Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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fiktiven Sonne aus Gilberts Gefängnis. Immer tiefer drang er in den Korridor ein. Alles, was er hörte, war sein schneller Atem und seine eigenen Schritte. Er konnte seinen rasenden Puls spüren.

      Antilius schaffte ungefähr ein Dutzend Schritte.

      Ein dumpfes Stampfen ertönte aus der Ferne. Antilius blieb blitzartig stehen und horchte angsterfüllt.

      »Was war das?«

      »Ich weiß nicht. Klang merkwürdig«, sagte Gilbert.

      Dann wiederholte sich das Stampfen, nur jetzt lauter. Dann noch einmal. Es wurde immer geräuschvoller, und es schien immer dichter zu kommen. Es hörte sich an, als ob ein Riese auf ihn zulief. Vielleicht ein Largone?

      Nein. Es war größer.

      Größer als ein Largone? Gibt es so etwas?

      »Gilbert, das hört sich an, als ob sich da etwas sehr Großes auf mich zubewegt. Was soll ich jetzt machen?«

      Die stampfenden Schrittgeräusche wurden immer intensiver, sie erschütterten den Boden, und sie wurden immer schneller.

      Sie kamen näher.

      Antilius war gelähmt vor Angst. Er wusste, dass er nicht fliehen konnte. Das Ding kam näher. Der Boden bebte. Keine Fluchtmöglichkeit. Das Stampfen klang wütend. Und bösartig. Es würde kommen. Es würde ihn zermalmen. Sein Heranschnellen erzeugte einen ohrenbetäubenden Lärm. Es raste immer schneller auf ihn zu. Antilius kauerte sich an die Wand und hielt sich die Ohren zu. Der Lärm war unerträglich. Jeden Augenblick würde es ihn erreicht haben. Er erwartete das Schlimmste.

      Es wird dich zerquetschen und dann auffressen, dachte er.

      Er wollte, dass es aufhörte. Und dann bemerkte er, dass der Lärm direkt über seinem Kopf war. Es rannte über ihn hinweg, zumindest erschien es ihm so. Es war gar nicht in dem Korridor. Oder doch? War es unsichtbar?

      Der Lärm nahm ab. Das Stampfen wurde langsamer. Immer leiser wurde es, bis es dann verstummte.

      Stille.

      Antilius glaubte zu ersticken. Er schnappte nach Luft und riss sich wild am Kragen seines ohnehin schon lädierten Hemds.

      »Ist alles in Ordnung?«, fragte Gilbert, der nur den Lärm durch den Spiegel wahrnehmen konnte.

      Antilius war kurz davor zu hyperventilieren. Doch dann fing er sich wieder. Zögernd. »Ich, ich glaube schon. Ich konnte es nicht sehen. Es kam auf mich zu. Was war das?«

      »Vielleicht war es ein Largone. Vielleicht aber auch nur eine Illusion.«

      »Hauptsache es ist weg.«

      »Geh schnell weiter, Antilius. Du hast bestimmt schon die Hälfte des Weges hinter dir. Du hast es fast geschafft!«

      In diesem Moment war Antilius erleichtert, dass Gilbert bei ihm war. Bestärkt, aber schweißgebadet trotz der Kälte stand er wieder auf und lief jetzt schneller als zuvor weiter.

      Kehre um, wenn du dich in der Dunkelheit nicht selbst erkennst.

      Sekunden kamen ihm jetzt wie eine Ewigkeit vor. Wenn der Gang doch nur enden würde! Hatte er denn ein Ende? Würde er auf ewig verdammt sein, den Dunklen Tunnel zu durchqueren? War dies das Grauen der Dunkelheit? Was würde er jetzt nur für mehr Licht geben.

      Er lief. Er rannte. Er hatte kaum noch Atem, aber er ging immer weiter. Als wäre es das Letzte, was er zu tun hätte. Er musste ihn durchqueren. Er musste die Dunkelheit bezwingen.

      Seine Beine verlangten nach einer Pause und drohten einzuknicken, wenn er nicht pausierte. Doch sein Wille war stärker.

      Seine Schritte hallten gespenstisch in dem endlosen Gang wider. Seine Schritte. Doch auf einmal gesellten sich andere Schritte hinzu. Dieses Mal hinter ihm. Sie waren nicht besonders laut. Sie kamen weder näher, noch entfernte er sich von ihnen. Sie tauchten einfach aus dem Nichts auf.

      Wie lange verfolgen sie mich schon?

