Hitzeschlacht. Robert Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754174814
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nimmt das Geld und wirft jedem seiner Leute eines der Bündel zu, kreuz und quer segelt Richlings schönes Geld durch den Raum, und Detlev ist als Einziger wieder so neben der Spur, dass er seines fallen lässt. Der Junge muss schleunigst weg, das steht fest. Das Geld für einen langen Urlaub hat er jetzt.

      Die Spannung hat sich wieder gelegt, alle bis auf Matthias zählen ihren Lohn, denn Kontrolle ist bekanntlich besser als Vertrauen.

       5

      „Entweder waren es tatsächlich Nazis, oder jemand versucht, es so aussehen zu lassen“, sagt Schimmelpfennig zur Begrüßung, „das kann man ja heutzutage nicht immer so genau sagen.“

      „Wie ist sie gestorben?“ Schuchardt bemüht sich nach Kräften, an dem aufgebahrten Leichnam des Mädchens vorbei zu schauen. Auch nach fast dreißig Jahren bei der Kripo, stellt er fest, bist du noch immer nicht vorbereitet auf einen solchen Anblick.

      „Langsam und qualvoll. Mehrfache Vergewaltigung, vermutlich durch verschiedene Täter, aber wir haben kein verwertbares Sperma. Das ‚mehrfach‘ schließe ich im Wesentlichen aus den unterschiedlichen Druckmalen an ihren Armen. Ich vermute, sie ist von verschiedenen Tätern auf verschiedene Arten festgehalten worden, während man sie vergewaltigte.

      Dazu kommen noch Pfählung und Schädelbruch, letzterer mit Holzsplittern als Rückstand, die „88“ wurde ihr zwischen die Schulterblätter geritzt. Da war sie allerdings schon tot – die Wunden haben nicht mehr nennenswert geblutet.

      Letzteres, diese Ritzungen, würde ich an Ihrer Stelle der Öffentlichkeit noch vorenthalten. Was nicht heißen soll, dass ich mich in Ihre Ermittlungen einmischen will. Ich denke nur an den allgemeinen Aufschrei, und dass dieser Ihnen sicher nicht bei der Arbeit weiterhelfen wird.“

      Die „88“ ist eine bei Neonazis beliebte Art, den Hitlergruß zu gebrauchen, ohne sich strafbar zu machen. Sie steht für „HH“, den achten Buchstaben des Alphabets.

      „Das Mädchen war jüdischen Glaubens“, sagt Schuchardt mehr zu sich selbst. Die Familie ist verwandt mit dem Besitzer einer großen Frankfurter Spedition. Der Vater des Mädchens hat einen guten Namen als Musikagent. Über die Mutter weiß er nichts.

      „Was denken Sie, wann ist sie gestorben?“ – „So wie es für mich aussieht, vor etwa vier Tagen. Wann, sagen Sie, ist sie entführt worden?“

      „Soweit wir das bisher feststellen konnten, am späten Donnerstagnachmittag.“ Wenn sie seit vier Tagen tot ist, dann haben ihre Mörder nicht viel Zeit verloren, bevor sie Rebecca Silberschmied all diese grauenhaften Dinge antaten.

      Dass es mindestens zwei Täter sind, ist als gegeben anzusehen. Als der Wagen neben ihr gehalten hat, ist laut der Zeitungsfrau jemand ausgestiegen, der auf der Rückbank gesessen hat, also war er nicht der Fahrer.

      Die „Signatur“, wenn man es denn so nennen will, ist entweder sehr clever gemacht, oder aber äußerst idiotisch; clever, wenn sie als Ablenkung gedacht ist, dämlich, wenn nicht.

      Der Pathologe hat zweifelsfrei Recht mit seiner Warnung – andererseits ist Schuchardt lange genug dabei, um zu wissen, dass Verschweigen in aller Regel ein aussichtsloses Unterfangen ist. Irgendeiner quatscht immer.

      „Schuchardt, ich würde Ihnen dringend empfehlen, die Eltern davon abzubringen, sich den kompletten Leichnam anzusehen. Zu den gerade beschriebenen Verletzungen kommt Tierfraß post mortem. Das Gesicht, den Kopf und die Schultern der jungen Frau können wir einigermaßen herrichten - was von ihr unter dem Laken übrig ist, sollte niemand sich anschauen müssen, am wenigsten die Angehörigen.“

      „Jemand muss sie identifizieren. Wie wollen Sie ihn daran hindern, das Laken zurückzuziehen?“

      „Ich kann den Leichnam bis zum Hals zugedeckt hinter einer großen Glasscheibe aufbahren, das Gesicht reicht für eine einwandfreie Bestätigung.“

      Schuchardt wird mit der Familie des Opfers zusammenarbeiten müssen, um Aussicht auf Ergreifung der Täter zu haben; ob es dabei ratsam ist, einen möglicherweise politisch-rassistischen Hintergrund zu verschweigen, kann er zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Aber es ist bestimmt eine gute Idee, sich in dieser Hinsicht mit dem Polizeipräsidenten zu verständigen. Wahrscheinlich wird aber binnen kurzer Zeit irgendein Neunmalkluger Mutmaßungen in dieser Richtung anstellen und sie öffentlich kundtun; und dann ist die Katze sowieso aus dem Sack.

