Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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dass bis jetzt alles in Ordnung war und er zum nächsten Schritt ansetzen wollte, spürte er plötzlich einen eiskalten Hauch, der aus dem Tunnel kam, in seinem Gesicht.

      Er schrie auf und warf sich zurück.

      »Was ist passiert?«, fragte Antilius erschrocken.

      »Ich... ich bin mir nicht sicher. Da war irgendwas. Ich spürte mit einem Mal einen kalten Windstoß.«

      Gilbert schüttelte verständnislos den Kopf: »Das war nur der Zug. In solch einem riesigen Bau sind solche Windstöße ganz normal«, erklärte er angeberisch.

      »Ach ja? Dann geh du doch durch, du Besserwisser!«, schimpfte Pais zurück.

      »Wenn ich es könnte, würde ich es tun«, log Gilbert, denn er war sehr froh, in diesem Fall hinter der Spiegelscheibe zu sitzen und das Geschehen von einem sicheren Ort aus zu beobachten.

      Antilius schaute Pais fragend an.

      »Nach dir«, nahm dieser die Frage vorweg, ob er noch einmal vorgehen würde. Er drückte Antilius die Lampe in die Hand.

      »Also schön, dann werde ich es probieren.« Das Herz sank ihm in die Hose.

      »Ich bin ja bei dir«, sagte Gilbert beruhigend.

      Antilius stellte sich genau wie zuvor Pais vor den Korridoranfang und streckte seinen Arm aus, wobei er die Augen schloss. Er wartete ab. Es geschah aber nichts.

      »Wahrscheinlich habe ich mich wirklich geirrt. Meine Fantasie hat mir wohl einen Streich gespielt«, überlegte Pais.

      »Ich glaube auch«, stimmte Antilius mit noch immer ausgestrecktem Arm zu und sah Pais ermutigt an. Kaum hatte er dies gesagt, spürte er plötzlich etwas Kaltes, das seine Hand in der Dunkelheit ergriff. Es war hart und umschloss sein Handgelenk mit eisernem, schmerzvollem Griff. Antilius schrie entsetzt auf. Sekundenbruchteile später riss ihn das Etwas zu sich in das schwarze Nichts.

      Antilius verschwand in der Schwärze. Noch in dem Moment, in dem er in die Dunkelheit gezerrt wurde, schoss das Tor wieder hinab. So schnell, dass Pais es zunächst nicht realisieren konnte. Als er begriff, was geschehen war, wollte er mit einem gewagten Hechtsprung in den Tunnel hinterher springen. Doch zu seinem eigenen Glück war das Tor schneller, sodass er nur noch dagegen prallen konnte. Einen Wimpernschlag früher, und er wäre unter die Falltür geraten.

      Sein Schädel war relativ stabil, sodass es nur bei einer Beule bleiben sollte. Etwas benommen schüttelte er seinen Kopf.

      »Antilius?«

      Keine Antwort.

      »Antilius!«

      Nichts.

      Pais konnte ihn nicht hören, und umgekehrt war es genauso.

      Der Dunkle Tunnel hatte seinen einzigen Gast zu sich gebeten. Das Tor würde sich nicht mehr öffnen.

      In der Finsternis des Korridors erhob sich der zu Boden geworfene Antilius. Was immer ihn in die Dunkelheit gezerrt hatte, war verschwunden. Es hatte seine Hand wieder freigegeben. Er konnte nicht weit von dem Tor entfernt sein, wo Pais immer noch auf der anderen Seite stand. Antilius drehte sich hastig herum, blickte aber wieder nur in Schwärze. Nichts. Es war absolut nichts zu erkennen. Jedenfalls für menschliche Augen.

      »Pais? Pais, hörst du mich?«

      Pais konnte ihn nicht hören.

      Antilius ging in die Knie und tastete den Boden nach der Lampe ab, die er verloren hatte. Irgendwo musste sie doch sein!

      Er fand sie und versuchte sie zu entzünden. Vergeblich. Der Sturz auf den Steinboden war zu viel für sie gewesen. Sie war leer.

      Pech für dich!

      Antilius ging hektisch in die Richtung, aus der er meinte, gekommen zu sein. Es war zwar die richtige, aber kurz vor dem Ende des Ganges prallte er gegen eine unsichtbare Wand. Er hatte nicht mitbekommen, dass sich das Tor wieder geschlossen hatte.

