Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
Скачать книгу
Luft war sehr klar und kühl.

      Der Sandling ruhte regungslos an seinem Platz. Pais beobachtete ihn einige Minuten lang. Aus der Entfernung gab es nicht viel, was er erkennen konnte, um das Wesen zu charakterisieren. Das, was bei ihm selbst Haut war, sollte beim Sandling schlichter Sand sein. Wüstensand. Das war alles, was er über das Geschöpf wusste.

      Antilius fragte Pais, ob er ihm sagen könne, was sie dort am ersterbenden Lagerfeuer sitzen sahen, und Pais erzählte ihm alles, was er über das mythenhafte Volk der Sandlinge wusste.

      »Vielleicht kann er uns helfen. Als Brelius hier vorbeigekommen ist, ist er dem Sandling vielleicht begegnet«, sagte Antilius.

      Er wollte ihm entgegenhinken, doch Pais hielt ihn an der Schulter sanft zurück. »Warte«, sagte er leise. »Da gibt es noch etwas, was du wissen musst, bevor du mit ihm sprichst.«

      »Was meinst du?«

      »Er ist alt. Sehr alt. Er hat vieles gesehen in seinem langen Leben.«

      »Worauf willst du hinaus?«

      »Soviel ich weiß, leben Sandlinge normalerweise in der Wüste. Auch wenn ich bis eben noch Stein und Bein geschworen hätte, dass es diese Wesen nicht gibt.«

      »Was macht er dann hier ganz allein?«

      Pais ließ sich einen Moment Zeit, die passenden Worte zu finden.

      »Ich glaube, es gibt nur einen Grund, warum er seine Heimat verlassen hat und die Einsamkeit sucht.«

      »Welchen?«

      »Er will sterben. Das hier ist der Ort, den er dafür ausgewählt hat.«

      Antilius flößte diese Vorstellung sowohl Unbehagen als auch eine Spur von Faszination ein. »Ich werde vorsichtig sein. Wirst du mitkommen?«

      »Nein, ich werde hierbleiben. Dieses Wesen, Antilius, ist mehr als nur ein Haufen Sand. Für manche ist es so etwas wie ein Gott. Es wird einen Grund dafür geben, warum er so dicht vor unserem Ziel gerade hierhergekommen ist. Ich glaube, nachdem was ich von Brelius’ Tagebuch gehört habe, dass dieses Wesen womöglich auf dich gewartet hat. Ich kann das nicht genauer erklären. Aber es ist deine Suche, Antilius. Und deshalb solltest du mit ihm sprechen. Ich bleibe hier in der Nähe und behalte die Umgebung im Auge. Man kann nie vorsichtig genug sein.«

      Antilius verstand. Pais hatte große Ehrfurcht vor dem Wesen aus Sand. Er nahm Gilberts Spiegel, der mangels Brusttasche wieder im Gürtel befestigt war, und gab ihn seinem Gefährten. Nun war er bereit, obwohl er sich innerlich keineswegs bereit fühlte.

      Langsam humpelte er mithilfe seiner improvisierten Krücke auf ihn zu. Nicht nur, um den Sandling nicht zu verschrecken, sondern weil sich sein verletzter Fuß gegen jede Art von Bewegung mit heftigen Schmerzen wehrte.

      Der allerletzte Lichtstrahl des Tages schien auf das Wesen. Es bestand tatsächlich nur aus reinem Sand. Hell und feinkörnig. Aber Antilius fiel gleich auf, dass seine Oberfläche sehr uneben war. Er hielt dies zunächst für normal.

      Der Sandling schien den Besucher nicht zu bemerken. Antilius stellte sich direkt vor ihn. Nur das bescheiden glimmende Holz trennte sie. Holz war eigentlich in dieser Gegend Mangelware, aber nicht unweit vom Sandling ragte ein toter Baum aus der Erde, der nun als Heizmaterial diente.

      »Hallo. Ich heiße Antilius«, sagte er unsicher.

      Keine Reaktion. Der Sandling schaute ausdruckslos auf den Boden. Dennoch war sich Antilius sicher, dass er ihn wahrgenommen hatte. »Ich will dir nichts tun. Ich komme von weit her«, sagte Antilius zögerlich.

      Nach einer Weile hielt er das Stehen nicht mehr aus. Der Fuß. Mithilfe seiner Krücke setzte er sich langsam und umständlich zu Boden.

      »Schmerzt es?«, fragte der Sandling plötzlich. Träge richtete er seinen Kopf auf. Sand fiel von ihm ab und rieselte zu Boden. Erst jetzt entdeckte Antilius, dass rund um das Geschöpf herum ein kleiner Sandteppich ausgebreitet war. Bei jeder Bewegung des Sandlings kam weiterer Sand hinzu, der von ihm abfiel.

