Es gab in meiner Zeit als Firmeninhaber nie irgendwelche gravierenden Probleme. Der Erfolg flog mir nur so zu. Grundstein dafür war Chamäleon+, Clemens’ Software, die einfach unschlagbar war. Es war damals die richtige Zeit dafür. Der Softwaremarkt boomte, etablierte sich in der Wirtschaft, die Produkte wurden anerkannt, ihre Möglichkeiten und Effizienzen dabei endlich akzeptiert und geschätzt. Wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, konnte man mit seinen Ideen viel Geld verdienen. Jeder wollte alles mit Computern machen. Die Firma von Welt hatte IT, Server, Online und Hotline. Der Markt explodierte förmlich und eine Woge aus Bytes und Geld schwappte über die Branche. Auf dieser Welle schwamm ich mit. Wenn man aufhört sich zu bewegen, geht man unter. Und irgendjemand hat sich wie ein Bleigürtel an mich gehängt.
„Herr Norden, wenn ich sie etwas fragen darf?“
Ich nicke.
„Will uns jemand schaden?“
Berner sagte uns. Seine Loyalität und Verbundenheit zur Firma sind einfach unglaublich. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber Berner vertraute ich von Anfang an. Vor fünf Jahren bewarb er sich auf die Stelle als Assistent, die ich zu meiner Entlastung neu geschaffen hatte. Er war der erste Bewerber, wirkte kompetent, schien einen konkreten Plan zu haben, wie er den Job erledigen wollte. Es war eine gute Entscheidung von mir, denn schnell merkte ich, dass Berner ein Macher war. Schnell hatte er Einblick in alle relevanten Themen und organisierte den Firmenablauf. Buchhaltung war sein Fachgebiet. Eine komfortable Situation für mich.
„Es sieht danach aus.“
„Und was tun wir dagegen?“
„Wir fahren jetzt gemeinsam zu meinem Wochenendhaus. Dort habe ich alle Unterlagen, die wir benötigen und wir überlegen uns eine Strategie.“
Berner schaut skeptisch.
„Berner, zeigen sie ein bisschen Optimismus! Wir brauchen eine Idee. Einen zündenden Gedanken. Sie sind ein hervorragender Analytiker und ich kenne die Branche aus dem Effeff. Uns fällt schon etwas ein.“
Ich klatsche zweimal in die Hände.
„Los! Fahren wir! Unterwegs organisieren wir noch etwas zu Essen. Ich zahle natürlich.“
Berner geht wortlos Richtung Tür.
42
Rolf Witten folgte dem Wagen mit Abstand. Verfolgungsjagden, mit bei Rot überfahrenen Ampeln, zurückspringenden Fußgängern und völlig demolierten Autos, gab es nur im Kino. Im normalen Polizeialltag gibt es selten Personenverfolgungen und wenn, dann laufen sie meistens unspektakulär ab. Niemand rechnet damit von irgendjemandem verfolgt zu werden.
Konrad Norden dagegen war vorsichtiger geworden. Drei Angriffe in zwei Tagen haben seinen normalen Alltag ad absurdum gestellt. Das hat man daran gesehen, wie er leicht geduckt zum Auto ging, dabei den Blick mehrfach die Straße in beide Richtungen entlang schweifend. Den dunklen Dienstwagen in der Nebenstraße hatte er übersehen.
Wittens Handy vibrierte. Er fummelte es aus der Jackentasche in den Halter der Freisprechanlage und nahm das Gespräch an.
„Hallo Herr Kriminalhauptkommissar, wo sind sie?“
„Im Dienst, Zellmann. Und sie?“
„Auch. Wie gewünscht.“
Zellmann räusperte sich.
„Ich habe die Informationen über Herrn Norden zusammengetragen. Soll ich sie Ihnen vorlesen?“
„Vortanzen geht im Moment schlecht. Jetzt fangen sie schon an!“
Geburtsdatum, Schulabschluss, Studium, das Verschwinden der Eltern mit dazugehörigen Befragungsprotokollen, Gründung der Firma „noRDen!“ mit Eintrag ins Handelsregister und zehn Angestellten, zwei Zeitungsartikel über die Firma, mehrere Bußgelder wegen zu schnellem Fahren.
