Die Legende der Eiswölfe. Nicole Seidel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Seidel
Издательство: Bookwire
Серия: Eiswolflegende
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074499
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Sofa.

      Jhil schlich zur Wohnungstür, lugte in den dunklen Hausflur und lauschte. Es blieb ruhig - der unerwartete Schuss hatte niemanden ihrer Nachbarn wohl dazu verleiten lassen nachzusehen oder gar die Polizei rufen zu lassen. Gut. Schlecht dagegen, das Schloss war kaputt, aber sie konnte die Tür zumindest noch schließen.

      "Ich will das Quenya!" forderte Nuance mit wohlklingendem Timbre, das Jhil trotzdem einen Schauder über den Rücken fahren ließ.

      "Du hast nichts zu fordern", erwiderte Aleann und wollte dem Elfenprinzen einen Stoß versetzen, damit dieser im Sessel landete.

      Doch geistesgegenwärtig fasste Nuance nach dessen Arm und er vollführte eine schnelle Drehung und packte mit der anderen Hand die Waffenhand des Mannes. Aleann's Knie stieß nach oben und traf Nuances Seite. Doch der löste seine Umklammerung nicht - so trat der schwarzhaarige Mann mehrmals hart nach. Dem Elf blieb die Luft weg, er löste seinen Griff und wand sich mit einer geschickten Pirouette aus dem Schlagkreis des Gegners.

      Jhil kam in seine Reichweite und er versetzte ihr einen harten Schlag mit der flachen Hand, den die Frau über den freistehenden Sessel fallen ließ. Mit einer weiteren Drehung bog sich Nuances Oberkörper unter die Ziellinie von Aleann's Waffenarm und sein ausgestrecktes Bein traf diesen stattdessen. Aus der Drehbewegung heraus stieß er ihm anschließend die Faust gegen die Brust. Aleann klappte zusammen und fiel zu Boden. Der kampferprobte Elfenprinz setzte sofort nach, fixierte den Arm mit der Pistole mit seinem Knie und nagelte den Mann - indem er auf ihm saß - am Boden fest.

      Nuance tastete die Kleidung, speziell die Taschen, ab und fand schnell den Gegenstand den er suchte.

      Jhil hatte sich während des kurzen Kampfes der beiden Männer wieder auf die Füße gebracht. Nuance hatte ihren Bruder überwältigt - was sollte sie tun? Mutig trat sie näher und stieß mit dem Lanzenschwert, das sie immer noch bei sich trug, nach dem weißhaarigen Elf.

      Das keltische Knoten-Schmuckstück verfing sich mit der Spitze. Reflexartig ließ die Frau los und das Lanzenschwert fiel zu Boden. Nuance konnte seine Waffe kniend jedoch nicht erreichen, so steckte er das Quenya unter seinen Mantel und erhob sich langsam, dabei beide Menschen im Blick behaltend. "Wir müssen nicht kämpfen, wir sind vom gleichen Blut", wisperte der Elfenprinz. "Gebt mir nur, was mir gehört. Dann gehe ich und ihr seht mich nie wieder!" Nuance näherte sich unmerklich seiner Waffe, behielt aber Jhil und Aleann Raven stets im Auge.

      "Du hast keinen Besitz, denn du dürftest gar nicht mehr existieren", entgegnete Aleann und Jhil dolmetschte alles.

      Nur noch ein halber Meter trennte den Elfenprinz von seinem sonderbaren Schwert. Doch dazu musste er sich hinab beugen und Aleann zielt mit dem Revolver erneut auf ihn. Wie schnell war der kampfer­probte Dunkelelf?

      "Was wollt ihr nun tun?" Nuance Silver hatte die Frage an beide gerichtet.

      Das war eine gute Frage! Aleann blickte hilfesuchend zu seiner Schwester hinüber und diesen Lidschlag der Unachtsamkeit nutzte der Elfenprinz und warf sich auf den Mann.

      Ein weiterer Schuss fiel und traf den Angreifer am Arm. Jhil kickte das Lanzenschwert aus seiner Reichweite und Nuance erkannte, dass er es in seinem angeschlagenen Zustand nicht mit beiden aufnehmen konnte. Er musste seine geliebte Waffe erneut zurücklassen. So ergriff er die Flucht, stolperte aus dem Zimmer in den Flur und riss die Wohnungstür auf.

      Als Aleann ihm folgte und ins dunkle Treppenhaus rannte, war der weißhaarige Schatten bereits einige Treppenabsätze außer Sicht gesprungen. Jhil hielt ihren Bruder von einer Verfolgung ab. "Lass ihn gehen, Al. Er hat recht, was willst du mit ihm tun? Willst du ihn erschießen?"

      Weiter unten verhallten seine eilenden Schritte, dann verschwand der Angreifer durch die Haustür. Zurück blieb Stille und die Anonymität der Großstadt. Der Mann schloss die Tür und sicherte den Revolver. Sie gingen zurück ins Wohnzimmer und dort hob er das Lanzenschwert auf. Sein Arm und die Brust schmerzten ihm, der Elf hatte einen harten Schlag.

