Oblomow. Iwan Alexandrowitsch Gontscharow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iwan Alexandrowitsch Gontscharow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175385
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gesunde, rotbackige Gefährtin zu finden. Es beginnt wieder eine Epoche der Zeremonien, der Festessen, und endlich kommt die Hochzeit. Darauf konzentriert sich das ganze Pathos des Lebens. Dann beginnen wieder die Wiederholungen. Das Gebären von Kindern, die Zeremonien und Festessen, bis das Begräbnis die Szenerie ändert; das geschieht aber nicht für lange Zeit. Die einen Personen machen den anderen Platz, die Kinder werden zu Jünglingen und zugleich zu Bräutigamen, sie heiraten, setzen ähnliche Geschöpfe in die Welt – und nach diesem Programm zieht sich das Leben als ein ununterbrochenes, eintöniges Gewebe hin und zerreißt unmerklich, am Grabe angelangt.

      Zwar drängten sich ihnen manchmal auch andere Sorgen auf; doch die Einwohner von Oblomowka nahmen sie meistens mit stoischer Reglosigkeit auf, und nachdem die Sorgen eine Weile über ihren Häuptern gekreist waren, flogen sie weiter wie Vögel, die an eine glatte Wand heranfliegen und, da sie keinen Unterschlupf finden, an den harten Stein vergeblich mit den Flügeln schlagen und dann weiterfliegen. So fiel zum Beispiel eines Tages ein Teil der Galerie an der einen Seite des Hauses herab und begrub unter seinem Schutt eine Gluckhenne mit ihren Küchlein; auch Antips Frau, Arinja, die sich gerade mit der Spinnbank unter die Galerie gesetzt hatte, hätte ihr Teil abbekommen, aber sie ging gerade in dem Augenblick ein Flachsbündel holen. Im Hause wurde Alarm geschlagen. Alle, klein und groß, kamen herbeigelaufen und entsetzten sich bei der Vorstellung, daß statt der Henne mit ihren Küchlein hier die Gnädige selbst mit Ilja Iljitsch hätte spazierengehen können. Alle schrien auf und begannen einander vorzuwerfen, wieso es ihnen nicht längst eingefallen war: dem einen, daran zu erinnern, dem zweiten, die Reparatur anzuordnen, dem dritten, die Reparatur vorzunehmen. Alle wunderten sich darüber, daß die Galerie abgestürzt war, und dabei hatten sie sich am Tage zuvor gewundert, daß sie sich noch so lange hielt! Jetzt begannen Sorgen und Beratungen, wie die Sache wieder in Ordnung zu bringen sei; man bedauerte die Gluckhenne mit den Küchlein und ging langsam auseinander, nachdem man streng verboten hatte, Ilja Iljitsch an die Galerie heranzulassen. Dann befahl man nach etwa drei Wochen Andjuschka, Pjetruschka und Wassjka, die herabgestürzten Bretter und Geländer zu den Scheunen hinzuschleppen, damit sie nicht im Wege lagen. Dort verblieben sie bis zum Frühling. Jedesmal, wenn der alte Oblomow sie aus dem Fenster erblickte, erfüllte ihn der Gedanke an die Reparatur mit Sorge; er ließ den Zimmermann kommen, begann sich mit ihm zu beraten, was vorzuziehen sei, der Bau einer neuen Galerie oder die Demolierung der Überreste; dann schickte er ihn mit den Worten nach Hause: »Geh nur, ich werd's mir überlegen!« Das dauerte so lange, bis Wassjka oder Motjka dem Herrn berichtete, daß, als er diesen Morgen auf die Überreste der Galerie stieg, die Ecken von den Mauern weit wegstanden und jeden Augenblick wieder abstürzen konnten. Dann wurde der Zimmermann zu einer endgültigen Beratung gerufen, deren Ergebnis der Beschluß war, den übergebliebenen Teil der Galerie vorläufig mit den alten Bruchstücken zu stützen, was auch bis zum Ende desselben Monats erfüllt wurde.

      »Die Galerie ist ja wieder wie neu!« sagte der Alte zu seiner Frau. »Schau einmal, wie schön Fjedot die Balken verteilt hat, wie die Säulen am Hause des Adelsmarschalls! Jetzt ist's in Ordnung, und für lange Zeit.«

      Jemand erinnerte ihn daran, daß man bei dieser Gelegenheit auch das Haustor und die Stiege reparieren könnte, weil nicht nur die Katzen, sondern auch die Schweine durch die Stufen in den Keller krochen.

      »Ja, ja, das sollte man«, antwortete Ilja Iwanowitsch besorgt und ging sofort die Stiege besichtigen.

      »Sie wackelt wirklich!« sagte er und brachte die Stiege mit dem Fuß wie eine Wiege ins Wackeln.

      »Sie hat ja auch damals gewackelt, als man sie gemacht hat«, bemerkte jemand.

      »Und hat es etwas geschadet?« erwiderte Oblomow; »sie ist nicht auseinandergefallen, obschon sie seit sechzehn Jahren nicht repariert wurde. Luka hat sie damals gut gebaut! ... Das war ein Zimmermann, wie er sein soll ... er ist schon tot – Gott hab' ihn selig! Heutzutage sind die Leute nichts mehr wert; sie können so etwas nicht nachmachen.«

      Und er wandte seine Augen zur Seite ab, und die Stiege soll, wie man sagt, bis heute wackeln und noch immer nicht zerfallen sein.

      Luka scheint wirklich ein tüchtiger Zimmermann gewesen zu sein.

