Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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      Der Transzendente war besiegt, aber Gilbert war wieder hinter dem Spiegelglas gefangen. In einem kleinen Raum mit einem Fenster, durch das die Illusion einer Sonne Licht spendete.

      Gilbert hatte Antilius von seiner Geschichte erzählen wollen, als er aus dem Spiegelgefängnis befreit wurde. Er wollte ihm erzählen, wie er vor vielen Jahren dort hinein gelangt war. Aber jetzt brachte er keinen Mut mehr dazu auf. Denn er hatte damals nicht nur seine Freiheit verloren, sondern auch jemanden, ohne den er nicht mehr vollkommen war. Die Frau, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte.

      Irgendwann würde er Antilius alles erzählen müssen. Irgendwann müsste er die Vergangenheit wieder hervorholen und sich ihr stellen. Das wusste Gilbert. Doch jetzt war nicht die Zeit dafür.

      Und Antilius selbst? Er fühlte sich leer. Ihm wurde gesagt, er hätte Thalantia vor einer Katastrophe bewahrt. Ihm wurde gesagt, dass seit seiner Rückkehr aus Verlorenend seine Augen im Mondlicht des Mondes Quathan silbern leuchten würden. Immer und immer wieder sprach man darüber, und Antilius konnte sich auf alles keinen Reim machen. Er war erschöpft.

      Das Orakel in Verlorenend hatte ihm nur soviel erzählt, wie er wissen musste, um Koros Cusuar letztlich zu besiegen. Aber es hatte ihm auch vage vom Dunkelträumer berichtet. Ihm hatte Antilius an der Barriere von Valheel durch eine Art Tunnel in die Augen geblickt. Und seither fühlte er sich so erschöpft. Und älter. Keiner sprach es aus, aber seit er vom Orakel aus Verlorenend wieder zurückgeschickt worden war, sah er deutlich älter aus als zuvor. Sein Gesicht wirkte kantiger. Die Haut unebener. Die Kräfte, denen er ausgesetzt war, waren so unersättlich, dass sie spürbar an ihm gezehrt hatten.

      Er fürchtete sich davor, den Geheimnissen um den Dunkelträumer noch weiter auf die Spur zu gehen, aber er fühlte, dass seine Reise gerade erst begonnen hatte.

      Sein Gedächtnisverlust hatte definitiv etwas mit den jüngsten Vorgängen hier auf Thalantia zu tun.

      Eigentlich war er nach Truchten gereist, um etwas über seine eigene Vergangenheit herauszufinden. Aber bisher taten sich ihm statt Antworten nur neue Rätsel auf, wobei das größte Rätsel er selbst zu sein schien.

      Auch wenn Antilius bis heute nicht in Erfahrung bringen konnte, wer er eigentlich wirklich war, so hatte er doch etwas über sich gelernt. Nämlich, dass er über Fähigkeiten zu verfügen schien, die normale Menschen nicht hatten. Und diese besonderen Fähigkeiten, so glaubte er, waren der Schlüssel zum Öffnen des Schlosses aller Fragen.

      Antilius machte sich Vorwürfe, dass es ihm nicht gelungen war zu verhindern, dass Gilbert erneut in den Spiegel geraten war und eingesperrt wurde. Diesmal ohne vorstellbare Aussicht, ihn jemals wieder dort herauszubekommen.

      Wenn die Nacht über das kleine Landgut, das ihre vorläufige Herberge war, hereinbrach und alle schliefen, dann schlich sich Antilius manchmal heimlich aus dem Haus und wanderte entlang der östlichen Steilküste unter dem silbernen Mondlicht von Quathan. Nur dann fand er Trost und Ruhe.

      Seit seine Augen jenes ferne Licht zu reflektieren begannen, fühlte er eine merkwürdige Verbindung zwischen sich und jenem Mondlicht. Er fühlte sich jenem Licht zugehörig. Er war ein Teil von ihm. Es machte ihn seine Fragen und seine Sorgen vergessen.

      Und so wie in vielen Nächten zuvor, war Antilius auch in der letzten Nacht, die seine Freunde und er auf dem Landgut verbrachten, unterwegs, stets begleitet vom abnehmenden Mond, der jetzt nur noch eine dünne Sichel war und nur wenig von seinem mystischen Schein auf die Ahnenländer warf.

      Morgen würde die Präfektin der Ahnenländer persönlich hier erscheinen, um die Lage zu besprechen und die Gefahren für Thalantia in der Zukunft auszuloten.

      Pais hatte gegenüber Antilius angedeutet, dass die Präfektin über Wissen verfügen könnte, dass niemandem sonst mehr zugänglich sei. Irgendwie hoffte Antilius, dass dem nicht so war. Ein Teil von ihm wollte nichts mehr von den sonderbaren Geschehnissen wissen und einfach nur in Frieden leben, auch wenn dies bedeuten würde, dass er weder etwas über seine Herkunft erfahren noch seine fehlenden Erinnerungen jemals wieder erhalten würde.