      Lord Nuance Silver taumelte aus dem magischen Tor - das von einem blauen Licht umkränzt war - in den dunklen Raum. Die Schusswunden in seiner Schulter und dem linken Oberarm schmerzten ihn, die Metalllegierung der Kugeln vergiftete seinen Organismus. Stumm fluchte er, weil er so dilettant gegen die Geschwister versagt hatte und seine Waffe zurück hat lassen müssen. Die Kämpfe, die magischen Teleporte und das geistige Aufspüren des Quenya hatte ihm viel Kraft gekostet und er war lange noch nicht in Topverfassung.

      Der höhlenhafte, unterirdische weitläufige Raum barg wenig wohnlichen Komfort. In der Ferne war Meeresrauschen zu hören. Zwei schmale Schächte tauschten nur unzulänglich Frischluft aus und ein größerer Schacht bildete den Abzug eines Kamins. Nuance entfachte darin das glimmende Feuer, um etwas Licht und Wärme zu haben. Daneben auf einer schlichten Pritsche mit alten Baumwoll­decken lag der Körper seiner Schwester Nuaja. Zwei dunkle Blutflecke zeichneten sich auf ihrer Schulter und Arm ab, die gleichen Stellen, an denen er verletzt worden war. Verdammt, dachte er verbittert, er hatte sie mit seinem unüberlegten Handeln in Gefahr gebracht.

      Er wickelte den Schal ab, legte das Sihil zur Seite und zog sich den schwarzen Mantel aus. Dann öffnete er den bis unter die Brust gehende Rüstungsgürtel aus gehärtetem Leder und streifte sich das rote Hemd vom Oberkörper. Das silberne Quenya-Schmuckstück fiel ihm in die Hand und er legte es auf einen kleinen Tisch nahe dem Kamin.

      Nuance besah sich die Wunden auf seinem sehnigen, hellhäutigen, gestählten Körper. Nur wenig Blut war hervor gequollen, das er mit dem Hemd und Wasser aus seinem Vorrat abwischte. Die Wunde am Arm war ein Durchschuss, aber in der Schulter steckte noch die Kugel. Er musste sie schnellstens entfernen.

      Der Elfenprinz legte das Quenya ins Feuer und setzte sich wartend davor. Er zog sich die Stiefel aus und schlug die Beine unter. Sein Oberkörper war gerade, die Hände legte er sich in den Schoss und schloss die Augen. Kontrolliert senkte er seine Körperfunktionen, seine Atmung wurde flacher. Tief aus seiner Erinnerung holte er die alten Zauberworte der Heilung hervor und sang sie leise vor sich her. Er wiederholte das siebenzeilige Elfenlied dreimal und griff dann ins Feuer und holte den weißglühenden Keltendreiecksknoten heraus und legte ihn sich auf die Schulterwunde. Dann sang er das Lied der Heilung ein viertes Mal.

      Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und die eisige Kälte des aktivierten Quenya ließ seinen Leib erzittern. Nuance musste aber das Ritual vollenden, ignorierte die Schmerzen und seine aufkom­mende Ohnmacht. Er kämpfte mit aller Macht dagegen an, sang das Lied zu Ende und blieb eisern in der meditativen Stellung sitzen. Ein kaltes Feuer breitete sich von dem Schmuckstück auf seiner Schulter aus und griff nach der Kugel und nach jeder seiner verwundeten Faser. Wie ein Magnet zog das Quenya die Kugel aus der Wunde und schloss die zerrissenen Muskelfasern wieder. Die Strukturen wurden wiederhergestellt, zertrennte Muskelstränge zusammengefügt und das Loch in der Haut schloss sich. Ein sehr schmerzlicher, aber schneller, magischer Prozess.

      Erschöpft sank Nuance in sich zusammen. Das Schmuckstück fiel klirrend zu Boden, verblasste und wurde matt. An Schulter und Arm war nicht mal mehr eine Rötung und keinerlei Narbe zu sehen.

      Auf allen Vieren robbte er zu der Pritsche und hüllte sich zitternd in eine Decke, die er dort fand. Er lehnte sich dagegen griff nach Nuajas Hand und schlief erschöpft ein. Er musste erst neue Kraft sammeln, bevor er seine Schwester aus ihrem Jahrtausendschlaf befreien konnte.

      Der grausame Tod von Kurt und der Diebstahl der Elfinnenleiche lähmte die ganze Museums­besatzung. Professor Higgins erduldete mürrisch die polizeilichen Ermittlungen und hielt ein wachsames Auge auf deren Spurensuche im Lagerraum des Museums. Jedenfalls konnte er verhindern, dass nicht das kleinste Stück aus dem Grab des Königs aus Valdavien beschlagnahmt wurde. Ein Täter würde in diesem Raubmord nie gefunden werden.

      Der Professor engagierte gegen Ende der Ermittlungen eine private Security-Firma damit, das Museum, ihre Mitarbeiter und deren Schätze vor weiteren Zugriffen zu schützen. Auch die vorhandene Alarmanlage wurde auf einen verbesserten neuen Stand gebracht.

      Jhil, Aleann und Joe verschwiegen ihre Kenntnisse über die verschwundene Leiche und erwähnten auch in keinem Zusammenhang den weitaus lebendigeren Elfenprinzen