„Ich weiß“, unterbrach D´Elmont sie. „Ich habe dort von meiner Liebsten einige Male Abschied genommen, wenn sie aufgrund meiner Bitten so lange bei mir war, dass sie bei ihrer Rückkehr die Aufmerksamkeit des Hauses auf sich gelenkt hätte.“
„Hoffentlich kann ich es“, fuhr Anaret fort, „so einrichten, dass dies heute Nacht der Schauplatz einer höchst glücklichen Begegnung ist. Meine Herrin hat, was ihr Vater nicht weiß, einen Schlüssel für diese Tür; sie kann ihn mir aus ihrem Fenster zuwerfen, dann öffne ich die Tür für Euch, der Ihr dort wartet, um ungefähr zwölf oder ein Uhr, denn um diese Zeit sind alle schon zu Bett gegangen.“
„Was soll das denn nützen?“, rief D´Elmont erregt. „Ihr Zimmer liegt doch im Gemach des Vaters, so dass man unmöglich unbemerkt zu ihr gelangen kann.“
„Ihr Liebenden seid so ungeduldig“, sagte Anaret lächelnd. „Mein Plan sieht gar nicht vor, dass Ihr dort hineingeht, obwohl das Fenster so niedrig liegt, dass jemand mit der Statur und Beweglichkeit Eurer Lordschaft mit einem Galliard-Sprung dort hinaufkäme; es wird aber, meine ich, zu keinem schlechteren Ergebnis führen, wenn Eure Geliebte mit meiner Hilfe von dort herabsteigt.“
„Aber kann sie das?“, unterbrach er. „Will sie das? Was denkt Ihr?“
„Seid unbesorgt, mein Herr. Seid einfach nur pünktlich zur Stelle, und Amena wird Euer sein, wenn Liebe, Verstand und Glück zu diesem Zweck zusammenwirken.“
D´Elmont war ganz begeistert von diesem Versprechen, und der Gedanke daran, was er durch ihre Hilfe erreichen würde, beflügelte seine Phantasie dermaßen, dass er sich nicht enthalten konnte, sie so entzückt zu umarmen und zu küssen, dass Amena, hätte sie zugesehen, nicht sehr erfreut gewesen wäre. Anaret aber, die andere Dinge im Kopf hatte als Galanterie, löste sich von ihm, sobald es ihr möglich war, und zog mehr Befriedigung daraus, mit Rat und Tat eine Liebesaffäre zu fördern, als aus den Liebkosungen des vollendetsten Gentleman der Welt.
Als sie heimkehrte, fand sie alles ganz wunschgemäß vor. Monsieur war außer Haus und seine Tochter wartete am Fenster voller Ungeduld auf ihre Rückkehr. Sie berichtete so viel von ihrem Gespräch mit dem Count, wie ihr angebracht erschien, und pries seine Liebe und Standhaftigkeit, verschwieg aber sorgsam alles, was auf ihre eigene Tugend einen Schatten werfen könnte. Doch trotz all ihrer Geschicklichkeit fiel es ihr nicht leicht, Amena dazu zu bringen, aus dem Fenster zu steigen, denn ihre Angst, entdeckt zu werden und den Zorn ihres Vaters noch mehr auf sich zu ziehen, hielt sie zurück und machte sie taub für Anarets drängende Bitten. Während sie debattierten, betraten zufällig ein paar Diener den Garten, weshalb sie ihr Gespräch abbrachen und Anaret sich zurückzog; sie gab die Verwirklichung ihres Plans aber nicht auf, sondern wartete auf die verabredete Stunde, zu der sie Amena wissen lassen würde, dass das geliebte Objekt ihrer Wünsche nahe ist. Ihre Hoffnung trog sie nicht, denn die Entschließungen von Liebenden, wenn sie den Wünschen der geliebten Person entgegenstehen, sind nur von kurzer Dauer.
Und kaum war diese unglückliche Schöne allein und hatte Muße, über den Liebreiz des zauberhaften D´Elmont nachzudenken, da forderte die Liebe ihr Recht mit solch einer Macht, dass Reue sie packte, weil sie Anaret für ihren Vorschlag getadelt hatte, und sie nichts sehnlicher wünschte als eine Gelegenheit, ihr das zu sagen. Mehrere Stunden verbrachte sie in einer nie gekannten Unruhe, bis sie ihren Vater im benachbarten Zimmer zu Bett gehen hörte; und als bald darauf jemand leise an das Fenster klopfte, öffnete sie es sogleich und erkannte im hellen Schein des Mondes Anaret. Voller Ungeduld beachtete sie die Rede nicht, die Anaret vorbereitet hatte, um sie zu überzeugen, und streckte den Kopf weit heraus, damit ihr Vater sie nicht hören konnte.
