Der Fall Bahran. Elke Maria Pape. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Maria Pape
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742710154
Скачать книгу
nannte ihre Chefin die Tür. Sie hatte sie irgendwo teuer erstanden und extra einbauen lassen. Frau Häberlein hatte das nicht verstehen können. Zumal sich vorher dort eine sehr moderne, neue Haustür befunden hatte. Dass man die durch eine alte ersetzten wollte, leuchtete ihr nicht ein.

      Der Flur mit den weißen Bodenfließen wirkte hell und freundlich und durch die halboffene Wohnzimmertür strömte zusätzliches Sonnenlicht herein.

      Sie stellte wie immer ihre Handtasche unter dem Garderobenglastisch ab und trug die Leinentasche mit dem Porree Gemüse in die Küche. Wie jeden Morgen stapelte sich auf mehreren Arbeitsplatten das dreckige Geschirr des letzten Tages. Frau Bahran schaffte es nie, die Sachen in die Spülmaschine zu räumen. Wenigstens das hätte sie doch machen können, dachte Frau Häberlein jeden Morgen, wenigstens das.

      Und so sortierte sie auch heute Tassen, Teller und jede Menge Gläser in die Spülmaschine, immer bedacht, möglichst wenig Lärm zu machen.

      Deswegen hatte sie auch einen eigenen Schlüssel. Frau Bahran wollte nicht gestört werden, wenn sie Gäste hatte. Auf gar keinen Fall. Meistens hielt sie sich mit ihren Kunden in einem extra dafür vorgesehenen Raum im ersten Stock auf.

      Kunden, so nannte Frau Häberlein diese Leute.

      Heute Morgen schien allerdings niemand von diesen Leuten da zu sein. Alles war ruhig.

      Vielleicht schlief sie noch.

      Nichts Ungewöhnliches.

      Frau Häberlein stellte die Spülmaschine an und wischte die Flächen der Einbauküche mit einem nassen Lappen ab. Frau Bahran mochte nicht, wenn man beim Hereinkommen in die Küche Fingerspuren an den Schränken erkennen konnte. Schon gar nicht am Kühlschrank.

      Und Frau Bahran ging sehr oft an den Kühlschrank. Das vermutete Frau Häberlein jedenfalls, weil fast täglich die Sachen, die sich gestern noch im Kühlschrank befanden, weg waren und wieder neue Sahne- und Joghurtbecher dort standen. Auch Salami und fettige Käsesorten, Packungen mit Kartoffelsalat und diverse Fertiggerichte wurden ständig aufgefüllt.

      Jeder hat wohl seine Schwächen, dachte Frau Häberlein. Und das war die Schwäche von Frau Bahran, was man ja auch an ihrem wohlgenährten Körper erkennen konnte.

      Nachdem sie mit der Küche fertig war, und das dauerte meistens vierzig Minuten, ging sie zurück in den Flur und nahm sich den Kellerschlüssel, der an einem Haken an der Wand hing. Beim Blick, den sie durch die halboffene Wohnzimmertür warf, konnte sie einige rote Flecken auf dem Fußboden ausmachen. Frau Häberlein zuckte mit den Schultern. Da würde sie sich später drum kümmern.

      Sie hatte immer ihren festgelegten Rhythmus. Sonst konnte man schnell etwas vergessen.

      Und jetzt war zuerst das Obergeschoss dran.

      Sie ging die Kellertreppe hinunter und griff sich ihre Putzutensilien, die dort unten neben einem Waschbecken standen.

      Ein Eimer, ein Wischer mit mehreren, ordentlich zum Trocknen aufgehängten, passenden Bezügen, ein Fensterleder und einen Schwamm für den groben Schmutz, obwohl es den in diesem Haus eigentlich gar nicht gab.

      Dazu noch einen Glasreiniger für Fenster und die vielen Spiegel, Scheuermilch und einen Allzweckreiniger. Fertig!

      Sie packte alles in ein dafür vorgesehenes Körbchen und schleppte die Sachen mit samt Wischer und Eimer nach oben.

      In der Küche ließ sie Wasser in den Eimer und auf dem Weg in den ersten Stock wischte sie schon einmal über das Treppengeländer.

      Oben stand die Schlafzimmertür von Frau Bahran offen. Sie war also schon aufgestanden. Das Bett war ordentlich gemacht.

      Seltsam.

      Normalerweise kümmerte sich Frau Häberlein auch da drum. Sah nach, ob die Bettwäsche gewechselt werden musste, legte ansonsten die Bettdecke ordentlich zusammen und knickte das aufgeschlagene Kopfkissen, so dass es aussah wie in einem Luxushotel.

