, einen Beamten, einen Offizier oder einen Wächter – ist es, als druckten sie ihn lebend ab.«

      »Weswegen mühen Sie sich denn ab? Des Spaßes halber, daß jeder, den Sie vornehmen, ähnlich herauskommt? Es ist aber kein Leben darin; es fehlt das Verständnis dafür, das Mitfühlen, das, was bei euch Humanität heißt. Es ist nichts wie Eitelkeit dabei. Sie beschreiben die Diebe und die gefallenen Frauen, als fingen Sie sie auf der Straße ein und führten sie ins Gefängnis. Man hört in Ihren Erzählungen nicht die unsichtbaren Tränen, sondern nur sichtbares, rohes Lachen und Zorn ...«

      »Was braucht man denn noch? Das ist ja ausgezeichnet, Sie haben es ja selbst ausgesprochen: Dieser flammende Zorn, das gallige Verfolgen des Lasters, das verächtliche Lachen dem gefallenen Menschen gegenüber ... darin ist ja alles!«

      »Nein, nicht alles!«