„Wie schwer es doch ist, Kummer zu verbergen! Obwohl Ihr Euch mit Rücksicht auf Eure und die Ehre Eurer Tochter zweifelsohne darum bemüht, verrät mir Euer Gesicht den Kummer doch zu deutlich, als dass ich zuversichtlich wäre, ihn selbst verbergen zu können.“
„Wie, Madame“, klagte der ungeduldige Vater und ließ seinen Tränen Lauf, „kommt es, dass Ihr von meinem Unglück wisst?“
„Leider“, antwortete sie. „fürchte ich, dass Ihr der letzte wart, der von diesem Unglück Kenntnis bekam. Meine Hoffnung war, dass mein Rat und die täglichen Beweise der Geringschätzung, die der Count Eurer Tochter gegenüber hegt, sie dazu bringen würden, ihn zurückzuweisen, und ich bitte Euch tausendmal um Verzeihung für den Verrat an unserer Freundschaft, als ich Euch eine Affäre verschwieg, von der Ihr hättet erfahren müssen.“
„Ach, Madame!“, unterbrach er sie, „ich bitte Euch, sich für nichts zu entschuldigen, was der Vergangenheit angehört. Die Größe Eurer Güte ist mir wohlbekannt, und auch die Gunst, mit welcher Ihr meine Tochter immer beehrt habt; ich bitte nur darum, nicht länger im Unwissen über das schlimme Geheimnis bleiben zu müssen.“
„Ihr werdet über alles informiert werden“, sagte sie. „Ihr müsst mir aber versprechen, meinen Ratschlägen zu folgen.“
Nachdem er dies tat, teilte sie ihm mit, auf welche Weise Amena in ihr Haus gekommen war, wie kühl sich der Count ihr gegenüber verhalten hatte und wie es um das Ungestüm ihrer Leidenschaft für ihn stand.
„Nun“, sagte sie, „falls Ihr Eurem Zorn gegen den Count öffentlich freien Lauf lasst, dann wird das nur die Entehrung Eurer Tochter zum Tischgespräch von ganz Paris machen. Er ist am Hof zu angesehen und hat zu viele Freunde, um sich irgendwelche Bedingungen aufzwingen zu lassen, die Euch zufriedenstellen. Schon der geringste Klatsch könnte ihm verraten, auf welche Weise er mit ihr und ihrer exzessiven, um nicht zu sagen: ärgerlichen Vernarrtheit in ihn ursprünglich bekannt wurde. Und sollte dies geschehen, dann würde die Schande gänzlich auf sie fallen, und nur wenige würden ihn dafür verdammen, die von einer so jungen und schönen Lady wie Amena angebotenen Liebkosungen akzeptiert zu haben.“
„Aber wie ist es möglich“, rief er ganz verwirrt über diese Worte, „dass sie so tief sinken konnte, ihre Liebe anzubieten? Ach Himmel, ist das die ganze Wirkung meiner Gebete, meiner Fürsorge und meiner Milde?“
„Zweifelt nicht an der Wahrheit meiner Worte“, sprach sie weiter. „Was ich weiß, habe ich von ihr selbst, und davon wird Euch überzeugen, was ich Euch nun sage und vorher vergessen hatte.“
Nun erzählte Alovisa ihm von dem Zettel, den Amena in den Brief geschoben hatte, welchen er sie zu schreiben gezwungen hatte, und dass sie Anaret zum Count geschickt hatte, was sie durch erfundene Umstände noch drastischer ausmalte, bis der alte Mann, der das alles wie ein Orakel für bare Münze nahm, zwischen Sorge und Zorn schwankend fast den Verstand verlor; doch zunehmend vom Zorn beherrscht, schwor er, Amena auf eine Weise zu bestrafen, die jedes Kind vom Ungehorsam abhalten würde.
„Jetzt ist der Moment“, sagte Alovisa, „wo ich erwarte, dass Ihr Euer Versprechen erfüllt; solche Drohungen sind kaum dazu geeignet, den Ruf Eurer Tochter oder Eure Seelenruhe wiederherzustellen; also glaubt mir, es ist besser, nicht viel Worte darum zu machen, vielmehr zeigt Gelassenheit in Eurer Miene und überlegt, ob Ihr nicht einen Freund in einem Kloster habt, wohin Ihr sie schicken könntet, bis das Gerede und ihre Torheit sich gelegt haben. Falls Ihr niemanden kennt, kann ich Euch ein Kloster in St. Dennis empfehlen, dessen Äbtissin nahe mit mir verwandt ist und auf meinen Brief hin Amena mit aller nur vorstellbaren Liebe behandeln wird.“
Monsieur war äußerst erfreut über diesen Vorschlag und dankte ihr in Worten, wie sie ihre scheinbare Freundlichkeit verdiente.
