Marschall Bazaine Hochverrat. Rainer V. Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer V. Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742763167
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schöner, aufrichtiger Entrüstung schleuderte er zwei Blicke, als die junge Dame aus Metz aussagte, die ruhig durchkam, um ihren alten Vater zu besuchen, da wo die schönen Gandins des Generalstabs sich nicht hintrauen wollten. Der Dame imponierte selbstverständlich der ganze gerichtshöfische Apparat und statt zu sprechen, lispelte sie bloß.

      Die Journalisten hätten gern die Aussage aufgenommen und äußerten vielleicht etwas zu laut den Wunsch nach einem höheren Diapason. Wie entrüstet richtete der Herzog seine Lunten gegen die Holzblöcke, als begreife er nicht, dass man solches von einer Dame verlangen könnte. Aber die Geduld und die Gleichmütigkeit des Präsidenten können auch ihre Grenzen erreichen, wenn er zu merken scheint, dass es dem Befragten an Aufrichtigkeit mangelt. Dann wird die Stimme, welche wie liebkosend klingt, entweder schneidend ironisch oder sie dehnt sich langsam zu schlangenartiger Zurechtweisung. Die boshafte Ironie wählt der Präsident noch am liebsten und für die Gedächtnisschwächen (und wie viele gab es nicht in diesem Prozesse!) hat er eine Menge giftiger Pfeile im Köcher. Er macht sich in ergötzlicher Weise über ihre „Lücken“ lustig und erlaubt sich hierüber Bonmots, die jedermann belacht, außer demjenigen, auf dessen Kosten sie gemacht werden. Selbst in der höchsten Aufregung aber weiß er die Reserve, welche den Weltmann auszeichnet, zu bewahren. Er erhebt nie die Stimme und seine Gestikulation hält sich in den gebotenen Schranken.

      In dem peinlichen Auftritt mit dem hartnäckigen Colonel Stoffel, einen Auftritt, den er am liebsten vermieden hätte, ärgerte er sich noch am meisten. Er schwankte auf dem Fauteuil hin und her. Die Brust hob und senkte sich unter dem breiten roten Bande der Ehrenlegion und die Hände folgten einer immer gehenden Rotationsbewegung von oben nach unten. Aber selbst dieser gerechtfertigte Zorn brachte keinen Ausdruck über die Lippen, dessen sich der Präsident zu schämen gehabt hätte, und Stoffel blieb bis am Ende im Unrecht. Die Probe, dass ihm auch die Ficelles, die kleineren Mittel seines Amtes nicht fremd blieben, konnte Aumale ablegen, als er mit zwei der durchtriebensten Angestellten der geheimen Polizei, Rabasse und Miés, wetteiferte. Es handelte sich darum, die beiden zu überführen, dass sie eine Angabe ihrer Aussage erfunden hatten. Der Beweis gelang zwar nicht, es war aber ein seltsames Schauspiel, diesen Königssohn und Akademiker alles anwenden zu sehen, um zwei Spitzel, die ihr Handwerk durch und durch kennen, zu überlisten und zu durchschauen und die Mühe zu erwägen, die er sich gab, ihnen zu zeigen, dass er die Kniffe und „trues", die sie anwenden ebenso gut kenne, als hätte er unter den Fahnen der Polizeipräfektur, geheime Abteilung, gedient.

      Das Defilé der Zeugen im Prozess Bazaine ist die beste Gelegenheit, die französische Gesellschaft in ihren verschiedenen Gestalten und Abarten zu beobachten. Sämtliche Stände sind hier vertreten unter diesen 350 und etlichen; Männer, Weiber und sogar Kinder, die berufen wurden „der Justiz Aufklärung zu verschaffen“, die Themis (Anm.: Griechische Göttin der Gerechtigkeit) vernachlässigt nichts, was auch nur einen leisen Licht-strahl auf das dunkle Mysterium werfen kann. Die eingehende Kritik des Kriegsministers, welcher den Plan entworfen hat und der nun heute strategische Geheimnisse enthüllt, ist ihm ebenso willkommen, als die Erzählung des Försters oder Schneiderlehrlings, der an diesem oder jenem Tage aus Metz heraus oder nach Metz hinein gelangte. Wer bei dem Drama auch nur indirekt eine Statistenrolle spielte, der kommt heute vor, Marschälle, Generäle, Stabsoffiziere aller Gattungen und aller Grade, gemeine Soldaten, Matrosen, feiste Intendanten und Armeelieferanten, Minister, Präfekten, Bahn- und Telegraphenbeamte vom Direktor bis auf den Weichensteller, Richter, Bauern, Hausbesitzer und Bettler, Arbeiter und Millionäre, Seiltänzer und Kammerpräsidenten, Polizisten und Wilddiebe, Journalisten und Ärzte, Abenteurer oder Leute ohne Profession, es fehlt nichts auf der Musterkarte derjenigen, die den Befehl erhielten, sich am 6. Oktober Punkt zwölf Uhr im Hofe von Trianon einzufinden. Jeder dieser Zeugen hat beinahe seine eigene Individualität, so dass jede Vernehmung, wenn sie auch an und für sich uninteressant ist, nie ermüdet noch langweilt; da präsentiert sich der eine mit einer auswendig gelernten Lektion vor den Richtern und plappert sie gleichgültig vor sich hin, wie ein Quartaner, der sein Examen zu bestehen hat; ein Zweiter im Bewusstsein der Mission, die er zu erfüllen hat, tritt als inspirierter Schönredner auf, man glaubt einen Apostel vor sich zu sehen, der das heilige Wort verkündet; ein Dritter gestaltet seine Aussage zu einem gesprochenen Feuilleton und blickt sorgenvoll nach dem Stenographentischchen, um ja wahrzunehmen, ob man seine Worte Buchstabe für Buchstabe richtig notiert. Ein Vier-er wieder redet so wenig er kann, man möchte glauben er hätte den Schwur geleistet, keine Silbe außer dem Ja oder das Nein über die Lippen zu bringen, während ein Fünfter es wieder darauf abgesehen hat, die komische Fiber im Publikum zu berühren und das Prätorium nur dann befriedigt verlässt, wenn man ihn von Herzen auslacht. Neben jenen Zeugen, die ihre Aussage im Voraus berechnet, verfasst und vor dem Spiegel probiert haben, gibt es die sogenannten Naturzeugen, die urwüchsig sprechen wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und sich weder um den Effekt, den sie erzielen sollen, noch um die Form kümmern. Diese sind es gewiss nicht, die man am schwersten versteht und mit Recht sprach eines Tages Aumale nach Verhörung eines Metzer Schneiderleins, dessen derb naive Schilderung vielfach zum Lachen reizte, den Wunsch aus, „er mögen jene, welche die Form ihrer Aussagen kunstgerecht einzukleiden wissen, sich der nämlichen Aufrichtigkeit und Präzision befleißen“. Zu dieser Bemerkung fand sich der Vorsitzende veranlasst, am Tage nachdem der verstockte Stoffel ihn durch seine Hartnäckigkeit außer Fassung gebracht hatte. (…)

