Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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und wiederholte sich in unregelmäßigen Abständen.

      »Wieso können wir sie nicht sehen?«

      »Sie können sich fast unsichtbar machen, wenn sie wollen. Dicht zusammenbleiben!«, befahl Pais ruhig und hoch konzentriert.

      Die Schreie bewegten sich immer dichter an sie heran, aber sie konnten die Angreifer nicht ausfindig machen. Der Mond schien helfen zu wollen, indem er so hell strahlte, wie er es selten tat, aber es nützte nichts. Die gefräßigen Tiere blieben unsichtbar.

      Haif versuchte, sich hinter Antilius und Pais zu verstecken. Da er nur halb so groß war wie die beiden, glaubte er, dort wenigstens ein bisschen Schutz zu bekommen.

      Und genau ihn hatte eines der angaloppierenden Piktins im Visier. Piktins waren kaum größer als ein ausgewachsener Eber, aber kräftiger als eine Raubkatze und hungriger als ein Löwe.

      Er hörte deutlich die galoppierenden Schritte der Tiere, doch sehen konnte er sie nicht.

      Plötzlich verstummten die Geräusche und ebenso das Kreischen. Langsam, ganz langsam schlich sich eines der unsichtbaren Piktins an Haif heran. Sein Zittern verriet dem Räuber, dass er es mit einer leichten Beute zu tun hatte.

      Die Köpfe von Antilius und Pais flogen planlos herum, doch es war vergebens. Die unsichtbare Gefahr verheimlichte ihre Gegenwart.

      Haif stand nur starr und zitternd da. Das eine Piktin war nun nahe genug, um ihn von hinten mit einem Satz anzufallen. Es machte sich sprungbereit und ließ sich dabei viel Zeit. Einen Fehler wollte es jetzt nicht machen. Jetzt durch eine Unachtsamkeit seine Beute entwischen zu lassen, wäre ein Sakrileg. Auch die anderen beiden machten sich für einen Angriff bereit, wobei jeweils Antilius und Pais die erwählten Opfer waren.

      Pais kannte das Jagdverhalten der Piktins, doch diese Methode war ihm neu. Diese Räuber, so wusste er, griffen nur von einer Seite an. Wieso blieben sie dann jetzt stehen? Zuerst dachte er, dass sie noch immer direkt vor ihnen lauern müssten, doch dann schoss es ihm wie ein Blitz durch den Kopf, dass sie um ihre Opfer herumgeschlichen waren, um sie hinterrücks von der Waldseite aus anzugreifen. Dort, von wo man es am wenigsten erwartete.

      Im fahlen Mondlicht zog lautlos der Schatten einer Wolke über Jäger und Beute hinweg. Bis auf Haifs leises Gewinsel war alles um sie herum still.

      Dann ging alles sehr schnell. Noch während es bei Haif dämmerte, dass das Raubtier hinter ihm sein könnte, fuhr er schlagartig herum. Überrascht davon, verlor das Piktin, das es auf ihn abgesehen hatte, seine Tarnung. Zwar nur für einen Sekundenbruchteil, aber es reichte für Pais aus, um zu reagieren. Der erste Bolzen schoss aus seiner Armbrust haarscharf an Haif vorbei auf das Tier zu und durchbohrte es zwischen den Rippen.

      Der Sortaner schrie vor Schreck auf und rannte in den Wald.

      Das verletzte Piktin fiel durch die Wucht des Aufpralls des kleinen Geschosses auf die Seite. Die anderen beiden Piktins blieben unsichtbar, flüchteten aber hörbar zurück in die freie Ebene.

      »Haif, bleib hier!«, schrie Pais.

      Doch Haif hörte nichts mehr. Sein Fluchtinstinkt befahl ihm, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen.

      Antilius drehte sich wieder zurück zur gegenüberliegenden Seite des Waldes, um die fliehenden Piktins ausfindig zu machen. Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass diese Unterstützung bekommen hatten. Etwa ein Dutzend von ihnen stand Pais und Antilius nun gegenüber, in einer Entfernung von etwas mehr als zwanzig Schritten. Sie hielten es nicht mehr für nötig, sich zu tarnen.

      »Das war eine Falle. Ich hätte es wissen müssen!«, fluchte Pais.

      Antilius sah, wie das Licht des Mondes von den mit Speichel benetzten Fangzähnen der Raubtiere reflektiert wurde und vernahm einen Chor aus wildem und hungrigem Knurren.