„Ich möchte nicht“, fuhr sie fort, „dass Ihr sie mit nach Hause nehmt oder sie seht, bevor sie dorthin geht; oder, wenn Ihr doch wollt, nicht bevor alles für ihre Abreise vorbereitet ist, denn ich weiß, dass sie so viele Versprechen, sich zu bessern, geben wird, bis sie mithilfe Eurer väterlichen Milde durchgesetzt hat, in Paris zu bleiben, und ich weiß auch, dass sie nicht die Kraft hat, diese Versprechen zu halten, wenn sie in der gleichen Stadt wie der Count lebt. Sie kann, wenn Ihr wollt, in meinem Haus versteckt wohnen, bis Ihr alles für die Reise hergerichtet habt; um üble Nachreden zu vermeiden, ist es auch hilfreich, wenn Ihr verbreitet, dass sie sich mittlerweile bei Verwandten auf dem Land aufhält.“
Während sie sprach, kam Charlo und teilte ihr mit, dass jemand sie zu besuchen wünschte. Sie zweifelte nicht daran, dass es D´Elmont war, also drängte sie Monsieur Sanseverin zu gehen, doch nicht ohne ihn den Entschluss bekräftigen zu lassen, ihre Ratschläge vollständig zu befolgen. Sobald sie sich der Ankunft von D´Elmont sicher war, schwand alle Traurigkeit aus ihrer Miene, die nun Frohsinn und gute Laune ausstrahlte; sie zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen und alle lachenden Kupiden in ihre Augen.
„Mein Herr“, sagte sie, „Ihr tut gut daran, durch diesen zeitigen Besuch Eurem Geschlecht den dahinschwindenden Ruf der Beständigkeit zurückzugewinnen und zu beweisen, wie gut Amenas Urteilsvermögen war, als sie ihre Gunst einer Person gewährte, die sie aufgrund ihrer Qualifikationen, darunter die Beharrlichkeit, auch verdient.“
Als er zu einer Antwort ansetzte, wurden sie durch das Geräusch von jemandem, der hastig die Treppe an einem Ende des Salons herablief, genötigt, sich dorthin zu wenden. Es war die unglückliche Amena, die den Gedanken daran, im Haus ihrer Rivalin zu bleiben, nicht ertragen konnte, und die versunken in ihr Leid und ohne Rücksicht darauf, was aus ihr werden könnte, sich anschickte, diesen abscheulichen Ort zu fliehen, sobald sie hörte, dass die Tore geöffnet waren. Alovisa erschrak angesichts dieses Widerstands, denn sie hatte gehofft, mit dem Count eine Weile sprechen zu können, bevor die beiden sich begegneten; doch sie verbarg ihre Bestürzung. hielt Amena fest, als sie vorbeilaufen wollte, und fragte sie, wohin sie wolle und was der Grund für ihre Aufregung sei.
„Ich fliehe“, antwortete Amena, „vor einem falschen Liebhaber und einer falschen Freundin. Aber warum sollte ich Euch tadeln?“
Sie blickte wütend zwischen dem Count und Alovisa hin und her.
„Verräterisches Paar, nur zu gut kennt Ihr die Niedertracht des anderen und meine Missetaten; haltet also nicht länger eine Unglückliche fest, deren Gegenwart, wenn ihr auch nur das geringste Gefühl von Ehre, Dankbarkeit oder gewöhnlicher Menschlichkeit hättet, euer Gewissen mit Reue und Scham erfüllen würdet, und die jetzt keinen anderen Wunsch hat als den, euch für immer zu meiden.“
Bei diesen Worten versuchte sie sich aus Alovisas Armen zu befreien, doch diese hielt sie trotz ihres Schrecks immer noch fest. D´Elmont war nicht minder verstört und wusste, ohne die Bedeutung jener Worte zu verstehen, nicht, was er dazu sagen sollte, bis sie ihre Anschuldigungen wieder aufnahm:
„Warum, ihr barbarischen Ungeheuer, erfreut ihr euch am Anblick des Unglücks, das ihr angerichtet habt? Reicht nicht das Wissen um mein Elend, mein immerwährendes Elend, um euch zu befriedigen? Und muss mir das einzige Heilmittel für mein Leiden verwehrt bleiben? Der Tod! Ach, welch grausamer Lohn für meine Liebe und meine Freundschaft und das Vertrauen, das ich in euch gesetzt hatte! Ach, wie tief bin ich gesunken durch mein zu weiches und unbefangenes Wesen; es ist das harte Los der Zartheit, andere zu heilen, aber sich selbst zu verwunden – gerechter Himmel!“
Hier hielt sie ein; ihre Wut erstickte ihre Worte und entlud sich in Seufzern; dann fiel sie in Ohnmacht. So fassungslos der Count und Alovisa auch waren, sie unterließen nichts, um Amena wieder zu Sinnen zu bringen. Als sie damit zu Werke gingen, fiel jener verhängnisvolle Brief, welcher die Aufregung verursacht hat, aus ihrem Busen, und im Versuch, ihn als erster zu fassen zu kriegen (im Glauben, dass er etwas enthülle), ergriffen beide ihn im gleichen Augenblick. Der Brief war nur leicht gefaltet und offenbarte ihnen gleich, was die Quelle von Amenas Verzweiflung war; ihre Vorwürfe an Alovisa und die Schamröte und Bestürzung, die der Count auf ihrem Gesicht wahrnahm, als sie den Brief öffneten, machten dem Geheimnis ein Ende. Auch jemand mit geringerer Auffassungsgabe als D´Elmont