Zellmann ratterte ohne Pause die Daten herunter.
„Außer dem unnatürlichen Tod der Eltern nichts Auffälliges.“
„Sie erwähnten einen Bruder, was ist mit dem?“
„Der taucht letztmalig in den Befragungsprotokollen auf. Danach verliert sich seine Spur.“
„Konkurrenz im Geschäft? Gibt es dazu etwas?“
„Nichts in den Akten oder Medien, aber ich weiß nicht was hinter den Kulissen läuft.“
„Darum werde ich mich kümmern. Sie bleiben an dem Bruder dran, Zellmann. Finden Sie heraus, wo er steckt. Aber erst morgen. Jetzt machen sie Feierabend und feiern den Geburtstag ihrer Tochter. Vorher legen sie mir die Akten über den Tod der Eltern noch auf den Schreibtisch.“
„Die liegen schon dort.“
„Bis auf die Rosinen war der Kuchen gar nicht so schlecht. Grüße an ihre Tochter und viel Spaß beim Feiern.“
Witten legte auf und konzentrierte sich weiter auf Berners Wagen.
43
Im Wochenendhaus angekommen, führe ich Berner zu meinem Schreibtisch.
„Nehmen sie Platz.“
Ich öffne eine Schublade des antiken Möbels und entnehme ihr einen Stapel von Hand beschriebener Papierbögen. Meine Notizen der letzten Jahre.
„Hier finden Sie alles zur Firma, was sie noch nicht kennen, meine Gedankenprotokolle, Situationsbewertungen, meinen Ideenpool. Sie können den Laptop benutzen. Damit haben sie alles was sie benötigen.“
„Benötigen wofür?“
„Machen sie sich ein eigenes Bild von meinen Gedanken, meinen Ideen. Sie haben mein vollstes Vertrauen. Lassen Sie den wirtschaftlichen Istzustand außen vor und analysieren das „Was wäre, wenn“. Spielen Sie Schach, denken Sie voraus. Und sagen Sie mir, wo wir landen werden.“
„Und was soll das bringen? Entschuldigen Sie, dass ich so frage, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie uns das helfen soll?“
„Ich hoffe, dass sie einen Ansatz finden, wie wir ein neues Produkt auf den Markt bringen. Wo gibt es einen Bedarf? Was können wir Umsetzen? Benötigen wir neue oder andere Mitarbeiter? Wie viel Zeit haben wir? Ich möchte, dass sie sich meinen Kopf zerbrechen! Ihr Blick, mit meinen Gedanken.“
„Wenn sie meinen! Ich kann das versuchen.“
Berner schaut noch immer skeptisch, greift aber schon zu meinen Notizen.
„Und was tun sie?“
Die Frage habe ich erwartet.
„Ich fahre in die Firma und zerbreche mir Ihren Kopf. Schaue mir unsere Buchhaltung an.“
Erschrocken sieht Berner auf.
„Keine Angst, ich möchte Sie nicht kontrollieren. Aber vielleicht finde ich Sparpotential. Wir tauschen kurz die Rollen und sehen, was es uns bringt. Wenn sie etwas zu trinken benötigen, bedienen Sie sich einfach. Haben Sie keine Hemmungen, fühlen Sie sich wie zu Hause. Das Essen steht in der Küche, die Mikrowelle finden Sie links.“
Wir haben unterwegs an einem asiatischen Schnellrestaurant gehalten und uns das halbe Speisesortiment einpacken lassen.
Berner nickt nur. Man sieht ihm an, dass ihm die Situation nicht behagt.
Auf einen Notizzettel vom Schreibtisch notiere ich die Nummer des Prepaid-Handys.
„In dringenden Fällen