Grenzgold. Carlo Fehn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carlo Fehn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754928882
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angestrahlt wurde.

      »Da! Verdammt!«

      Pytlik hatte es als Erster gesehen. Kaiser beugte sich auf dem Beifahrersitz schnell nach vorne und wischte mit dem Unterarm die leicht angelaufene Windschutzscheibe frei. Das Auto stoppte nun, Pytlik stellte den Motor ab.

      »Verdammte Scheiße!«, fluchte Kaiser. Im nächsten Moment ging seine Hand zum Türgriff und er schien wild entschlossen.

      »Warte!«, zischte Pytlik. Kaiser schaute ihn ungeduldig an.

      »Was?«

      »Du musst versuchen, Zeit zu gewinnen. Ich werde alles Weitere veranlassen. Verwickle wen auch immer in ein Gespräch. Vergiss deine Wut! Du musst Zeit gewinnen! Falls er noch nicht tot sein sollte, ist es umso wichtiger! Hast du verstanden? Wenn er nach mir fragt, sag einfach, ich wäre einer vom Sicherheitsdienst! Ich gehe davon aus, dass er mich wegschicken wird. Dann parke ich das Auto außer Sichtweite, bleibe aber in der Nähe. Verstanden?«

      Kaiser nickte. Danach verließ er vorsichtig, um sich schauend und hilflos wirkend, mit halb erhobenen Händen Pytliks Wagen. Pytlik hatte ein schlechtes Gefühl. Allein konnte er in der aktuellen Situation nicht viel ausrichten. Sofort machte er sich daran, seinen Assistenten Cajo Hermann anzurufen. Nur ihm würde er die prekäre Lage schnell erklären können, so dass der die entsprechenden Maßnahmen einleiten würde. Mit dem Handy am Ohr beobachtete er genau, was geschah; die Uhr zeigte in diesem Augenblick vier Nullen an. Hermann nahm nicht ab! Noch hatte er Hoffnung!

      Er ließ die beiden Scheiben der Fahrer- und Beifahrertür einen kleinen Spalt nach unten fahren, als er im nächsten Augenblick das Gefühl bekam, sein Herz würde ihm gegen das Kinn springen. Kaum, dass er die beiden Kippschalter in der Tür betätigt hatte, schlug mit lautem Knall ein Geschoss im linken Außenspiegel ein, der sich in Sekundenbruchteilen in tausende kleine Splitter auflöste und anschließend den Schneeboden neben und vor dem Auto wie mit dunklem Sand bestreut aussehen ließ. Was Pytlik ohnehin vermutet hatte, war ihm nun mit Nachdruck klargemacht worden. Sofort drehte er den Zündschlüssel herum, legte den Rückwärtsgang ein, schaltete das Abblendlicht aus und versuchte, im nach hinten schwächer werdenden Lichtkegel der Lampen auf dem Werksgelände so weit wie möglich in die Dunkelheit davonzufahren.

      ***

      Joseph Ferdinand Kaiser zitterte am ganzen Körper. Es war eine Mischung aus Unbehagen, der Kälte, die von seinem Kopf mit den immer noch feuchten Haaren langsam nach unten in seinen Körper zog und Angst. Große Angst! Es war ein Gefühl, das er nicht kannte. In seinem ganzen Leben hatte er sich immer darauf verlassen können, beschützt zu sein. Niemand konnte ihm etwas anhaben! Immer hielt sein Vater seine Hände über ihn. Wenn es sein musste, flossen Geld und Beziehungen, um Schaden zu beheben, den er angerichtet hatte. Er konnte sich darauf verlassen! Der Preis war allerdings hoch! Ein Leben in Saus und Braus? Ja! Aber nicht mit einer solchen Firma am Hals! Erst jetzt bemerkte er zum ersten Mal, wie absurd seine Vorstellung vom Leben eigentlich war.

      Je näher er dem Gabelstapler kam, desto mehr zitterte er. Er wusste, dass er beobachtet wurde. Wie bei einem Gewitter, bei dem man nie sagen konnte, ob der nächste Donnerknall nicht mit dem Blitz einherging, der einen selbst traf, hatte er Angst, dass jeden Moment der tödliche Schuss knallen würde.

      »Papa? Papa, kannst du mich hören!«, rief er vorsichtig. Die Luft war um die zehn Grad unter dem Gefrierpunkt kalt. Die Nacht war klar und es war nahezu totenstill. Kaiser beschlich ein Gefühl der Schuld, Mitleid kam in ihm hoch und er begann, leise vor sich hin zu wimmern. Die Augen brannten und schließlich kullerten Tränen seine Wangen hinab.

      Das Szenario kam Kaiser Junior surreal vor. Der alte Mann – Joseph Ferdinand Kaiser hatte seinen Vater eindeutig erkannt – kniete auf einer Holzpalette, die sich in circa zweieinhalb Metern Höhe auf der Gabel des Staplers befand. Wilhelm Kaiser war nackt und seine Hände waren vorne gefesselt und mit einem Strick am Stapler fixiert. Ebenso waren die Unterschenkel mit zwei Seilen am Holzunterteil festgemacht, so dass er keine Chance hatte, aufzustehen oder zu entkommen. An seiner rechten Gesichtshälfte konnte Joseph Ferdinand Kaiser großflächig bereits verkrustetes Blut sehen. Der Mund war mit Panzerband zugeklebt, das einmal um den gesamten unteren Kopfbereich gewickelt war. Nur leicht drehte Kaisers Vater den Kopf zur Seite. Er wirkte schwach und erschöpft.