„Nun, Anaret“, sagte sie, „wo ist der kühne Liebhaber, was wünscht er von mir?“
„Ach, Madame“, antwortete Anaret erfreut über den Eifer ihrer Herrin, „er steht jetzt am Gartentor und wünscht Euren Schlüssel, um hereinzukommen. Was er sonst noch wünscht, wird er Euch selbst sagen.“
„Ach Himmel!“, seufzte Amena und suchte in ihren Taschen, fand aber nichts. „Ich bin untröstlich; ich habe ihn in meinem Kämmerchen in meinem Gemach gelassen, wo ich sonst schlafe.“
Bei diesen Worten war Anaret mit ihrer Weisheit am Ende, denn ihr war klar, dass es unmöglich war, den Schlüssel von dort zu holen; so viele Räume müssten durchquert werden; also lief sie zum Gartentor und versuchte den Riegel zurückzuziehen, aber ihr fehlte dafür die Kraft. Schließlich fiel ihr nichts mehr ein, was sie noch tun könnte. Sie war sich sicher, dass D´Elmont auf der anderen Seite wartete, und fürchtete seinen Zorn, der ihre Hoffnung auf bezahlte Dienste zunichte machen würde. Aus Sorge, gehört zu werden, wagte sie aber nicht, ihn über das Missgeschick zu informieren.
Was Amena betrifft, so empfand sie nach der Qual dieser Enttäuschung nun stärker denn je die Heftigkeit ihrer Leidenschaft: Nie hat ein Mensch eine Nacht in größerer Unruhe verbracht als sie die letzten drei Nächte. Der Count wiederum, von Natur aus ungeduldig, konnte einen solchen Rückschlag nicht ohne die äußerste Verärgerung ertragen. Amena verging vor Sehnsucht, während Anaret sich zu Tode ängstigte, obgleich sie entschlossen war, keinen Stein auf dem anderen zu lassen, um die Dinge wieder gerichtet zu bekommen. Früh am nächsten Morgen ging sie zu seiner Wohnung und fand ihn in sehr übler Laune vor, konnte ihn aber mit Leichtigkeit beschwichtigen, indem sie unter großem Bedauern den Umstand erklärte, der sein Glück verzögert hatte, und ihm versicherte, dass nichts einen Erfolg in der kommenden Nacht verhindern könne. Mit diesem gewonnenen Punkt kehrte sie nach Hause zurück und brachte den Schlüssel an sich. Eine Gelegenheit, mit ihrer Herrin zu sprechen, ergab sich aber den ganzen Tag über nicht, denn Monsieur Sanseverin kam nicht aus seinem Gemach heraus und verbrachte die meiste Zeit mit seiner Tochter; in dem Gespräch, das sie führten, rückte er die Leidenschaft des Count, die dieser für sie hegte, in das rechte Licht, woraufhin sich ihre Gefühle sehr veränderten. Sie begann ihre Zuneigung zu einem Mann, die niemals von Heirat zu ihr gesprochen hatte, zu bereuen, und war nun entschlossen, ihn nicht mehr wiederzusehen, ehe er sich nicht gegenüber ihrem Vater in einer Weise erklärt hatte, die sich mit ihrer Ehre vertrug.
In der Zwischenzeit wartete Anaret ganz ungeduldig darauf, dass alle im Haus zu Bett gingen; und sobald alles ruhig war, lief sie zum Gartentor, um dem Count Einlass zu verschaffen. Sie ließ ihn auf einem Weg im hinteren Teil des Gartens zurück und gab unterm Fenster das vereinbarte Zeichen. Amena öffnete es gleich, doch anstatt abzuwarten, was Anaret zu sagen hatte, warf sie einen Zettel herab.
„Bring das zu Count D´Elmont“, sagte sie, „und lass ihn wissen, dass der Inhalt vollständig das Ergebnis meiner eigenen Überlegung ist. Und was dich angeht, weise ich dich an, mich in dieser Angelegenheit nicht mehr zu belästigen.“
Dann schloss sie schnell die Fensterflügel und überließ Anaret ihrer Bestürzung über diesen plötzlichen Sinneswandel. Diese verlor aber keine Zeit, sondern lief zu der Stelle, wo der Count ihre Rückkehr erwartete und händigte ihm den Brief aus, freilich mit dem Rat (dessen er gar nicht bedurft hätte), nicht irgendwelchen darin genannten Forderungen zu gehorchen, die seinen Absichten entgegenstünden. Der Vollmond leuchtete so hell, dass er diese Zeilen ohne Schwierigkeit lesen konnte:
´An den Count D´Elmont.
Zu viele Beweise meiner Schwäche habe ich Euch geliefert, um Euch denken zu lassen, dass ich imstande wäre, diese Leidenschaft, die Ihr in mir entflammt habt, zu verdammen: Aber wisset, Ihr Zerstörer meiner Seelenruhe, obwohl ich Euch mit einer Zärtlichkeit geliebt habe und immer noch liebe, die, wie ich fürchte, nie vergehen wird, will ich doch eher mein Leben als meine Tugend verlieren. Drängt mich also nie wieder, ich beschwöre Euch, zu solch gefährlichen Begegnungen, in denen ich weder mir selbst noch Euch zu vertrauen wage. Wenn Ihr mich Eurer wahren Achtung für wert befindet, dann steht Euch der ehrenhafte Weg offen, um von mir empfangen zu werden. Den Rest verbieten Religion, Vernunft, Demut und Gehorsam.
Lebt wohl.´
D´Elmont war sich der Macht, die er über sie hatte,