      Deshalb wird diese Ermittlung wohl zu einem üblen Höllenritt werden. Seine Vorgesetzten, die Politik, die Opferfamilie, die zahlreichen jüdischen Einrichtungen und Stiftungen der Stadt, die Presse, Social Media, Spinner jedweder Couleur – sie alle werden ihm auf die Finger sehen, jeden seiner Schritte kommentieren, aufs Tempo drücken, Kritik äußern, nicht immer angemessen, oft genug ignorant, vereinfachend oder plakativ, das alles liegt in der Natur der Dinge - und in der Natur des Menschen.

      Sein Handy summt, es ist Kretschmar von der Spurensicherung. „Ich weiß nicht, ob es Ihnen etwas nutzt, Kommissar, aber uns schien es interessant zu sein.

      Sie wissen ja, dass es in unmittelbarer Nähe des Fundortes der Leiche wegen der großen Trockenheit keine verwertbaren Fußspuren gibt. Etwa fünfzehn Meter entfernt von der Stelle sieht das ganz anders aus. Dort hat wohl kurz vor dem Mord die Stadt ein paar Büsche und ein Blumenbeet gewässert, und dort sind wir auf eine ganze Reihe von Stiefelspuren gestoßen. Verstehen Sie, was ich meine? Frische Stiefelspuren in einer Zeit, in der wir seit Wochen fünfunddreißig Grad im Schatten erleben und selbst die Königin von England im String-Tanga herumläuft.“

      Schuchardt brummt seine Zustimmung und bedankt sich, bevor er das Gespräch beendet.

      Das beweist nichts, sondern ist allenfalls ein Indiz. Aber der Gedanke allein ist zu verführerisch. Radikale Islamisten tragen keine Stiefel, auch nicht, wenn sie Anschläge verüben. Es können einfach ein paar Biker gewesen sein, die an der besagten Stelle ein Picknick veranstaltet haben. Das allerdings ist weit hergeholt, denn die Stelle ist mindestens vierhundert Meter von der nächsten asphaltierten Straße entfernt, wo sie ihre Öfen hätten abstellen dürfen; aber völlig undenkbar ist es nicht. Lachhaft, denkt Schuchardt, es sind Neonazis, auch wenn es dir nicht schmeckt. Und diese Leute wollen auch, dass ihre Tat publik wird.

      Aber warum sind sie ausgerechnet auf eine 15-jährige Schülerin verfallen? Sie haben sich Rebecca schließlich vorab ausgesucht und müssen sie eine Zeitlang beobachtet haben.

      Vielleicht weiß jemand aus der Familie etwas dazu. Hat es im Vorfeld Auseinandersetzung gegeben? Läuft hier eine private Vendetta? Dreht ein Konkurrent des alten Erdmann durch? Fragen, nichts als Fragen, aber so ist es immer bei seinen Fällen. Wenn es eng zugeht, ziehen sie ihn hinzu und nicht irgendeinen Anfänger.

      „Wissen Sie was, Schuchardt…,“ Schimmelpfennig, der alte Haudegen der Pathologie mit fünfdreißig Jahren Berufserfahrung, nimmt seine Brille ab und reibt sich die Augen „… mir geht das immer noch unter die Haut, obwohl ich mindestens fünftausend Leichen auf dem Tisch hatte.“ Seine Stimme klingt brüchig. „Welche Tiere tun so etwas? Und warum tun sie es?“

      Ja, warum, denkt Schuchardt. Er antwortet nicht, weil es schwer ist, eine Tat wie diese zu verstehen. Die Schule des Lebens hat ihn gelehrt, dass es solche Verbrechen einfach gibt. Manchmal kann er in die Köpfe seiner Mörder hineinsehen, denn größtenteils sind es Habgier, Rache oder verschmähte Liebe, die zu einer solch verhängnisvollen Tat führen. Eine so unnötige Grausamkeit wie die hier vorliegende ist schwerer zu entschlüsseln, und manchmal findet man auch gar keine Antwort und bleibt fassungslos zurück. Bis zu einem gewissen Grad hat er gelernt, es zu akzeptieren.

      Es drängt ihn jetzt, den Auftritt bei den Angehörigen dieses armen Mädchens hinter sich zu bringen. Hier in diesem gekühlten Kellerraum der Uniklinik mit seinen in Weiß gekachelten Wänden und dem Geruch nach Paraffin und Putzmitteln warten keine Antworten mehr auf ihn; die gibt es nur draußen in der unbarmherzigen Hitze dieses Sommers, die die Leute nach und nach verrückt zu machen beginnt.

      Als er wieder nach draußen kommt, bricht ihm sofort der Schweiß aus. Achtunddreißig Grad haben sie