Todesangst in der Nordeifel. Jean-Louis Glineur. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean-Louis Glineur
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738014525
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Dann fiel ich bei ihr komplett durch, als sie mich beim Kiffen in meiner Clique erwischte. Vier Wochen hatte sie damals nicht mir mir geredet. Marianne, mein Gott, das war jetzt 23 Jahre her. Jetzt erkannte ich auch Wolfram wieder.

      „Ich nehme den Auftrag an und über das Geld reden wir gleich. Und ich fände es okay, wenn wir uns auf Wolfram und Alwin einigen. Ich möchte dir helfen, aber ich brauche noch mehr Fakten. Und behalte erst mal deinen Jaguar.“

      Ich nannte Wolfram meine Tagessätze. Spesen und mögliche Schmiergelder hatte er zu tragen. Wolfram ging, und ich hing meinen Gedanken nach. Ich war damals ein Teenager und liebte Marianne heiß und innig. Ihrer Familie ging es finanziell nie sehr gut und sie trug oft die abgetragene Kleidung ihrer älteren Schwester Tiffany. Doch selbst in Lumpen hätte Marianne wie eine Prinzessin ausgesehen. Sie hatte das Lächeln von der verstorbenen Lady Diana und den grazilen Körper einer Ballettschülerin. Und sie hatte einen aufrechten Gang wie Sophia Loren. Wir waren uns nur einmal nah, wenn man es überhaupt so nennen konnte. Als sie ihren 16. Geburtstag hatte, stach meine Überraschung alle anderen aus. Ich hatte ihr einen großen Blumenstrauß und ein Plüschtier mitgebracht. Sie liebte Stoffesel, und das Plüschvieh und sie waren wie eine Liebe auf den ersten Blick. Erst drückte sie den Esel und dann mich.

      Ich las zum elften oder zwölften Mal die beiden Berichte über den Überfall auf Marianne, die aus der Rundschau stammten. Deren Lokalredaktion sitzt in Gemünd, und mein Freund Christian Hermes ist dort Redakteur und Spürnase für alle brisanten Dinge, die in der Eifel und im Grenzgebiet Belgiens laufen. Er wäre sicher noch eine große Hilfe. Doch zuvor rief ich in Euskirchen beim Stadt-Anzeiger an und bat, dass ich auch die Berichterstattung von dort per Fax erhielt. Das Phantombild des Vergewaltigers war größer als der Abdruck in der Rundschau. Ein Gesicht mit stechenden Augen, einer langen Nase und schmalen Lippen starrte mich an. Seine Haare waren dunkel, kurz und die hohe Stirn ließ auf Haarausfall in früheren Jahren schließen. Er hatte ein markantes Doppelkinn. Marianne hatte bei der Beschreibung des Täters angegeben, dass seine Schneidezähne verschoben waren. Ich wollte mich gerade bei Pete Becker bedanken, als mein Faxgerät alle Seiten ausgespuckt hatte.

      „Bleib’ dran, Alwin, hier kommt ganz frisch eine Meldung rein. Es wurde heute Nachmittag wieder eine Frau gefunden, diesmal tot und vermutlich auch vergewaltigt. Du kannst in zwanzig Minuten dort sein, denn der Fundort ist zwischen Broich und Winzen. Verdammte Scheiße!“

      Kapitel 3

      Die Verbindung war unterbrochen, ich ließ meinen alten Honda Civic aufheulen und wühlte mit einer Hand nach meiner Digitalkamera. Ich schoss durch die engen und kurvigen Straßen von dem kleinen Dedenborn, um dann Richtung Einruhr zu jagen. Vorsicht, Junge, dachte ich mir, in dieser tückischen Kurve nach Rurberg hast du bereits vor vielen Jahren einen Alfa verschrottet. Aber mit dem Civic schoss ich driftend durch die Unheilkurve. Ich pfiff auf die Tempo 50 in Einruhr und erwischte am Ausgang die stationäre Radarfalle. Naja, 75 statt 50 Stundenkilometer sind noch bezahlbar. Ich jagte bis Gemünd, bog rechts nach Olef ab und schlich durch den verkehrsberuhigten kleinen Ort, um dann auf der steilen Straße bis Winzen jeden Gang voll auszudrehen.

      Ich musste nicht lange suchen, bis ich zwischen Notarzt, Polizeifahrzeugen und einem Leichenwagen Kommissar Welsch und Christian von der Rundschau entdeckte. Die Straße war von beiden Richtungen abgesperrt, und ich sah mehr als ein Dutzend Beamte, die bemüht waren, Spuren zu sichern. Andere versuchten, die neugierigen Zuschauer zurück zu drängen. Der Mord hatte sich in Windeseile herumgesprochen. Ich parkte den Civic schräg in die Böschung und quälte mich mit Kamera und Tonband aus dem kleinen Japaner. Welsch musterte mich mürrisch und starrte Christian böse an.

