Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga. Sandra Grauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Grauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738005868
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nickte. Er sah ziemlich blass aus. »Ich denk schon.« Nun sah Gabriel wieder mich an. »Hast du vielleicht was zu trinken dabei?« Ich nickte und zeigte hinter ihn, wo der komplette Inhalt meiner Tasche immer noch auf dem Boden verstreut lag. Gabriel stand auf, holte meine Wasserflasche und reichte sie Joshua. Der trank einen Schluck und sah gleich ein wenig besser aus. Ich hingegen fühlte mich kein bisschen besser. Die Tränen, die während des Schocks getrocknet waren, kamen nun mit aller Macht wieder. Ich wollte nicht weinen, schon gar nicht vor Gabriel, doch ich musste schluchzen. »Bitte nicht weinen. Auf weinende Mädchen reagier ich immer irgendwie allergisch«, meinte Gabriel nun. Bisher war er ja ganz umgänglich gewesen, doch jetzt schien er zu seiner üblichen Form zurückzufinden. Meine Stimmung schlug um. Ich wurde wütend auf Gabriel, und die Tränen versiegten. Am liebsten hätte ich ihm sämtliche Schimpfwörter, die mir in diesem Moment einfielen, an den Kopf geworfen, doch ich ließ es. »Was machst du hier?« »Was ich hier mache? Was machst du hier?« »Ich wohne hier und geh nicht mit Schwertern auf andere Menschen los. Was soll das Ganze?« Gabriel sammelte die beiden Schwerter ein und sah mich an. Mir fiel auf, dass er nicht wie sonst grinste. »Wir waren auf einer verspäteten Faschingsparty.« »Und das soll ich dir glauben?« »Seh ich etwa nicht glaubwürdig aus?«, meinte er und baute sich in voller Größe auf. »Ist ja auch egal, ich muss mich jetzt um Joshua kümmern. Er braucht dringend einen Arzt.« Das sah ich ein, aber so leicht wollte ich es ihm trotzdem nicht machen. »Erst will ich wissen, was hier läuft.« Nun grinste er doch wieder. »Hier läuft gar nichts, aber das können wir gern ändern, wenn du willst.« »Gabriel, ich mein's ernst.« »Ich auch.« Einen Moment war ich sprachlos. In genau diesem Moment waren Polizeisirenen zu hören. »Shit. Hast du die gerufen?«, fragte Gabriel und sah mich fast ein wenig böse an. Ich nickte. »Ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte.« Gabriel bückte sich und half seinem Bruder hoch. »Was machst du da?«, wollte ich wissen. »Ich sagte doch, Joshua braucht einen Arzt. Wir haben jetzt keine Zeit, auf die Polizei zu warten.« »Aber ihr könnt doch nicht einfach abhauen, nach allem, was ihr hier angerichtet habt.« »Was haben wir denn bitte angerichtet?« Ich sah zu dem Mann, der am Boden lag. Gabriel folgte meinem Blick und musste lachen. »Der da? Der ist bloß bewusstlos. Du musst mir vertrauen, Emmalyn. Wir tun keinem was, aber wir müssen jetzt hier weg.« Ich zögerte. Der bewusstlose Mann schien nicht verletzt zu sein, aber das änderte nichts daran, dass Gabriel ihn niedergeschlagen hatte. »Komm schon, Emmalyn, du bist mir ohnehin noch was schuldig.« Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er auf die Sache mit den Referatsmaterialien anspielte. Ich wusste nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, dass es richtig war, sie gehen zu lassen. Also nickte ich schließlich. Gabriel warf mir ein flüchtiges Lächeln zu, dann verschwanden er und sein Bruder. Ich hatte kaum Zeit, meine Gedanken zu sortieren, als zwei Polizisten angerannt kamen. Der eine stürzte sich gleich auf den ohnmächtigen Mann, der andere hockte sich neben mich. »Sind Sie verletzt?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Nein.« »Haben Sie die Polizei gerufen?« Ich nickte. »Was ist denn passiert?« »Ich ... Ich weiß auch nicht so genau. Da waren drei Männer, die miteinander gekämpft haben.« Ich zeigte auf den bewusstlosen Mann. »Der Mann dort ging zu Boden. Ich weiß nicht, ob er verletzt ist.« »Und die anderen beiden Männer?« »Die sind weggerannt, als sie mich gesehen haben.« »Da haben Sie aber Glück gehabt. Können Sie die Männer beschreiben?« »Sie waren maskiert«, log ich nach kurzem Zögern. Auch wenn ich selbst nicht so genau wusste, warum ich Gabriel und seinen Bruder eigentlich in Schutz nehmen sollte. »Mit dem hier ist alles in Ordnung, er ist nur bewusstlos«, sagte der zweite Polizist und kam auf uns zu. »Was ist denn passiert?« Ich erzählte meine Geschichte noch einmal. Währenddessen sah sich der erste Polizist etwas genauer um. Er inspizierte vor allem das Häufchen Asche genauer, stellte aber keine Fragen. Dann begutachtete er meine Sachen, die auf dem Boden verstreut lagen. »Sind das Ihre Sachen?«, fragte er. Ich nickte. »Ja, das sind meine. Mir ist die Tasche heruntergefallen, als ich nach meinem Handy gesucht hab.« Er begann, alles einzusammeln und in die Tasche zu stopfen. Ich stand auf, um ihm dabei zu helfen. In diesem Moment entdeckte der andere Polizist die Wasserflasche und den Blutfleck. »Was ist denn hier passiert?«, wollte er wissen. Mein Herz begann wieder, schneller zu schlagen. »Ich weiß nicht. Vielleicht hat sich einer der beiden anderen Männer verletzt?« »Waren sie bewaffnet?« Ich überlegte einen Moment fieberhaft, was ich sagen sollte, doch dann entschied ich mich für die Wahrheit. »Sie hatten zwei Schwerter.« Die beiden Polizisten warfen sich einen komischen Blick zu. Dann griff der eine Polizist nach der Wasserflasche. »Ich darf doch?« Ich wusste zwar nicht, was er damit wollte, doch ich nickte trotzdem. Der Polizist ging daraufhin zu dem bewusstlosen Mann, schüttete ihm etwas Wasser ins Gesicht und tätschelte ihm die Wange. »Hallo, können Sie mich hören?« Der Mann schien langsam zu Bewusstsein zu kommen. Währenddessen hatten der andere Polizist und ich all meine Sachen aufgesammelt. »Wo wohnst du?«, fragte er. Anscheinend war ihm mittlerweile aufgefallen, dass ich noch nicht volljährig war. »Neckarhamm«, antwortete ich. »Das ist ja gleich hier vorne. Dann bring ich dich mal eben nach Hause, während mein Kollege den Mann befragt.« Dankbar griff ich nach meiner Tasche. »Wolfgang? Ich bring das Mädchen schnell nach Hause«, meinte der eine Polizist zum anderen. »Warte, der Mann hier kann sich an nichts erinnern. Ich schätze, unsere Arbeit ist damit erledigt.«

