´Ist es vereinbar mit der Zartheit deines Geschlechts´, rief er, ´oder der Pflicht, die du mir schuldest, sich mit einem Mann zu treffen, um dessen Absichten ich nicht weiß? Wären sie beim Count D´Elmont von ehrenhafter Art, warum hält er sie geheim?´
´Der Count D´Elmont´, rief meine Herrin noch erschrockener als zuvor, ´hat mir nie irgendwelche Erklärungen gemacht, um die Ihr hättet wissen müssen, und ich bin mit ihm nie auf andere Weise umgegangen als so, wie es Eurer Tochter geziemt.´
´Das stimmt nicht´, unterbrach er sie wütend. ´Ich bin über das Gegenteil zu gut informiert. Keines eurer Treffen, auch nicht das vertraulichste, ist mir verborgen geblieben!´
Nun urteilt selbst, Sir, wie verwirrt meine Herrin von dieser Rede gewesen sein muss. Vergeblich nahm sie all ihren Mut zusammen, um ihn zu überzeugen, dass er solch ehrenrührigen Nachrichten keinen Glauben schenken sollte; er wurde davon nur noch erboster und stürzte nach tausend weiteren Vorwürfen mit allen Zeichen der erbittertsten Entrüstung aus dem Zimmer. Doch obwohl Eure Lordschaft zu vertraut ist mit Amenas sanftem Wesen, um zu glauben, dass sie die Verärgerung eines Vaters, der sie immer auf das Zärtlichste geliebt hat, mit Gleichmut ertragen würde, so könnt Ihr Euch doch unmöglich das Ausmaß ihres Seelenschmerzes vorstellen; sie erfuhr, dass jedes Detail ihres schlechten Benehmens, wie sie es nannte, verraten worden war, und bezweifelte nicht, dass wer immer ihr diesen üblen Dienst bei ihrem Vater erwiesen hatte, auch anderen Leuten als ihm die Geheimnisse enthüllen würde. Kummer, Furcht, Reue und Scham ergriffen sie nacheinander und machten es unmöglich, ihr Trost zuzusprechen. Selbst das liebevollste Zureden verstummte unter ihren verstörten Schreien, und eine Zeitlang sah sie Eure Lordschaft nur im Lichte ihres Verderbers.“
„Wie kann meine Amena“, rief D´Elmont sie unterbrechend, „die ich für so lieblich hielt, so hart über mich urteilen?“
„Ach, mein Herr“, sprach Anaret weiter, „Ihr müsst ihr diese ersten Aufwallungen vergeben, die trotz ihrer Gewalt in Eurer Gegenwart in einem Augenblick vergehen würden; und obwohl der Gedanke an Euch im Moment nicht diese Wirkung hat, so entwürdigt es ihn doch nicht, wenn er sich mit einem Feind herumschlagen muss, denn am Ende wird er ihn in die Flucht schlagen und einen so vollständigen Sieg erringen, dass vor Morgengrauen von all ihrem Kummer nur noch die Angst bleibt, Euch zu verlieren. Ich bin auch so frei, Eurer Lordschaft zu versichern, dass meine Worte nicht den Eindruck erwecken sollen, sie habe sich nun entschlossen, auf die Liebe und auf Euch mit Verachtung zu blicken.
Doch um meine Erzählung möglichst kurz zu halten: Kaum war die Nacht vorüber, als Monsieur ihr Vater das Gemach betrat und seine Miene, wenngleich beherrschter als jene, mit der er uns verlassen hatte, einen solchen Ernst verriet, dass meine eingeschüchterte Herrin fast wieder den Mut verlor, den sie für diese Begegnung gefasst hatte.
´Ich komme jetzt nicht, Amena´, sagte er, ´um dich zu tadeln oder für deinen Ungehorsam zu bestrafen; wenn dich deine Vernunft nicht völlig verlassen hat, dann plagen dich deine eigenen Gedanken zur Genüge. Der erste Schritt aber sollte sein – wenn schon nicht, um deinen Ruf wiederherzustellen, sondern um zukünftigen Verleumdungen vorzubeugen –, dass du an Count D´Elmont schreibst.´
Als sie etwas sagen wollte, fügte er hinzu: ´Ich wünsche keine Widerworte´; dann führte er sie zu ihrem Schreibtisch und befahl ihr niederzuschreiben, was er ihr diktierte und was Ihr erhalten habt. Gerade als sie den Brief versiegeln wollte, brachte ein Diener die Nachricht, dass ein Gentleman mit Monsieur Sanseverin zu sprechen wünsche, also musste er das Zimmer verlassen, was ihr die Gelegenheit gab, einen Zettel zu schreiben, den sie mit Geschick in den Brief hineinschob, ohne dass ihr Vater es bei seiner Rückkehr bemerkte. Er ließ den Brief unverzüglich überbringen, ohne von ihrem Trick zu ahnen.