      „Ich habe Herrn Schreer nicht informiert“, meinte er trocken. Welsch kam langsam auf mich zu, denn viele Jahre Schreibtischdienst und ebenso viele Tafeln Schokolade hatten aus dem etwa fünfundvierzigjährigen Mann eher eine Kugel auf zwei Beinen geformt. Christian Hermes von der Rundschau schlich ihm achtlos nach, und in diesem Augenblick kreischten die Räder von Pete’s Clio. Verspätet, aber nicht zu spät, hatte er es aus der Redaktion in Euskirchen noch geschafft und hetzte, mit Kameras überhängt, auf uns zu. Sein überhitzter Renault war froh über diese Verschnaufpause.

      Welsch nahm die Gauloises, die ich ihm anbot. Dass es meine letzte war, störte ihn nicht. Das hat ihn noch nie gestört, und ich schnorrte mir eine Lucky Strike bei Christian.

      „Sie, meine beiden Herren“, fuhr Kommissar Welsch die beiden Journalisten an, „Sie können jetzt Ihre Fotos machen und mit meinem Kollegen Breinig reden. Aber wehe, Sie treten irgendwohin, wohin Sie es nicht dürfen! Spuren haben wir noch nicht endgültig eingesammelt und Sie bleiben außerhalb der Absperrung! Ist das K-L-A-R ?“

      Welsch drehte seinen behäbigen Körper mit mindestens 130 Kilo Lebendgewicht und der Größe einer nur mittelhohen Kommode wieder zu mir. Ich hätte ihn aufmerksam machen sollen, dass er bereits den Filter rauchte, aber eigentlich war er alt genug, diesen Geschmacksunterschied auch ohne detektivischen Sachverstand zu bemerken.

      „Alwin, wir kennen uns lange genug, und ich wundere mich auch nicht, wenn du hier überraschend auftauchst. Ich schulde dir auch den einen oder anderen Gefallen und weiß, dass Wolfram Belder dich engagiert hat.“

      „Hat er, soeben, heute Vormittag. Und wenn du meine Hausbank fragst, wird sie dir bestätigen, dass ich dringend Bares einfahren muss. Er hat mir eine Anzahlung von 1000 Euro hinterlegt. Außerdem kannte ich Marianne Belder aus der Schulzeit und war früher schwer in sie verliebt.“

      Welsch schnaubte und sog tief Luft ein. Den Rest des angerauchten Filters schnippte er in den Graben.

      „Gut, setzen wir uns in deinen Wagen, auch wenn dein Honda so ausschaut, als wenn er bald die Schrottpresse sehen wird.“

      „Er fährt und fährt und fährt. Und die alte Kiste hat den Vorteil, dass niemand einen Schnüffler in der Gurke vermuten würde.“

      Der Beifahrersitz ächzte, als mein alter Schulkamerad Welsch, mit dem ich mich als Kind fast täglich geprügelt hatte, sich in den Wagen plumpsen ließ. Er zückte ein Notizbuch und blätterte hastig.

      „Marianne Belder“, sagte Welsch und macht eine kurze Denkpause. „Wir haben nach dem Überfall auf sie Stoffpartikel eines blauen Flanellhemdes gefunden. Eine Art Arbeitshemd, wie es millionenfach verkauft wird. Wir konnten leicht den Hersteller herausfinden, als wir ein paar Geschäfte in und um Euskirchen abklapperten. Wir sind sicher, dass es sich um einen Massenartikel von Masso Giotto handelt, und noch erstaunlicher ist, dass die Verkäuferin sich an einen sonderbaren Vogel erinnert, der einen polnischen oder russischen Akzent hatte. Der hat gleich zwanzig oder fünfundzwanzig dieser Hemden in der Größe XL gekauft. Er ähnelte zwar nicht dem Phantombild, das wir ihr nach dem Überfall auf die Belder zeigten. Aber wir haben heute eine heiße Spur bei diesem beschissenen Mord an dem Mädchen entdeckt. Der Mörder hat eine Tasche stehen lassen. Er ist von einem Forstarbeiter gestört worden und abgehauen. Dieser Waldmensch war so dumm, seinen Jeep mit dem Schlüssel im Schloss stehen zu lassen, und unser Mörder ist mit der Karre quer durchs Feld abgehauen. Den Jeep haben wir bereits gefunden. Der Mörder hat ihn in Kall am Bahnhof abgestellt. Aber die Tasche war wenigstens ergiebig. Warum wohl, was sagt dein Detektivhirn?“

      „In der Tasche war ein Hemd von Masso Giotto, vermutlich blau.“

      Welsch triumphierte, denn er hatte noch einen Trumpf im Ärmel.

      „Ja, Masso Giotto in blau! Wir sind zwar noch nicht sicher, aber wir sind der Meinung, dass der Mörder von heute dieses Hemd vielleicht getragen hat, als er die Belder überfiel. Sie hatte bei ihrem ersten Protokoll angegeben, dass sie sich sicher sei, dass sie ihrem Peiniger den rechten Ärmel aus den Nähten gerissen hat. Und dieses Hemd hat einen angenähten Ärmel. Mehr schlecht als recht, aber alles