      Wo war sie heute Morgen nur? Frau Häberlein sah auf ihre Uhr. Bereits kurz vor elf.

      Die Tür zu dem so genannten Beratungszimmer war geschlossen. Aber dort schien niemand zu sein. Ansonsten konnte man bisweilen gemurmelte Stimmen aus dem Innern des Zimmers hören, manchmal sogar leises Schluchzen. Das kam auch vor.

      Sollte sie hinein gehen und nachschauen? Sie legte ihre Hand auf die Türklinke und drückte sie herunter. Dann überlegte sie es sich anders. Lieber nicht.

      Aber wo steckte sie nur? Oder war sie gar nicht zu Hause? Wenn sie heute einen Termin gehabt hätte, dann hätte sie doch etwas gesagt. Aber sie war ihr schließlich keine Rechenschaft schuldig.

      Trotzdem, es wäre nicht zu viel verlangt, ihr Bescheid zu geben, dachte Frau Häberlein. Aber was sollte man machen? Sie putzte einfach in ihrem gewohnt ruhigen aber stetigen Tempo weiter. Zuerst das Bad, dann überall Staubwischen, dann die Teppiche saugen und das Fenster im Schlafzimmer war auch mal wieder dran.

      Wo war sie bloß?

      Viertel nach Zwölf! Jetzt musste sie sich aber beeilen. Schließlich hatte sie heute weniger Zeit, aber die Räume mussten trotzdem alle gemacht werden. Zum Bügeln würde sie wohl nicht mehr kommen. Aber im Wohnzimmer musste sie unbedingt nach den roten Flecken sehen, die ihr eben aufgefallen waren. Wahrscheinlich wieder von diesem klebrigen und dickflüssigen Kirschsaft, den ihre Chefin oft abends trank. Frau Häberlein hasste dieses Zeug. Und wenn das erst einmal eingetrocknet war, nicht nur am Boden, sondern auch in den ständig neuen Gläsern, die sich Frau Bahran aus der Vitrine nahm, hatte man seine liebe Mühe mit dem Zeug.

      Schon im Flur spannte sie ein feuchtes Tuch auf den Wischer, fuhr sich mit der Hand über ihre schweißnasse Stirn, und ging anschließend ins Wohnzimmer.

      Gegen Mittag wurde die Hitze unerträglich. Auch hier im Haus.

      In dem großen Raum wischte sie zuerst über die unzähligen Kirschsaftflecken. Diesmal gingen sie überraschender Weise ganz leicht ab.

      So, Frau Häberlein wischte sich ihre nassen Hände an ihrer alten Hose ab und überlegte. Wenn Madame noch nicht da ist, kann ich heute ja mal in Ruhe die Polster absaugen, nahm sie sich vor, kniff die Augen aufgrund den flutenden Sonnenlichts, das durch die großen Scheiben schien, leicht zusammen und sah sich um.

      Sie lag neben dem wuchtigen Glastisch. Direkt hinter dem großen Sofa, das die Sicht versperrte.

      Und hier war alles voll von roten Flecken.

      Überall.

      Sie waren überall.

      Frau Häberlein presste in einem stummen Schrei völlig verkrampft die Hände an ihren Mund.

      Überall dieses Rot.

      Unten auf dem Boden.

      An den Wänden.

      Am Fenster.

      Auf dem Sofa.

      Sie sah hoch.

      Auch an der Decke!

      Der Kopf der toten Madame Bahran war umspült von Blut, so als hätte jemand ein fliesend rotes Seidentuch drapiert. Ihr Gesicht war nur noch eine blutige Masse. Sekundenlang, minutenlang starrte die Haushälterin regungslos auf ihre Chefin, sie kniff die Augen zusammen, riss sie wieder auf, und doch verschwand es nicht, das Grauen, dieser lähmende Schock.

      Das hier war kein Film, nicht einer dieser Krimis, die sie immer sah. Keine Szene, die sich gleich auflöste. Hier lag Madame Bahran, fürchterlich zugerichtet, ja geradezu entstellt. Es war, als hörte man selber auf zu existieren, während man auf die Leiche starrte, als stände das eigene Herz still und die ganze Welt.

      Später wird sich Frau Häberlein nicht mehr erinnern können, wie sie aus dieser Hölle nach draußen gekommen war.

      Die thailändische Haushaltshilfe der Nachbarn sah sie gegen halb ein Uhr mittags, wie sie, die Hände erhoben, über die Terrasse lief.