´Jetzt´, sagte er, ´werden wir uns ein Urteil über die Redlichkeit der Gefühle des Count bilden können, aber bis dahin werde ich mich als jemand erweisen, dem die Ehre seiner Familie nicht gleichgültig ist.´
Mit diesen Worten nahm er sie bei der Hand, führte sie durch sein eigenes Gemach in ein kleines Zimmer, das er für diesen Anlass in Ordnung zu bringen befohlen hatte, und sperrte sie dort ein. Ich folgte ihnen bis zur Tür und unterstützte meine Herrin bei ihrem Wunsch, mir möge gestattet sein, bei ihr zu bleiben. Aber es war vergeblich, er sagte mir, er zweifle nicht daran, dass ich in dieser Angelegenheit ihre Vertraute wäre, und befahl mir, sein Haus für ein paar Tage zu verlassen. Sobald er gegangen war, begab ich mich zum Garten und spazierte eine Weile auf und ab in der Hoffnung, eine Gelegenheit zu finden, um mit meiner Herrin durch das Fenster zu sprechen, denn ich wusste, dass jene Kammer eines hat. Ich konnte sie aber nicht erblicken, also suchte ich einen kleinen Stock, mit dem ich leise gegen die Fensterscheibe klopfte, woraufhin sie das Fenster öffnete. Als sie mich sah, strahlten ihre Augen vor Freude, obwohl sie voller Tränen waren.
´Liebe Anaret´, sagte sie, ´wie froh bin ich über diesen Beweis deiner Zuneigung. Es liegt jetzt nur in deiner Macht, mein Unglück zu lindern, und ich weiß, du bist gekommen, um mir zu helfen.´
Dann, nachdem ich ihr versicherte, jeden Befehl bereitwillig auszuführen, bat sie mich, Euch aufzusuchen und über das Geschehene zu unterrichten und Euch auch ihre Schwüre ihrer ewigen Liebe zu übermitteln.
´Meine Augen´, sagte sie weinend, ´werden ihn vielleicht nie mehr wiedersehen, aber die Phantasie kann das Verlorene ersetzen, und in meinem Herzen wird er nie abwesend sein.´
„Ach, redet nicht so“, rief der Count äußerst gerührt von diesen Worten. „Ich muss, ich will sie sehen, und nichts soll sie von mir zurückhalten.“
„Das könnt Ihr“, antwortete Anaret. "Dann muss es aber mit der Erlaubnis von Monsieur Sanseverin geschehen; er wird sich stolz wähnen, Euch in der Eigenschaft eines Werbers um die Hand seiner Tochter empfangen zu können. Es erfordert von Euch nur eine öffentliche Erklärung, damit er sich dazu entschließt.“
D´Elmonts Freude darüber hielt sich in Grenzen; er war zu scharfsichtig, um nicht gleich zu erkennen, worauf Monsieur Sanseverin hinauswollte; und so sehr er Amena auch mochte, er fand in sich keine Neigung, sie zu heiraten, und war deshalb nicht gerade entzückt davon, einen Entschluss mitzuteilen, der ihn als hinterhältig erscheinen ließ. Er ging zwei oder drei Mal im Kreis und gab sich Mühe, seinen Unwillen zu verbergen; und als er den Schock so weit überwunden hatte, dass keine Anzeichen davon mehr sichtbar waren, sagte er mit einer gewissen Kühle:
„Ich würde jeden angemessenen Weg bereitwillig gehen, um Amena und ihr Herz zu gewinnen; es gibt aber bestimmte Gründe, warum ich ihrem Vater gegenüber meine Absichten nicht erklären kann, ohne vorher mit ihr zu sprechen.“
„Mein Herr“, antwortete die feinsinnige Anaret, die leicht erriet, was er meinte, „ich bete zum Himmel, dass euer Treffen möglich wäre; ich würde alles riskieren, um es zustande zu bringen, und wenn Eure Lordschaft irgendetwas im Sinn hat, bei dem ich zu Diensten sein könnte während der kurzen Zeit, in der ich im Haus bleiben darf, dann bitte ich darum, es mir aufzutragen.“
Ihre Miene bei diesen Worten überzeugte den Count, dass sie ihm tatsächlich bei diesem Problem helfen könnte. Sofort kam ihm die Idee für das sicherste Mittel, um sie für seine Zwecke an sich zu binden.
„Ihr seid sehr entgegenkommend“, sagte er, „und ich bin zuversichtlich, dass Eure Erfindungsgabe nicht geringer ist als die Güte Eures Wesens; daher überlasse ich es vollständig Eurer Planung, wie ich zu meinem Glück gelange. Und damit Ihr nicht denkt, dass Ihr Euren Dienst einer undankbaren Person erweist, bitte ich Euch...“
Er reichte ihr einen Beutel voller Goldmünzen.
„… diese kleine Anzahlung als Zeichen meiner Freundschaft anzunehmen.“
Anaret, wie die meisten Dienerinnen, war zu erpicht auf Geld, um einer solchen Versuchung widerstehen zu können, auch wenn sie es erhielt, um die Ehre ihres ganzen Geschlechts zu verraten. Nach einer kleinen Pause antwortete sie:
„Eure Lordschaft ist zu großzügig, als dass ich das verweigern könnte, auch wenn es sich hier