Grenzgold. Carlo Fehn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carlo Fehn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754928882
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Kaiser würde einen Tag wie den eigenen 50. und den 85. Geburtstag seines Vaters sicherlich nicht einfach mit einem Festessen im Dorfwirtshaus in Welitsch feiern. Wer den Bauunternehmer persönlich oder vom Hörensagen kannte, wusste, dass die Party, die am Abend folgte, an den Tagen danach in aller Munde sein würde.

      »Endlich mal Gesichter, die mir gefallen! Lasst euch umarmen, ihr Lieben! Kommt rein!«

      Als Gerda Kaiser zuerst Pytlik und dann ihrer Schwester um den Hals fiel, bemerkten der Hauptkommissar und seine Lebensgefährtin, dass die Hausherrin den Nachmittag wohl bereits genutzt hatte, sich in Stimmung zu trinken. Pytlik warf Franziska einen vielsagenden Blick zu und zog die Augenbrauen hoch. Sie schüttelte nur leicht den Kopf und schaute skeptisch. Der Schneefall hatte aufgehört und was mittags vor dem Wirtshaus noch ungemütlich aussah, entpuppte sich auf dem großen Grundstück der Kaisers wie ein Wintertraum. Das gesamte Areal – Pytlik schätzte, dass es die Größe eines Fußballfeldes hatte – war komplett von einer zwei Meter hohen Mauer umzäunt; dahinter eine Hecke, die noch einmal deutlich nach oben ragte. Da das Grundstück im Welitscher Süden ohne direkte Nachbarschaft lag, war für die zahlreichen Nobelkarossen genügend Platz.

      Als die massive Tür hinter ihnen zufiel, konnte man aus dem Innern des mächtig wirkenden Gebäudes bereits Musik, Stimmenwirrwarr und das Klirren von Gläsern wahrnehmen. Das Haus wurde rundherum vom Boden aus bestrahlt, Lichterketten vermittelten ein magisches Ambiente und die an einem freigeschaufelten Weg durch den riesigen Garten in regelmäßigen Abständen stehenden Kugelleuchten gaben dem jungfräulich wirkenden Schnee eine faszinierende Färbung. Als Pytlik ein spontaner, anerkennender Pfiff entfuhr, nachdem er außerdem auch die verschiedenen Überwachungskameras unterhalb der Traufe entdeckt hatte, hob Gerda, die vor ihnen lief, in einer Art Jubelpose ihren rechten Arm mit einem Sektglas in der Hand.

      »Ein schöner goldener Käfig! Nicht wahr, Franz? Du würdest es hassen!«

      Dann trank sie das Glas leer und drückte es einem Mann vom Sicherheitsdienst in die Hand, der vor dem Treppenaufgang stand und leicht nickte, so, als würde er sich dafür auch noch bedanken.

      ***

      Im Hauptkommissar stieg leichtes Unbehagen auf. Niemand der Anwesenden – und es mochten mindestens genau so viele gewesen sein wie beim Mittagessen, auch wenn er keinen einzigen von denen hier vermutete – interessierte sich scheinbar für ihn. Vor allem die Männer musterten seine Begleiterin unauffällig intensiv, aber freundlich, während die Frauen in typischer Raubkatzenmanier das Böse hinter ihrem Blick auf Franziska gönnerhaft überspielten, so wie sie das mit einem Abdeckstift für ihre Pickel taten. Es war schlicht und einfach nicht Pytliks Welt. Er vermutete, dass er bei entsprechenden Recherchen sicherlich den einen oder anderen der Geschäftsfreunde Joseph Ferdinand Kaisers in polizeilichen Akten wiederfinden würde; da mochte ihn sein Instinkt nicht täuschen. Dass er allem Anschein nach auch noch der Einzige war, der nicht im Smoking erschienen war, ließ ihn nicht unbekümmerter werden.

      »Entspann dich, Franz! Heute Nachmittag bei dir zuhause warst du doch auch sehr locker – wenn ich das mal anmerken darf!«

      Sie zog ihn zu sich heran und küsste ihn sanft. Franziska verblüffte den Hauptkommissar immer wieder. Von Anfang an hatte er bei ihr das Gefühl ehrlicher Sympathie und Zuneigung gehabt, auch wenn der Start auf einem Floß mit einer Wasserleiche im Jahr zuvor ungewöhnlich gewesen war.

      »Du machst es einem ja auch nicht allzu schwer!«, flüstere er ihr ins Ohr und schob noch einen Wunsch hinterher: »Ich glaube, wir sollten das von heute Nachmittag noch einmal wiederholen. Ist doch ohnehin eine ganz schön spießige Gesellschaft hier. Was meinst du?«

      Franziska trank von ihrem Wein und presste anschließend lasziv die Lippen aufeinander.

      »Es ist gerade mal 19 Uhr! Lass uns erst hier ein bisschen Spaß haben. Entspann dich! Rede mit den Leuten, da sind interessante Männer dabei!«

      »Und Frauen?«, forderte Pytlik sie heraus. Aber Franziska blieb souverän.