      Erstmals konnte er sein Gesicht erkennen. Es bestand ebenfalls aus feinem goldenen Wüstensand. Seine Augen waren auch golden, doch sie glänzten nicht. Sie waren matt. Sie hatten ihre Lebenskraft verloren.

      Antilius hatte vor lauter Aufregung gar nicht zugehört, wonach ihn das Wesen gefragt hatte.

      »Schmerzt es dich?«, wollte der Sandling wissen und deutete auf den verletzten Fuß. Wieder fiel dabei Sand von ihm ab.

      »Ja. Ja, es tut sehr weh.«

      »Schmerzen sind keine gute Sache.« Das Wesen machte ein mitleidiges Gesicht. »Ich werde dir helfen. Zeige mir deine Verletzung.« Seine Stimme klang leicht brüchig. Alt, aber weise. Warm und ein wenig wehmütig.

      Antilius schob sich neben den sprechenden Sand und zeigte ihm seinen Fuß. Der Sandling war fast doppelt so groß wie er. Er streckte seinen Arm aus, wodurch sich noch viel mehr Sand als zuvor von ihm löste. Er umschloss mit seiner großen körnigen Hand die verletzte Stelle.

      Zunächst spürte Antilius nichts. Doch auf einmal wurde sein Knöchel heiß. Anfangs war es noch auszuhalten, doch es wurde immer heißer. Dann brannte es so sehr, als ob ihm jemand heiße Lava auf den Fuß gegossen hätte. Er versuchte, einen Schrei zu unterdrücken. Aber dann schrie er doch. So laut wie noch nie zuvor in seinem Leben. Und als er nicht mehr schreien konnte, weil er glaubte, in Ohnmacht gefallen zu sein, fühlte er auf einmal nichts mehr. Kein Brennen. Keinen Schmerz.

      Ungläubig bewegte er vorsichtig das Gelenk. Es tat nicht mehr weh. Er zog den Stoff des Hosenbeins höher, um das Wunder genauer zu untersuchen. Die Haut war noch ein wenig dunkel verfärbt, aber der Schmerz war fort, genauso wie die Schwellung. Der Fuß hatte seine völlige Bewegungsfreiheit wiedererlangt.

      Fragend und staunend schaute er den Sandling an. »Wie hast du das gemacht?«

      Das Geschöpf legte seinen Kopf ein wenig zur Seite. Dabei fiel wieder Sand herab und Antilius sah, dass dies die Ursache für die zerfurchte Oberfläche des Gesichts und Körpers war.

      »Was geschieht mit dir?«, fragte Antilius.

      »Es fällt schwer, die Form zu behalten«, sagte der Sandling leise.

      »Kann ich irgendetwas für dich tun?«

      »Es ist so kalt. Die Sonne, wo ist sie?« Er schaute sich um.

      »Sie ist untergegangen.«

      »Ich friere so sehr!«, seufzte das Wesen aus Sand.

      »Ich werde das Feuer wiederbeleben«, sagte Antilius und sprang auf. Er konnte es immer noch kaum fassen, dass er wieder völlig geheilt war. Er sprintete zu dem toten Baum hinüber und brach Zweige ab. Als er einen großen Stapel gesammelt hatte, schichtete er es sorgfältig auf dem alten Haufen auf. Die Resthitze entfachte nach kurzer Zeit das trockene Geäst, und große Flammen begannen zu tanzen und das Holz zu verzehren.

      »Besser?«, fragte er.

      »Es wird wärmer.«

      Beide schauten eine Weile in das Feuer. Die Nacht hatte begonnen. Pais saß mit Gilbert in etwa einhundert Meter Entfernung und beobachtete die beiden geduldig.

      »Wer bist du?«, fragte das Wesen schließlich unvermittelt.

      »Ich bin Antilius. Ich bin auf der Suche.«

      »Was suchst du?«

      »Ich suche jemanden, der Brelius Vandanten heißt.«

      »Brel… Was? Wer?« Der Sandling war verwirrt.

      »Er ging durch das Zeittor, das sich hier in der Nähe befinden soll. Hast du ihn gesehen?«, half ihm Antilius.

      »Ah! Der Zeitreisende. Oh ja, ich erinnere mich. Ich habe mit ihm geredet.«

      »Was hat er dir gesagt?« Antilius verspürte eine leichte Ungeduld in sich aufsteigen, doch er bemühte sich, sie zu kontrollieren.

      »Er war besessen«, sagte der Sandling.