Todesangst in der Nordeifel. Jean-Louis Glineur. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean-Louis Glineur
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738014525
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restliche Schachtel auf den Schreibtisch. Nur für den Fall, dass er noch mehr Filterstücke abbrennen wollte. Er sog den Rauch tief in die Lungen und sah mich an. Wir schwiegen einige Augenblicke, bis ein Polizist mit einer Liste in das Büro trat.

      „Elf gestohlene Autokennzeichen im Kreis Euskirchen in den letzten sechs Monaten. Eines ist in München aufgetaucht. Wurde bei einem Banküberfall benutzt. Wurde auf einen Audi geschraubt, den man in Unterhaching fand. Ein anderes Kennzeichen wurde für einen Überfall auf eine belgische Bank in Lüttich benutzt. Ein BMW, den die Gauner in der Nähe von Robertville abstellten und abfackelten. Die anderen sind nicht mehr aufgetaucht.“

      Mein Handy klingelte. Anne meldete sich endlich und war jetzt im Büro. „Ich komme gleich. Bin noch bei unserem Freund Welsch und versorge ihn mit Zigaretten und Informationen.“

      Welsch deutete eine Ohrfeige an und grinste unmittelbar. Es war unser guter Ton.

      Kapitel 5

      Auf der Fahrt nach Dedenborn jagte ich den Honda über die alte Panzerstraße von Schleiden nach Herhahn. Wenn ich nachdenken muss, fahre ich am liebsten schnell, und ich kenne die Strecke wie im Schlaf. Ich dachte an Marianne Belder, ehemals Zeyen. Seit der Schulzeit hatte ich sie nie mehr gesprochen und sie war meine erste große, wenn auch unerfüllte Liebe. Ihre Augen hatten mich schon als Teenager fasziniert. Große, traurige Augen. Sie schaute nie an einem Menschen vorbei, sie schaute ihm immer gerade in die Augen.

      Ich erinnerte mich, dass sie mit siebzehn Jahren auf dem Rückweg von einer Fete überfallen und in ein Gebüsch gezerrt wurde. Den Vergewaltiger konnte man schnappen, denn er war einer unserer Klassenkameraden. Ich habe keine Regung empfunden, als er sich in der Untersuchungshaft das Leben nahm. Marianne blieb erhobenen Hauptes, wie sie immer gewesen war. Nur das Leuchten in ihren Augen erlosch und der gerade Blick in die Augen anderer wurde selten.

      Viele Jungs wussten nicht, wie sie mit einer vergewaltigten Frau umgehen sollten. Angst, ihr zu nahe zu treten, Angst sie mit dummen Witzen zu verletzen? Die ersten Monate nach dieser Tat sah man sie selten. Nur in der Schule. Ich mied sie nicht und verbrachte oft den Nachmittag mit Marianne. Manchmal machten wir auch gemeinsam Schulaufgaben oder lernten für eine Klausur.

      „Ich weiß, dass du mich sehr lieb hast“, sagte Marianne irgendwann. „Du bist der einzige, der mich auch mal in den Arm nehmen darf.“

      Das war 23 Jahre her. Es kam mir vor, als sei es gestern gewesen. Es waren noch keine acht Stunden vergangen, ich hatte einen neuen Auftrag, Wehmut nach meiner ersten großen Liebe und musste Anne noch berichten, was heute geschehen war. Anne saß am Schreibtisch und grinste: „Ich habe deine Küche auf Vordermann gebracht, bevor das die Maden tun.“

      Ich berichtete ihr von dem Mord zwischen Broich und Winzen, vom Besuch von Wolfram Belder und zeigte ihr die Zeitungsberichte über den Überfall auf Marianne. Und ich holte alte Fotoalben aus dem Wohnzimmer und zeigte ihr alte Bilder von Marianne.

      Anne war geblieben. Für sie war das Gästezimmer die zweite Heimat, wenn wir bis tief in die Nacht arbeiteten oder redeten. Wir waren nie ein Paar, waren nie miteinander ins Bett gestiegen und wie Bruder und Schwester. Über ihre Liebschaften sprach sie selten. Anne ist ungeheuer attraktiv, sportlich und als Blondine in den Augen vieler Männer Frischfleisch. Sie wissen nicht, auf welche Abfuhr sie sich einlassen, wenn sie Anne mit zu plumper Anmache ankommen.

      Kapitel 6

      Wolfram Belder rief bereits gegen acht an und ließ das Telefon durchklingeln. Ich schälte mich aus dem Bett.