      Man muß den Herrschaften übrigens Gerechtigkeit widerfahren lassen. Manchmal konnten sie bei einem Unglück oder einer Unannehmlichkeit in große Unruhe und sogar in Erregung und Zorn geraten. Wie hatte man nur das oder jenes vernachlässigen und beim alten lassen können? Man muß gleich irgendwelche Maßregeln aufbieten. Und man spricht von nichts anderem als nur davon, wie man zum Beispiel die Brücke, die über den Graben führt, reparieren soll oder wie der Garten an einer Stelle zu umzäunen ist, damit das Vieh die Bäume nicht schädigt, denn ein Teil des Geheges ist ganz auf der Erde. Ilja Iwanowitsch ließ sich durch seine Sorgsamkeit sogar so weit hinreißen, daß er einmal im Garten herumspazierend das Gehege eigenhändig ächzend und stöhnend in die Höhe hob und dem Gärtner befahl, schnell zwei Pfähle hinzustellen. Dank dieser Anordnung Oblomows blieb das Gehege den ganzen Sommer so stehen und wurde erst im Winter durch den Schnee wieder umgeworfen. Endlich ging man sogar so weit, auf die Brücke drei neue Bretter zu legen, gleich nachdem Antip mit dem Pferd und dem Faß in den Graben gefallen war. Er war nach dem Fall noch nicht einmal ganz hergestellt, als die Brücke schon wieder neu hergerichtet war. Die Kühe und Ziegen hatten durch den neuen Fall des Geheges im Garten auch nicht viel gewonnen. Sie hatten nur die Johannisbeerstauden abgenagt und erst den zehnten Lindenbaum in Angriff genommen, ohne noch die Apfelbäume erreicht zu haben, als der Befehl erlassen wurde, das Gehege ordentlich wieder herzustellen und es sogar mit einer Rinne zu umgeben. Die beiden Kühe und die Ziege, die auf frischer Tat ertappt wurden, kriegten ihr Teil ab. Man bleute ihnen gehörig die Seiten durch!

      Ilja Iljitsch träumte noch von dem großen dunklen Salon im Elternhause mit alten Lehnstühlen aus Erlenholz, die immer mit Überzügen bedeckt waren, mit einem ungeheuren, plumpen und harten Sofa, das mit verblaßtem, fleckigem, blauem Berkan gepolstert war, und mit einem großen Lederfauteuil.

      Der lange Winterabend beginnt. Die Mutter sitzt mit eingezogenen Füßen auf dem Sofa und strickt träge einen Kinderstrumpf, indem sie gähnt und sich ab und zu mit der Stricknadel den Kopf kratzt. Neben ihr sitzen Nastassja Iwanowna und Pjelageja Ignatjewna, stecken ihre Nasen in die Arbeit und nähen fleißig etwas zu den Feiertagen für Iljuscha oder für seinen Vater oder für sich selbst. Der Vater geht mit den Händen auf dem Rücken im Zimmer auf und ab und ist dadurch sehr befriedigt, oder er setzt sich in einen Lehnstuhl und beginnt, nachdem er eine Weile gesessen hat, wieder herumzugehen, aufmerksam dem Widerhall seiner Schritte lauschend. Dann schnupft er Tabak, schneuzt sich und schnupft wieder. Im Zimmer brennt dunkel eine einzige Unschlittkerze, und auch das wird nur an Winter- und Herbstabenden zugelassen. An den Sommerabenden bestrebten sich alle, ohne Kerzen, bei Tageslicht, schlafen zu gehen und aufzustehen. Das wurde teils aus Gewohnheit, teils aus Sparsamkeitsrücksichten getan. Die Oblomower geizten sehr mit jedem Gegenstand, der nicht im Hause erzeugt, sondern durch Kauf erworben wurde. Sie würden sehr gastfreundlich einen prachtvollen Truthahn oder ein Dutzend junger Hühner zur Ankunft eines Gastes abstechen, würden aber keine überflüssige Rosine in die Speisen legen und erblassen, wenn derselbe Gast sich eigenmächtig das Glas mit Wein vollschenkte. Übrigens kam dort ein solches Vergehen fast gar nicht vor; das tat höchstens irgend ein Waghals, ein in der öffentlichen Meinung verlorener Mensch; ein solcher Gast wurde gar nicht in den Hof hereingelassen. Nein, dort herrschten andere Sitten. Der Gast rührte dort nichts an, bevor er dreimal genötigt worden war. Er wußte sehr wohl, daß das einmalige Nötigen eher die Bitte einschloß, vom angebotenen Gericht oder Wein abzustehen, als sie zu kosten. Man zündete auch nicht für einen jeden zwei Kerzen an. Die Kerzen wurden in der Stadt für bares Geld gekauft und wurden wie alle gekauften Sachen von der Hausfrau selbst hinter Schloß und Riegel aufbewahrt. Die Stummeln wurden sorgfältig gezählt und aufgehoben. Überhaupt liebte man es dort nicht, Geld auszugeben, und so notwendig man einen Gegenstand auch brauchte, gab man dafür nur mit großem Herzweh und nur dann Geld aus, wenn die Ausgabe unbedeutend war. Das Bezahlen eines großen Geldbetrages wurde von Stöhnen, Weinen und Schimpfen begleitet. Die Oblomower willigten eher ein, Unbequemlichkeiten aller Art zu ertragen, und gewöhnten sich sogar, diese nicht mehr als solche anzusehen, als Geld auszugeben. Darum ist das Sofa im Salon längst fleckig, darum heißt auch Ilja Iwanowitschs Fauteuil nur Ledersessel,