      Er tastete das Hindernis ab, trat dagegen und hämmerte schließlich mit seinen Fäusten darauf ein. Doch es half nichts. Er war eingesperrt. Eingesperrt in der Finsternis.

      Er griff nach dem Spiegel. »Gilbert, bist du noch da?«

      »Ja. Was ist geschehen? Ich kann absolut nichts erkennen.«

      »Etwas hat mich in den Korridor gezogen, und jetzt kann ich nicht mehr zurück. Das Tor ist wieder zu.«

      »Vielleicht ist das der Sinn der Sache. Du musst jetzt den Korridor durchqueren. Du hast keine andere Wahl.«

      »Verdammt! Und wenn dieses Ding mich wieder packt?«

      Gilbert schwieg. Darauf hatte er keine passende Antwort. Alles, was er tun konnte, war, seinen Meister zu beruhigen.

      »Erinnere dich, was in der Wand geschrieben stand: 'Kehre um, wenn du dich in der Dunkelheit nicht selbst erkennst'.«

      Antilius atmete ein paar Mal tief durch, bis er wieder bereit war, sich zu zwingen, weiterzugehen. »Na, das kann ja heiter werden.«

      Er schaute noch einmal in Gilberts Spiegel und erblickte dessen besorgte Miene. Er hielt kurz inne und kam dann auf eine Idee.

      Er konnte Gilbert sehen. Licht! Das war es!

      »Gilbert, du hast doch gesagt, dass du jederzeit bestimmen kannst, was hinter dir, hinter dem Fenster erscheint.«

      »Ja.«

      »Kannst du nicht dafür sorgen, etwas mehr Licht in deinen Raum scheinen zu lassen? So könnte ich den Spiegel in eine Art Lampe umfunktionieren.«

      Gilbert rollte nachdenklich mit den Augen. »Warum nicht? Das ist eine ausgezeichnete Idee!«

      Er stellte sich vor sein Fenster und schaute in Richtung Sonne, die ja eigentlich keine war, aber trotzdem Licht spendete. Allein durch die Kraft seines Willens setzte sie sich in Bewegung und kam näher an den Horizont heran. Die Wiese von vorhin war immer noch da. Es wurde heller in Gilberts Zimmer. Die Sonne senkte sich weiter. So weit, bis sie schließlich fast auf einer Höhe mit dem Fenster war. Ihre Strahlen drangen nun auf einer Linie durch das Glas des Fensters und durch das Glas des Spiegels. Ein warmer, diffuser Schein trat aus dem Spiegel heraus, den Antilius in der Hand hielt.

      Sofort probierte er ihn aus. Und tatsächlich, es klappte. Zwar nur extrem schwach, aber immerhin konnte Antilius nun Schemen der Wand des Tunnels erkennen. Das Licht schien es hier drin sehr schwer zu haben, das Dunkel zu durchdringen. Das Dunkel schien sich gegen das Licht zu wehren.

      Aber schon die wenige Helligkeit reichte aus, um diesen Ort weniger bedrohlich erschienen zu lassen.

      Der schwache Lichtkreis wanderte die rechte Wand entlang, ging dann zum Boden über und ließ kurz darauf Antilius wieder erschaudern. Ein Skelett lag vor seinen Füßen. Er hatte es vorher nicht bemerken können. Es stammte aber dieses Mal nicht von einem Tier, sondern von einem Menschen. Definitiv. Es hatte eine grotesk sitzende Position auf dem kalten Grund eingenommen. Es hätte eigentlich nichts mehr geben dürfen, was die einzelnen Knochen noch zusammen hielt, aber es schien noch recht vollständig zu sein. Der Schädel war auf den Torso herunter gesackt. Die Arme lagen links und rechts daneben. Sollte etwa einer dieser Arme ihn gepackt haben? Unmöglich!

      Das ist doch nur ein Skelett. Nur Knochen.

      Doch je länger Antilius das Gerippe anstarrte, desto mehr überkam ihn das Gefühl, dass es ihn auch anstarrte. Irgendwie grinste es ihn an, obwohl ein Schädel keine Gesichtszüge mehr zustande bringen konnte.

      Sein Blick wanderte immer abwechselnd vom Schädel zu den Skelettarmen.

      »Nur ein dummes Skelett!«, sagte er laut.

      Dann wandte er sich wieder in die Richtung, in die er gehen musste. Das Zeittor wartete am anderen Ende. Antworten warteten am anderen Ende. Das fühlte er.

      Ganz langsam setzte