       Es folgen kurze Darstellungen von Zeugenaussagen, die wir an anderer Stelle erwähnen werden.

      Allmählich mehren sich die dicken Stricke auf dem riesengroßen Zeugenregister, deren Zahl stets abnimmt und man darf jetzt schon ohne Schrecken darauf blicken; noch einige Tage und diese unendlich erscheinende Liste ist erschöpft, wie alles Irdische, und der harte Kampf zwischen Anklage und Verteidigung kann beginnen. Von beiden Seiten wird gerüstet und die Blicke, die alle Augenblicke zwischen dem Fauteuil des Anklägers und der Verteidigungsbank gewechselt werden, lassen ein scharf erbittertes Turnier ahnen. Wie ein Dragonerpferd, das die Schlachttrompete hört und ungeduldig stampft, die Ohren spitzt und alle Augenblicke sich aus dem Zaume reißen möchte, so gebärdet sich der Advokat Lachaud auf seinem Verteidigerposten. Er hat das ewige Zusehen und Zuhören satt und brennt vor Begierde, sich mitten in das Schlachtgetümmel zu stürzen. Nach dem Auftreten des Advokaten bisher stände aber zu befürchten, dass er seine Aufgabe nicht vom richtigen Standpunkt auffasst. Er nimmt die Sache zu tragikomisch und glaubt immer, er stände vor einer Bauernjury, die durch Phrasen gerührt werden könne. Drei, vier, fünf Tage wird dieser Advokat seinen Phrasenschwulst ausgießen, aber diese grobkörnige Rhetorik wird schwerlich helfen.

      Wenn Bazaine überhaupt gerettet wird, so geschieht dies nicht, weil er nicht schuldig, sondern weil er nicht der einzige Schuldige und nicht einmal der Hauptschuldige ist.

      Noch wenige Tage werden vergehen, ehe der verhängnisvolle Spruch gefällt wird Die lieblichen Anlagen und der marmorne Pavillon werden dann ihre idyllische Ruhe wieder gewonnen haben. Der raue Wind wird die Äste der Avenuen einsam peitschen und der wackere Wirt wird für seine gastronomischen Exerzitien einen geeigneten, Ort aufsuchen müssen

      Nächsten Sommer aber, wenn die Gärten wieder im lieblichen Grün prangen und die Nachtigall und die Lerche wieder frische Lieder trillern, da wird alles hinaus-wallfahrten, um die Stätte wiederzusehen, wo das gedemütigte Vaterland von seinem beispiellos unglücklichen oder beispiellos verbrecherischen Sohn Rechenschaft verlangte über die dahin geopferten Legionen. Und niemand wird lächelnd die für Lust und Vergnügen eingerichtete Behausung des Trianon betreten. Niemand wird die frivolen Verzierungen betrachten, ohne der hier nach vielen Jahren atmenden Erhabenheit des Weltgerichtes einen ernsten Gedanken zu weihen.

      Paris, November 1873.

      FRANÇOIS-ACHILLE BAZAINE

      … Marschall von Frankreich, wurde 1811 in Versailles geboren. Von seinen Eltern zum Kaufmann bestimmt, fand er an diesem Beruf so wenig Behagen, dass er sich 1831 als gemeiner Soldat bei den Chasseurs d'Orléans anwerben ließ, mit denen er wenige Tage später nach Algier eingeschifft wurde. Er zeichnete sich vor Konstantine und bei anderen Gelegenheiten aus, avancierte bald zum Lieutenant, trat als Hauptmann zur Fremdenlegion über und kämpfte dann eine Zeit lang im Heer der Königin