      Es waren keine normalen Schritte. Keine Schritte eines Riesen oder eines Menschen. Sie hallten anders wider als seine.

      Es hörte sich so an, als ob jemand auf Stelzen gehen würde, anders hätte Antilius es nicht beschreiben können.

      Was kann so merkwürdige Geräusche von sich geben? Was für eine neue Bosheit hat sich das Dunkel ausgedacht?

      Dreh dich um, Antilius. Was immer es auch sein mag, du musst ihm in die Augen sehen. Dreh dich um und sieh ihm in die Augen!

      Ich kann nicht. Was kann es bloß sein? Es hört sich irgendwie…

      ‚knöchern’, war der Begriff, der Antilius nicht einfallen wollte. Aber bevor er ihn hätte in Gedanken aussprechen können, wurde ihm klar, dass es das Skelett vom Eingang sein musste, das die Verfolgung aufgenommen hatte.

      Antilius beschleunigte seinen Lauf noch einmal. Mit weiten Schritten hetzte er durch die Dunkelheit. Und das Skelett folgte ihm. Es hatte keinerlei Schwierigkeiten, sich an die höhere Geschwindigkeit anzupassen.

      »Verschwinde!«, schrie Antilius entsetzt und außer Atem.

      Doch das Skelett dachte nicht daran, ihn zufriedenzulassen. Stattdessen begann es, ihn höhnisch auszulachen. Es war das niederträchtigste Lachen, das er je gehört hatte. Auf welche Weise sollte man beschreiben, wie ein Haufen Knochen einen auslachen konnte? Antilius kam es vor, als ob ihn der Wahnsinn persönlich auslachen würde.

      »Gib auf! Gib auf und komm zu mir!«, schrie das Skelett.

      Es kannte keine Erschöpfung. Antilius hätte jahrelang durch diesen Tunnel laufen können, das Skelett würde nie müde werden. Es war ja bereits tot. Je mehr Angst Antilius verspürte, desto stärker wurde es. »Gib auf!«, kreischte es.

      »Niemals!«, rief Antilius atemlos zurück, ohne sich umzudrehen.

      Laufen! Laufen! Doch seine Erschöpfung drohte überhandzunehmen. Und dann. Dann legte sich im Gehirn von Antilius ein Schalter um.

      Abrupt blieb er stehen.

      »Niemals!«, schrie er mit fester Stimme.

      Die Schritte des Skeletts verstummten.

      Antilius drehte sich schwer atmend um und leuchtete den Gang mit dem Spiegel aus. Und nur ein paar Meter von ihm entfernt lag das Skelett wieder. Seine Knochen lagen verstreut auf dem Boden. Es war ihm gefolgt. Und jetzt stellte es sich tot (oder besser: Es stellte sich nicht untot). Antilius musste trotz seines Überschusses an Adrenalin, von dem er heute schon reichlich bekommen hatte, bei diesem Gedanken innerlich kichern. Ein Skelett, das sich tot stellte.

      »Niemals werde ich umkehren!«, schrie er und trat dem Ding beherzt den Schädel ein. Scharfe Splitter flogen in alle Richtungen. Dann verpasste er dem Brustbein noch einen Tritt, das daraufhin berstend zerbrach.

      Ein Befreiungsschlag.

      Antilius hatte erst die Hälfte des Weges durch den Tunnel zurückgelegt. Zum ersten Mal fühlte er sich ermutigt.

      Kehre um, wenn du dich in der Dunkelheit nicht selbst erkennst.

      Er verstand zwar immer noch nicht, was diese Worte zu bedeuten hatten, aber er hatte das Gefühl, es zu erahnen. Der Schalter in seinem Kopf war umgelegt, sodass Antilius wieder für ein rationales Denken empfänglich war.

      Er lief weiter. Diesmal rannte er nicht.

      Rennen hilft dir nicht. Du kannst nicht davonlaufen.

      Die Zeit verstrich. Im Dunkel eh bedeutungslos.

      Doch dann irgendwann konnte er ein schwaches Licht am Ende des Tunnels erkennen. Licht!

      Er ertappte sich schon dabei, an die Illusion zu glauben, es fast geschafft zu haben, als ein lautes Schnauben direkt hinter ihm seine Bewegungen einfrieren ließ. Es klang wie ein wildes großes Tier, das ihm seinen heißen, stinkenden Atem in den Nacken blies.

      »Gilbert«, flüsterte Antilius, ohne sich zu bewegen.

      »Ich