      Für einen kurzen Moment dachte Joseph Ferdinand Kaiser daran, worum es hier sehr wahrscheinlich ging. Er war froh, dass Pytlik sich hatte zurückziehen müssen. Kaiser wartete jeden Augenblick darauf, dass irgendetwas passierte. Dass er seinem Vater nicht helfen konnte, das war offensichtlich. Der Alte – das wurde seinem Sohn erst jetzt so richtig bewusst – hatte um den Hals eine Fahne gebunden, die neben den Farben Schwarz, Rot und Gold mittig auch Hammer, Zirkel und Ährenkranz zeigte. Kaiser konzentrierte sich nun, der erste Schock war überwunden. Jetzt bemerkte er auch, dass unter seinem Vater eine braune, zähe Flüssigkeit in regelmäßigen Tropfen hinunter auf den Boden fiel. Kaisers Augen wurden immer größer. Auf der Palette schien zudem noch eine Flagge ausgebreitet zu sein, die er aufgrund der bereits erheblichen Verschmutzung durch die Fäkalien seines Vaters nicht mehr genau identifizieren konnte, allerdings für die US-amerikanische hielt.

      Kaiser wollte schon ansetzen und seinen Vater etwas fragen, als er ein Summen hörte. Auf einer aus leeren, gestapelten Getränkekästen errichteten Säule in kurzer Distanz zum Stapler, auf der oben eine Kunststoffplatte befestigt war, lag ein Mobiltelefon. Dem Unternehmer war klar, was das bedeutete. Er ging hinüber, nahm das Handy und schaute auf das kleine, blau leuchtende Display. Anonym stand da zu lesen. Von den wenigen Tasten drückte Kaiser ängstlich und voll gespannter Erwartung die mit dem grünen Telefonhörer. Dann führte er das kleine Gerät vorsichtig an sein Ohr.

      »Hallo!«, sagte er schüchtern und gar nicht nach seiner Art. Die Stimme, die er zu hören bekam, war verstellt, klang monoton und düster.

      »Ich will wissen, wo das Gold ist! Dein Vater will das Geheimnis mit ins Grab nehmen. Seine Entscheidung! Er wäre ohnehin gestorben! Er hat meine Familie und mich zerstört! Jetzt zerstöre ich seine! Also, ich frage dich jetzt. Wenn du mir keine Antwort gibst, die mir gefällt, ist er tot! Überlege dir genau, was du sagen wirst! Hast du das verstanden?«

      Instinktiv hatte Joseph Ferdinand Kaiser die Schultern etwas hochgezogen und versucht, seinen Kopf so tief wie möglich davor zu verstecken. Er war auf alles gefasst!

      »Ja!«, antwortete er zögerlich. Ohne weitere Unterbrechung formulierte der Unbekannte dann klar und deutlich die Frage.

      »Wo ist das Gold?«

      Es war wohl eine Art Reflex; möglicherweise hatte Kaiser auch nicht damit gerechnet, dass die Drohung so kompromisslos in die Tat umgesetzt werden würde.

      »Von welchem Gold reden Sie?«

      Es war wie ein dumpfer Aufprall eines Geschosses auf Holz, dass Joseph Ferdinand Kaiser, kaum, dass er die Gegenfrage ausgesprochen hatte, vernahm und das ihn, wie zu einer Salzsäule erstarrt, bewegungsunfähig machte. Vor Schreck hatte er das Handy auf die Platte fallen lassen. Langsam drehte er nach einigen Sekunden seinen Kopf nach links und sah, was er befürchtete.

      Sein Vater war in sich zusammengesunken und mit dem Oberkörper nach vorne gekippt, soweit es die Fixierungen zugelassen hatten. Am vorderen seitlichen Kopfbereich rechts klaffte eine große Wunde. Joseph Ferdinand Kaiser meinte zu sehen, dass Teile der Schädeldecke fehlten, leichter Qualm waberte durch das schüttere und verklebte Haar. Auf dem Boden unterhalb der Staplergabel lagen kleine, blutverschmierte Teile. Kaisers Mund wurde trocken. Der Schock über das, was gerade passiert war, verhinderte, dass er schrie.

      Im nächsten Augenblick fiel er auf die Knie und musste sich übergeben. Mehrmals erbrach er eine Mischung aus allem, was er in den Stunden vorher gegessen und getrunken hatte. Speichelfäden hingen ihm aus dem Mund, Tränen liefen ihm über das Gesicht und er wünschte sich, an irgendeinem Ort ganz weit weg und ganz allein zu sein. So allein, wie er sich gerade fühlte! Wo war der Polizist? Wo waren seine Frau, seine Kinder? Niemand war jetzt da, um Joseph Ferdinand Kaiser aufzufangen, ihn zu beschützen, ihm zu helfen. Sein Vater hing angekettet eine Staplergabelhöhe über ihm und war tot! Kaiser fühlte sich nackt und verletzlich. Langsam rappelte er sich