      Keine zehn Minuten später stand ich unter der Dusche und ließ warmes Wasser auf mich prasseln. Als ich nach Hause gekommen war, war niemand da gewesen. Einerseits war ich froh darüber, so musste ich wenigstens keine Fragen beantworten. Andererseits war ich nicht sicher, ob ich jetzt wirklich allein sein wollte.

       Das warme Wasser dämpfte den Schock, und so langsam fühlte ich mich wieder klar, während sich der heiße Dampf auf den Spiegel legte. Und mit der Klarheit kamen auch die Fragen. Was war da passiert? Warum liefen Gabriel und sein Bruder mit Schwertern herum, und was war das für ein komisches Wesen gewesen, dass da abgebrannt war? Hatte das Ganze etwa irgendetwas mit einem satanischen Ritual zu tun? Und welche Rolle spielte die Polizei? Ich war heilfroh gewesen, dass mich die Männer gleich nach Hause gefahren hatten, aber andererseits wunderte es mich auch. Sie hatten nur meine Daten aufgenommen. Eine offizielle Aussage hatte ich nicht machen müssen, geschweige denn, dass sie mich mit aufs Revier genommen hätten. Zudem hatten sie den Tatort nicht abgesperrt, sie hatten keine Fingerabdrücke genommen und sich auch nicht wirklich für Joshuas Blutspuren interessiert.

       Ich kannte mich mit der Polizeiarbeit nicht sonderlich gut aus, aber das Ganze kam mir doch etwas suspekt vor. Hatten die Polizisten hier versucht, etwas zu vertuschen? Und was hatten Gabriel und Joshua zu verbergen?

       Auch wenn ich sonst nur Fragen hatte, dessen war ich mir sicher: Gabriel war nicht auf einer Faschingsparty gewesen.

      »Was ist denn mit dir los?«, fragte Tim und schloss mich fest in seine Arme.

       Gleich nach der Dusche hatte ich Tim angerufen und gebeten, vorbeizukommen. Ich brauchte einfach jemanden, mit dem ich über alles reden konnte, und ich wollte über Nacht auch nicht alleine sein. Tim war zwar mit Freunden verabredet gewesen, hatte sich aber gleich auf den Weg gemacht. Als ich ihm die Tür öffnete und ihn da stehen sah, war ich in Tränen ausgebrochen, ohne es zu wollen.

       Eine Weile standen wir im Flur, und Tim tröstete mich. Dann kochte er eine Kanne Tee für uns, und wir gingen nach oben in mein Zimmer, wo ich ihm erzählte, was passiert war. Ich bemerkte, dass Tim wütend wurde, aber er hörte mir geduldig zu und unterbrach mich nicht. Doch kaum war ich fertig, legte er los.

       »Gabriel. Und Joshua? Das darf doch nicht wahr sein. Bist du dir wirklich sicher?«

       Ich nickte.

       »Ich versteh's nicht. Warum treiben die sich auf einem Spielplatz rum, noch dazu mit Schwertern?«

       Ich zuckte die Schultern. »Frag mich was Leichteres, ich kann's mir auch nicht erklären.« Tim war irgendwann aufgestanden und lief nun in meinem Zimmer auf und ab. Er machte mich damit ganz nervös, aber ich bat ihn trotzdem nicht, damit aufzuhören.

       »Ich wusste doch, dass die irgendwas zu verbergen haben. Vielleicht ist an dem ganzen Satanismus-Kram doch was dran. Bei Gabriel wundert mich nichts mehr. Aber ich frag mich, warum Joshua bei so was mitmacht. Er war eigentlich ganz vernünftig.«

       »Du hast ihn ja schon eine Weile nicht mehr gesehen«, gab ich leise zu bedenken. »Menschen ändern sich.«