Hitzeschlacht. Robert Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754174814
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im Verhör nach einer Schwachstelle sucht. Es waren zwar mehrere Täter, aber eine Kette ist bekanntlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Schuchardt wird diese Information speichern, so wie er alles speichert, das ihm einmal bei seiner Arbeit helfen könnte.

      Zweites Kapitel: Dies war nur der Anfang

       1

      Manchmal tauchen Täter auf der Beerdigung ihrer Opfer auf, um das Erlebnis ihrer Tat noch einmal auszukosten, sich den ultimativen Kick zu verleihen, bevor sich ihr Opfer endgültig vom Angesicht der Erde verabschiedet. Nur deshalb ist Schuchardt erschienen – und weil die Beisetzung im engsten Familienkreis stattfinden soll, fühlt er sich beinahe wie ein Spanner.

      Der alte Erdmann ist nicht anwesend. Er sei untröstlich darüber, sagt seine Schwiegertochter. Die Hitze macht ihm zu sehr zu schaffen, es fällt ihm es sogar schwer, sich morgens zum Aufstehen zu überreden. Am liebsten würde er nur noch schlafen, seit Rebecca an diesem schicksalhaften Tag nicht nach Hause gekommen ist.

      Schuchardt hat ein paar Beamte rund um diesen Teil des Friedhofs verteilt, um nach möglichen Verdächtigen Ausschau zu halten. Die Männer wie auch er selbst sind durch unauffällig am Körper angebrachte Sender und Empfänger miteinander vernetzt. Auf einem Parkplatz jenseits der Friedhofsmauer wartet ein sechsköpfiges Spezialteam auf ein eventuelles Kommando zum Zugriff auf einen oder mehrere verdächtige Besucher dieser traurigen Zeremonie.

      Schuchardt hat Aaron vor der Beisetzung kurz beiseite genommen und ihn nach seinen kurzfristigen Plänen gefragt.

      „Dieser geplante Konzert-Zyklus in Israel würde uns endgültig zu einem europäischen Big Player unter den Musikagenturen machen. Deshalb kann ich nicht länger als für weitere zwei Tage zuhause bleiben. Sie müssen das verstehen, ich trage die Verantwortung für mehr als dreißig Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen."

      Schuchardt fragt ihn, ob die Familie Silberschmied Personenschutz haben will. Aaron verneint das, aber Schuchardt hat bereits dafür gesorgt, dass eine Streife in regelmäßigem Abstand an dem Haus im Westend vorbeifährt, die Lage prüft und nebenbei Polizeipräsenz verdeutlicht.

      Ein Brief von Rebeccas Mitschülern wird vorgelesen, die Eltern und Moshe halten einander eng umschlungen, alle drei weinen herzzerreißend.

      Schuchardt hört nur mit halbem Herzen hin. Nicht, weil er nicht mitfühlen kann; es ist nur so, dass er auf der Jagd ist, und er weiß, dass er sich die immerhin vorhandene Chance zur Ergreifung der Täter nicht entgehen lassen darf. Schließlich ist er noch weit von einem konkreten Verdacht entfernt. Ein paar düstere Ahnungen hat er, aber mehr ist da nicht, und das macht ihn beinahe krank.

      Die vornehme Zurückhaltung der Medien wird nicht lange anhalten, bald werden sie ihm ebenso Feuer unter dem Hintern machen wie sein oberster Vorgesetzter es schon jetzt tut. „Schuchardt, der Innenminister will alle zwölf Stunden über den Fortgang unserer Ermittlungen informiert werden. Und ich bin der arme Hund, der ihn morgens und abends anrufen muss. Also halten Sie sich bitte ran!“ Als wenn er das nicht sowieso täte. Aber ich schlage nicht deine Schlachten, denkt Schuchardt, ich habe mein eigenes Bündel zu tragen.

      Die enorme Hitze der vergangenen Wochen hat auch vor dieser Beerdigung nicht Halt gemacht. Der Kommissar hat vergessen, seine Wasserflasche zu füllen, und jetzt schmort er in der Mittagssonne und seine Zunge macht sich übergroß in seiner trockenen Mundhöhle breit.

      Er schaut verstohlen auf die Uhr; anderthalb Stunden wird diese Zeremonie dauern, hat man ihm gesagt. Wenn das stimmt, hat er nur noch zwanzig Minuten Zeit, um einen oder mehrere Mörder zu erwischen.