      »Keine, die dir das bietet, was ich dir zu bieten habe. Aber du wirst dich noch wundern! Ich habe gehört, dass JFK…«

      »Nennen die ihn wirklich alle so?«, unterbrach Pytlik sie.

      »Wer was auf sich hält und damit prahlen möchte, im Dunstkreis des Herrn Kaiser Junior zu sein, der kann das ›Dschäi-Eff-Käi‹ gar nicht breit genug aussprechen. ›Hey, Dschäi-Eff-Käi! Wie geht´s? Alles klar, Mann?‹ Wirst du heute noch hundertmal hören!«

      Pytlik schüttelte verwundert den Kopf.

      »Und die Geschichte…?«

      »Naja, du weißt, sie haben beide am 22. November Geburtstag. John F. Kennedy wurde an diesem Tag erschossen. Und wenn du nicht glaubst, dass die beiden, also der Joseph Ferdinand und der alte Wilhelm, den so richtig glorifizieren, dann schau dir später mal genau das kleine Planschbecken im Souterrain an, wenn JFK die Poolparty eröffnen wird.«

      Franziska hatte bei der Beschreibung des Schwimmbades mit ihren Fingern Gänsefüßchen in die Luft gezeichnet.

      »Und dabei komme ich noch mal auf das Thema Frauen zurück: Wenn du mit mir nicht ausgelastet bist, kannst du dich heute sicherlich noch mit ein paar osteuropäischen Tänzerinnen vergnügen. JFK ist bekannt dafür, dass er seine dubiosen Kontakte immer wieder mal zu seinen Gunsten nutzt.«

      Pytliks Hals war von Franziskas Erzählungen trocken geworden, er hatte mit offenem Mund zugehört. Sie hatte wohl recht! Er sollte sich einfach locker machen.

      ***

      Nachdem Franziska eine Bekannte getroffen hatte, mit der sie über alte Zeiten sprach, nutzte Pytlik die Gelegenheit, sich an einer der verschiedenen kleinen Bars und Theken etwas zu trinken zu holen. Danach ging er über eine der Treppen hinauf auf die Galerie und suchte sich am gusseisernen Geländer einen freien Platz, um hinunterzuschauen. Was für ein unglaublich großes Haus! Was für eine fantastische Architektur, dachte er sich, der mit seiner Doppelhaushälfte nicht unzufrieden war; gerade jetzt, wo Franziska fast schon mehr bei ihm als in ihrer eigenen Wohnung in Pressig lebte.

      Nach der Scheidung von ihrem Mann hatte sie das Dachgeschoss in ihrem Elternhaus ausgebaut. Ihre Mutter war glücklich, eine ihrer Töchter wieder unmittelbar bei sich zu haben. Und Pytlik war froh, Franziska gefunden zu haben. Er begann gerade, in Gedanken an sie zu versinken, als er spürte, wie jemand seinen Arm um ihn und die Hand auf seine linke Schulter legte. Instinktiv drehte sich Pytlik nach rechts und schaute Joseph Ferdinand Kaiser direkt in die Augen.

      Dschäi-Eff-Käi schoss es Pytlik durch den Kopf. Er sprach es aber nicht aus.

      »Herr Kaiser! Ich…«

      Der Hausherr nahm die Hand schnell wieder von Pytliks Schulter und breitete beide Arme aus, so als wollte er einen guten Freund begrüßen. Zur Umarmung kam es aber nicht.

      »Ich bitte dich! Franz! Du gehörst doch jetzt fast schon zur Familie! Ich bin der JFK!«

      Kaiser hatte das Dschäi-Eff-Käi genauso breit ausgekaut, wie es Franziska vorhin beschrieben hatte.

      »Franz!«, erwiderte Pytlik und stieß sogleich mit Kaiser an, der auch nicht lange fackelte, mit dem neuen Familienmitglied Tacheles zu reden.

      »Franz und Franzi! Na, wenn das nicht passt wie Arsch auf Eimer!«

      Kaiser lachte laut, als hätte er den Witz des Jahrhunderts erzählt und schlug Pytlik mit der Hand gegen den Oberarm. Der Hauptkommissar war sichtlich bemüht, den Spaß mitzumachen. Dann lehnte sich Kaiser mit dem Rücken gegen das Geländer, so dass beide Männer sich nun gegenseitig anschauen konnten. Seine nächsten Worte waren erstaunlich. Er senkte die Stimme.

      »Weißt du, du hast ein Riesenglück, Franz!«

      Er machte eine Pause, erwartete wohl Pytliks Reaktion. Der vermutete zu wissen, was nun kam und schwieg. Stattdessen schaute er stur nach unten. Kaiser wurde ungeduldig. Er schien nicht mehr nüchtern zu sein.

      »Hey, willst du gar nicht wissen, warum du Riesenglück hast?«

      In