      »Wenn ich ‚los’ sage, dann rennst du so schnell du kannst. Sie sind nicht besonders schnell. Das ist unsere einzige Chance.«

      »Das sind zu viele! Wir können unmöglich …«

      »Los!«, schrie Pais und sauste, so schnell er konnte, in den Wald, den er noch am frühen Abend endlich hinter sich geglaubt hatte.

      Antilius folgte ihm. Und die Piktins auch.

      Seite an Seite hetzten Pais und Antilius durch das Gehölz. Die Piktins waren ihnen dicht auf den Fersen. Holten rasch auf.

      Der Wald sah in dem silbrig fahlen Mondlicht ganz anders aus als am Tage. Schon nach kurzer Zeit verlor Antilius die Orientierung. Das Einzige, wonach er sich richtete, waren die Kreischlaute hinter seinem Rücken, die sich nicht abschütteln lassen wollten. Er drehte kurz den Kopf nach rechts, um sich zu vergewissern, dass Pais noch da war.

      »Wir müssen uns trennen!«, schrie Pais atemlos und schlug einen Haken mit einer erstaunlichen Agilität.

      Antilius rannte weiter in die entgegensetzte Richtung des Kreischens. »Pais! Wo bist du?«

      Statt einer Antwort nahm das Schreien der Piktins an Intensität noch zu. Antilius hechtete über umgestürzte Bäume, patschte durch tiefe Wasserlachen und stürzte über schwere Schlammlöcher.

      Er konnte den heißen, gierigen Atem der Raubtiere regelrecht in seinem Nacken spüren. Jeden Moment erwartete er, gebissen zu werden.

      Weg! Nur weg! Lauf!, wirbelte es durch seinen Kopf.

      Er rannte auf einen abschüssigen Abhang zu. Das matschige Laub unter seinen Füßen verwandelte sich in eine Rutschbahn. Es war nur eine Frage der Zeit, und dann passierte es. Er rutschte aus, fiel nach vornüber und purzelte den Hang hinunter. Bei seinen zahllosen unfreiwilligen Überschlägen konnte er einen Blick auf seine Verfolger erhaschen.

      Es waren fünf. Vielleicht sechs. Oder mehr.

      Antilius streifte den knochigen Zweig einer ausgedörrten Buche. Sein linkes Hosenbein wurde vom Knie abwärts zerfetzt und eine lange blutige Schramme zierte seine Wade.

      Am Ende des Hangs angekommen, rappelte er sich wieder hoch und eilte weiter. Er hatte sich beim Sturz den rechten Fuß schwer gestaucht, doch das spürte er jetzt nicht.

      Er wagte noch einen flüchtigen Blick zurück und stellte fest, dass er etwas Abstand zu den Bestien gewonnen hatte.

      Blätter und Äste peitschten ihm ins Gesicht.

       Nicht mehr umdrehen!

      Der kalte Schein des Mondes war sein einziger Verbündeter. Er verhinderte, dass er in der Dunkelheit frontal gegen einen Baum prallte.

      Auf einmal tauchte vor ihm ein riesiges Gebilde auf. Es sah aus wie ein riesiger Schatten. Als er sich ihm näherte, stellte er fest, dass es ein kolossaler Fels war, mitten im Wald, der die Form eines Stalagmiten hatte. Er war mindestens einhundert Meter hoch. Antilius korrigierte seine Laufrichtung, um bei dem Felsen irgendwie Schutz zu finden. Der Felsblock wirkte wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung. Er konnte nicht natürlichen Ursprungs sein.

      Die Monster holten wieder auf. Seine Kräfte schwanden. Langsam kroch der Schmerz in dem lädierten Fußknöchel sein Bein hoch.

      Dann sah Antilius eine Tür. Eine Tür! Mitten im Fels. Er stürmte mit eisernen Willen darauf zu. Fast wäre er gegen deren Holz gestoßen, als sie sich plötzlich wie von Geisterhand von alleine öffnete. Er sprang ins Innere des Felsens und fiel auf die Knie. Im gleichen Augenblick drehte er sich um und sah die mörderische, blutgierige Bande auf sich zu stürmen. Antilius warf sich von innen gegen die Tür. Mit einem widerhallenden Donnern fiel sie ins Schloss. Die Piktins stießen dagegen, kratzen und heulten. Sie konnten es nicht fassen, dass ihre Beute entkommen war.

      Wie wahnsinnig kratzen und jaulten sie minutenlang.

      Antilius saß auf dem Boden gegen die Tür gelehnt und rang nach Atem.

      Nach einer Weile legte sich der Lärm.

      Lange horchte er an der Tür, ob die Piktins noch draußen auf ihn warten würden. Er konnte aber kein Schreien, kein Hecheln mehr hören. Sein eigener Atem hallte