      Mit dem jungen Moshe Silberschmied wird es noch Schwierigkeiten geben. Er hat dem Kommissar vor dieser Bestattung den Handschlag verweigert und nur verächtlich geschnaubt, als das Thema der polizeilichen Ermittlungen angeschnitten wird. Er traut den deutschen Behörden nicht über den Weg, er ist ein Hitzkopf, und zu allem Überfluss lässt er sich zur Zeit vom israelischen Mossad als Agent ausbilden – alles zusammen genommen klingt das nach einer ganzen Menge Ärger. Schuchardt wird ihn im Auge behalten müssen, so, wie er bei diesem Fall mehr im Auge behalten muss als es sonst üblich ist; es sind eine Menge Emotionen im Spiel, und auch die wird er zu spüren bekommen. Moshe will übermorgen zurück nach Israel fliegen, und deshalb wird er ihm zumindest kurzfristig nicht in die Quere kommen. Eine Unbekannte weniger in dieser unübersichtlichen Gleichung, aber Schuchardt traut dem Frieden nicht.

      Moshe hat nicht einmal einen Anzug mitgehabt, als er in Frankfurt ankam. Und weil die Zeit zu knapp war, sich einen schneidern zu lassen oder einen von der Stange zu kaufen, trägt er heute einen viel zu kleinen Anzug seines Vater. Hochwasserhosen sagten wir früher dazu, denkt Schuchardt überflüssigerweise. Man sieht die weißen Socken.

      Die kleine Trauergemeinde bewegt sich langsam weg vom Grab in Richtung Ausgang. Keine Spur von einem Mörder, ein paar in versteckte Mikrophone geflüsterte Antworten bestätigen ihm, dass sich auch in einiger Entfernung vom Grab der verstorbenen Rebecca kein Verdächtiger gefunden hat. Schuchardt stößt einen leisen Seufzer aus und sagt den Beamten in und vor dem Friedhof, dass sie abziehen können. Es wäre auch viel zu schön gewesen.

       2

      In der Wolfsschanze ist es doch noch spät geworden, obwohl sich Richling eigentlich kurz fassen wollte. Aber nachdem die Stimmung sich gelöst hat, nimmt auch er ein – mittlerweile beinahe kühles – Bier und stößt mit seinen Spießgesellen an. Er ist ja im Grunde ein Einzelgänger, aber auch Solisten brauchen bisweilen ein wenig Gesellschaft.

      Außerdem treibt ihn der bodenlose Leichtsinn, den die Bande bei der Ermordung des Judenmädchens an den Tag gelegt hat, immer noch um.

      „Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver“, ruft er Matthias zu, während aus einem Ghettoblaster Death Metal dröhnt und zwei der Jungs eine vollkommen talentfreie Tanznummer aufführen, die eher an betrunkene Derwische erinnert als an gute Deutsche. „Was?“

      Richling deutet auf die Tür und geht voraus in den Garten. Sie setzen sich an einen grob gezimmerten alten Tisch und können in normaler Lautstärke miteinander verkehren.

      „Ich will, dass der Vater des Mädchens stirbt, wie auch seine Frau. Ich will Erdmann alles nehmen, was er hat - und zuletzt wird er selbst dran sein.“

      Er räuspert sich. „Aber dazu benötigen wir deutlich mehr Disziplin als bisher, sonst haben wir in Nullkommanix die Bullen der ganzen Stadt auf den Fersen.“

      Matthias, der Banker, nickt. Er hat auch schon eine Idee, und diese teilt er dem Alt-Nazi jetzt mit.

      „Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal ein paar verräterische Dinge am Tatort hinterlassen, die anstatt auf uns auf irgendwelche Perser oder Palästinenser hinweisen. Das sollte nicht allzu schwer sein, oder?“

      Richling hat selbst in diese Richtung gedacht.

      „Mir schwebt etwas vor, das wir schnell, quasi aus dem Stand arrangieren können. Kein Mord, der benötigt eine längere Vorbereitungszeit. Wir müssen schnell handeln, bevor sich die Polizei auf uns Rechte als Täter festlegt. Sie vermuten vielleicht etwas in dieser Richtung, aber sicher können sie noch nicht sein. Nicht aufgrund von ein paar Schnitzereien. Sie brauchen Handfesteres, zum Beispiel ein öffentliches Bekenntnis zu der Tat oder eindeutige Beweise am Fundort der Leiche.“

      „Aber was sollen wir tun? Sein Haus abfackeln?“

      Richling grinst, wie er immer grinst, wenn er einen seiner weltbewegenden Einfälle hat.

      „Spielt ihm einen Streich. Ein teuren Streich, meine ich. Weißt du, wo seine Spedition ihre Zentrale und ihren Fuhrpark hat? Oben in Fechenheim?“ Matthias verneint.

      „Das ist ein riesiges Gelände, auf dem nachts mehr als vierzig Sattelzüge stehen, plus jede Menge Anhänger. Wer ein bisschen fix ist, der kann da einen gewaltigen Flurschaden hinterlassen.“- „Was meinst du?“ Er duzt Richling zum ersten Mal, und Richling ignoriert es, denn er will nicht