      „Marianne ist gestern in eine Klinik eingewiesen worden. Ihre Depressionen waren immer stärker geworden und gestern ist sie fast durchgedreht, als sie von dem Mord an dem jungen Mädchen hörte.“

      „Wo ist sie?“

      „Der Psychiater hat sie in die Rheinklinik in Bad Honnef eingewiesen. Da gibt es meistens Wartezeiten, aber sie haben sie als Akutfall aufgenommen und ruhiggestellt.“

      „Ist es eine... eine...?“

      „Nein, Alwin, es ist keine Klapsmühle, aber auch das wäre egal, wenn sie Hilfe erhält. Es ist eine psycho-somatische Klinik, wo vor allem Trauma-Patienten therapeutisch behandelt und betreut werden. Marianne rief bereits sehr früh an und will sich gegen alles, was geschah, aufbäumen. Sie weiss, dass ich dich beauftragt habe und hat gebeten, dass du vorbeikommst. Sie will mit dir reden. Ich würde mitfahren, aber sprechen möchte sie mit dir allein.“

      Ich hörte den Jaguar wie einen Tenor brummen und sah, wie Wolfram direkt vor der Tür parkte. Mein Büro lässt einen Blick auf das ruhige Leben auf Dedenborns Hauptstraße zu. Nur sonntags ist hier der Teufel los, wenn holländische Motorradfahrer durch die Eifel touren. Von Ruhe konnte aber auch jetzt keine Rede mehr sein, denn die Dorfkinder, die gegenüber einen Esel namens Ekkehard streichelten und mit Möhren fütterten, stürmten auf Wolfram zu. Der Sportwagen war eine Attraktion, und die Kleinen wollten alles wissen, wie schnell der Jaguar sei, wie viel Pferdestärken er unter der Haube hat und ob der Motor vorne oder hinten sitzt. Wolfram schien für Augenblicke die Welt zu vergessen und hockte sich zu den Kleinen, die ihn mit Fragen bombardierten.

      Anne würde die Stellung halten und mit Welsch in Kontakt bleiben. Sie würde auch mit Christian von der Rundschau und Pete vom Stadt-Anzeiger in Verbindung bleiben. Die Presse wusste noch nichts von dem weißen Lada Niva. Kommissar Welsch hatte entschieden:

      „Nachrichtensperre! Wenn der Mörder oder der Fahrer von der Karre liest, dass wir den Lada suchen, dann verschwindet diese Blechbüchse vermutlich in einem Erdloch!“

      Wolfram jagte den Jaguar über die A1 und ließ den Zwölfzylinder mit fast 240 Sachen auf das Kreuz Bliesheim zudreschen. Er war ein sicherer und konzentrierter Fahrer. Sein Tempo erinnerte mich an meinen Alfa Romeo Spider, den ich nach meinem Unfall eingemottet hatte. Der kleine Honda, 13 Jahre alt und mit 75 PS wesentlich bescheidener, tat auch seinen Dienst.

      Wir redeten wenig und Wolfram wurde erst gesprächig, als er vor Godorf auf die Autobahn Richtung Bonn abbog.

      „Du warst in Marianne verliebt, und ich weiß, dass du sehr behutsam und einer der wenigen Freunde geblieben bist, nachdem sie damals das erste Mal missbraucht worden ist. Aber warum habt ihr euch aus den Augen verloren?“

      Ich dachte einen Augenblick nach und fand Wolframs Offenheit angenehm. Er schien mir, dem Mann zu vertrauen, der vor rund 20 Jahren gerne an seiner Stelle mit Marianne vor den Traualtar getreten wäre.

      „Ich habe es irgendwann nicht mehr ertragen, nur der ’gute Freund’ zu sein. Der Leidensdruck wurde immer größer, und wir haben uns aus den Augen verloren, als ich neunzehn war. Die Freundschaft schlief sanft ein. Da war kein Streit und kein Stress, und ich hörte irgendwann, dass sie dich kennen gelernt hat. Ich habe mich sogar hinter ein paar Autos versteckt, um zu schauen, wie ihr später aus dem Standesamt in Schleiden heraus gekommen seid. Ich hatte Krokodilstränen in den Augen.“

      Wolfram schwieg einen Moment. „Weißt du, einfach war es nie. Marianne hatte immer, na ja, Probleme mit Sex. Die Vergewaltigung mit siebzehn hatte sie gegenüber Männern vorsichtig gemacht. Sie... sie konnte sich nur schwer hingeben. Aber ich habe sie geliebt, wie es in der Kirche heißt, in guten und in schweren Zeiten. Du wirst nicht wissen, dass sie zwei Fehlgeburten hatte. Als unser Sohn vor drei Jahren geboren wurde, taute Marianne auf und verlangte mehr von mir. Mehr Zeit miteinander, und daran wäre unsere Ehe fast gescheitert, weil sie sich allein gelassen fühlte. Nachdem der Kleine geboren wurde, begann unsere Ehe eigentlich richtig. Und ich liebe sie immer noch wie am ersten Tag.“

      Wir fuhren die Autobahn Richtung Siegburg, um