      Er saß am Klippenrand im fahlen Mondlicht und schaute aufs nächtliche Meer hinaus. Immer wieder war er in den vergangenen Tagen an diesen Ort gekommen, um sich über seine Gefühle im Klaren zu werden. Aber es gelang ihm nicht. Das Gefühl der Leere lag wie ein dunkler Schleier über ihm.

      Er hatte dem Dunkelträumer in die Augen gesehen, als sich an der Barriere ein fragiler Durchbruch gebildet hatte. Und für einen verschwindend geringen Bruchteil einer Sekunde hatte er in diesen Augen Dinge gesehen, die alles erklärten. Wirklich alles. Nur konnte er sich, wie durch einen dunklen Zauber beeinflusst, nicht mehr daran erinnern.

      Doch eine Gewissheit hatte er aus diesem Augenblick bewahrt. Eine Gewissheit, die er sich erst heute in dieser Nacht eingestand. Nämlich die, dass auf Thalantia noch uralte Mysterien verborgen waren, die seine Vorstellungskraft zwar überstiegen, denen er sich aber würde stellen müssen.

      Seine Reise hatte gerade erst angefangen. Alles, was bis zu diesem Tage geschehen war, sollte nur ein kleiner Vorgeschmack auf das sein, was ihn noch erwartete.

      Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, trat wie angekündigt die Präfektin der Ahnenländer in das kleine Bauernhaus ein. Lois hatte sie hierher begleitet, doch kurz nach ihrer Ankunft bat sie ihn, das Haus wieder zu verlassen. Sie wollte allein mit Antilius, Pais, Haif und Gilbert sein, und niemand sollte sie stören.

      Obwohl Lois genau wie die anderen sehr gespannt auf die Worte der Präfektin war, protestierte er nicht und verschwand durch die Eingangstür nach draußen.

      Im geräumigen Wohnraum stand ein großer Esstisch aus Eichenholz, an dem die Besprechung stattfinden sollte.

      Alle setzten sich, und Pais legte noch ein Scheit Holz in das Feuer des großen Kamins, da der Morgen die Kühle der Nacht noch nicht vollständig verdrängt hatte, bis auch er Platz nahm.

      Die Präfektin war eine ältere Frau mit langen hellgrauen Haaren. Sie trug ein einteiliges Baumwollgewand, das nur den ranghohen Mitgliedern der Ahnenländer vorbehalten war. Schon bei ihrer Ankunft hatte sie jeden der Neuankömmlinge eindringlich gemustert. Besonders Antilius. An ihn richtete sie ihre ersten Worte.

      »Zunächst möchte ich mich im Namen aller Bewohner der Ahnenländer bei Euch bedanken, dass Ihr uns vor dem Untergang gerettet habt.«

      Antilius wollte etwas erwidern, weil er doch gar nicht wusste, was er getan hatte, aber die Präfektin machte mit einer Handbewegung deutlich, dass sie jetzt nicht unterbrochen werden wollte.

      »Ich weiß, dass es nichts gibt, das wir Euch anbieten könnten, um die Schuld zu begleichen, in der wir bei Euch stehen. Aber vielleicht gibt es etwas, das ich tun kann, damit wir verstehen, was es mit den Ereignissen auf sich hat. Doch zuvor würde ich mir gerne anhören, was jeder Einzelne aus seiner Sicht erlebt hat und wie es Euch letztlich hierher verschlagen hat. Und ich bitte jeden, kein Detail auszulassen, denn ich bin in großer Sorge um unser aller Sicherheit.«

      Antilius begann zu erzählen, was er seit seiner Ankunft auf Truchten erlebt hatte. Er erzählte von seiner Suche nach Brelius Vandanten, mit der alles angefangen hatte. Er berichtete von seiner Begegnung mit den Spähern im Turm der Zeit, und er erzählte, was er in Verlorenend erlebt hatte. Wie er dort dem Orakel begegnet war, das für ihn gestorben war, damit er zurück in die reale Welt konnte, um sich dem Transzendenten zu stellen.

      Danach war Pais an der Reihe, dann Gilbert, dessen Spiegel auf dem Tisch aufgerichtet war, und zum Schluss berichtete Haif. Der Sortaner war sichtlich aufgewühlt und überschlug sich manchmal beim Sprechen vor Aufregung. Er fühlte sich so unglaublich wichtig.

      Die Präfektin hörte sich alles sehr konzentriert an. Sie unterbrach die Berichte nicht ein einziges Mal.

      »Pais und ich konnten uns gerade noch in Sicherheit bringen, als dieses riesige Schwarze Loch alles in sich aufzusaugen begann, und die kolossalen Statuen in sich zusammenstürzten. Ich schloss die Augen, und plötzlich war alles vorbei.

      Ich öffnete meine Augen wieder, und Antilius war dort, wo das Loch