Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga. Sandra Grauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Grauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738005868
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hörst du da übrigens. Meine kleine Schwester steht auch auf die Jonas Brothers. Vielleicht könnt ihr ja mal CDs austauschen.« Er zwinkerte mir zu, dann war er verschwunden, und ich blieb mit meinen Gedanken und Fragen alleine zurück.

      Am Montagmorgen machten mein Bruder und ich uns gemeinsam auf den Schulweg. Wir wohnten ja in der Nähe der Schule und konnten daher zu Fuß gehen. Es war das erste Mal seit dem Vorfall am Samstagabend, dass ich wieder Richtung Spielplatz ging, daher fühlte ich mich ein wenig unwohl. Es war aber nicht so schlimm, wie ich vorher befürchtet hatte.

       »Geh schon mal vor«, meinte ich zu Mark, als wir an dem kleinen Seitenweg angekommen waren, der zum Spielplatz führte. Ich wollte mir noch einmal den Tatort ansehen. Vielleicht würde ich ja auf etwas stoßen, dass mir weiterhelfen würde. Mark nickte mir zu und stellte zum Glück keine Fragen. Er hatte heute seine erste schriftliche Abiprüfung und daher wahrscheinlich andere Sorgen. Ich wartete, bis er auf dem Schulhof verschwunden war. Von dort drangen die typischen Geräusche zu mir herüber. Wahrscheinlich erzählten sich alle gegenseitig, was sie am Wochenende alles gemacht hatten. Es war ein normaler Montagmorgen für alle, aber für mich war es das nicht.

       Ich holte ein paar Mal tief Luft, dann ging ich den Weg entlang Richtung Spielplatz. Ein Pärchen saß knutschend auf einer Bank, aber sie bemerkten mich nicht, da sie mit dem Rücken zu mir saßen. Ich sah mich etwas genauer um. Nichts deutete auf das hin, was Samstagabend hier geschehen war. Das Häufchen Asche war verschwunden, ebenso Joshuas Blutspuren, aber das war wahrscheinlich nicht weiter verwunderlich. Sicher hatte sich die Polizei um die Blutspuren gekümmert, und die Asche war vielleicht weggeweht worden. Ich sah mich weiter um, konnte aber beim besten Willen nichts finden, was mir irgendwie weitergeholfen hätte.

       »Hey, beobachtest du uns etwa?«, rief der Junge zu mir herüber, der mit seiner Freundin auf der Bank saß.

       Ich schüttelte den Kopf und entfernte mich ein Stück, als mich die Erinnerung wie ein Déjà-vu traf. Custos umbrarum, diese Worte hatten auf dem Schwert gestanden. Ich wusste nicht, was sie bedeuteten, aber ich würde es herausfinden. Und vielleicht würde ich dann auch hinter das Geheimnis kommen, das Gabriel vor mir zu verbergen versuchte. Jetzt musste ich aber erst einmal zum Unterricht. Ich machte mich auf den Weg zum Schulhof. Hannah wartete bereits auf mich. Als sie mich sah, kam sie direkt auf mich zu. »Stell dir vor, Gabriel steht da drüben und schaut immer wieder rüber«, meinte sie fröhlich. »Super«, erwiderte ich. Was sollte ich auch sonst sagen? Ich blickte in Gabriels Richtung. Dort stand er tatsächlich mit seinen Freunden in der Sonne. Nun entdeckte er mich auch. Er grinste, sagte etwas zu seinen Freunden und kam auf uns zu. Ich bemerkte, dass Hannah mir einen skeptischen Blick von der Seite zuwarf. Nun schien sie begriffen zu haben, dass er nicht sie beobachtet hatte. Er hatte nur auf mich gewartet. Oh Gott, Hannah würde mir den Kopf abreißen. Ich hatte ihr noch gar nicht erzählt, was Samstagabend passiert war. Und sie wusste auch noch nicht, dass Gabriel gestern Vormittag noch einmal bei mir gewesen war. »Guten Morgen, die Damen«, meinte er nun. Hannah und ich erwiderten die Begrüßung weniger enthusiastisch. Ich war mir sicher, dass sie sich ebenfalls fragte, was er von mir wollte. Prompt galt seine Aufmerksamkeit mir. »Na, hast du mich schon vermisst?«, fragte er grinsend. »Ich konnte mich gerade noch beherrschen.« Er lehnte sich zu mir und senkte seine Stimme. Er sprach aber laut genug, sodass auch Hannah ihn noch verstehen konnte. »Tut mir leid, dass ich gestern nicht länger bleiben konnte. Ich musste noch lernen.« »Tja, kann man nichts machen«, meinte ich. Es sollte ironisch klingen, aber ich war mir nicht sicher, ob Hannah das auch bemerkte. Bevor ich Gabriel fragen konnte, was das Ganze sollte, klingelte es zur ersten Stunde. Er zwinkerte mir zu. »Bis später dann, ich muss jetzt Deutsch-Abi schreiben.« Ich wartete nicht, bis er außer Hörweite war. »Hannah«, begann ich und griff nach ihrem Arm, doch sie riss sich los und stolzierte davon. Einen Moment sah ich ihr hinterher, dann drehte ich mich zu Gabriel um. Er stand wieder bei seinen Freunden, warf mir aber grinsend einen Blick zu. Wenn ich mich nicht sehr täuschte, hatte er das mit Absicht getan. Er wollte, dass Hannah wütend auf mich war, und das war ihm gelungen. Am liebsten hätte ich ihn hier und jetzt zur Rede gestellt, aber dann wäre ich zu spät zur Mathestunde gekommen. Es musste also wohl oder übel noch etwas warten.

      Als ich den Klassenraum betrat, stand meine Mathelehrerin Frau Holzmann bereits hinter dem Lehrerpult und holte ihre Sachen aus ihrer Tasche. Ich warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu und ließ mich neben Hannah auf meinen Stuhl fallen. Sämtliche Versuche, ihr die Sache mit Gabriel zu erklären, schlugen fehl. Sie drehte sich demonstrativ weg und hörte mir nicht zu. Außerdem warf mir Frau Holzmann, die leider viel zu gute Ohren hatte, einen warnenden Blick zu. Also gab ich es auf. Meine Erklärungen mussten wohl bis zur ersten Pause warten. Mitten im Unterricht schob Hannah mir allerdings einen Zettel zu, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich faltete den Zettel unter dem Tisch auseinander.

       »Was zum Geier sollte das?«, stand dort.

       »Die Sache ist kompliziert, ich erklär's dir nachher. Es hat aber rein gar nichts zu bedeuten«, schrieb ich zurück und schob Hannah den Zettel zu.

       Sie schnaubte, als sie meine Zeilen las, und krakelte etwas hinzu. »Tatsächlich? Danach sah's aber nicht aus«, stand da.

       Ich warf Hannah einen flehenden Blick zu. Dieses Mal wich sie meinem Blick nicht aus, auch wenn ich fast wünschte, sie hätte es getan. Noch nie hatte sie mich so böse angefunkelt wie in diesem Moment.

       Wir hörten ein Räuspern und sahen beide auf. Frau Holzmann stand vor unserem Tisch und streckte ihre Hand aus. Widerwillig gab ich ihr den Zettel. Ich befürchtete das Schlimmste, beispielsweise, dass sie den Inhalt vor der ganzen Klasse laut vorlas, doch das tat sie netterweise nicht. »Ich verstehe ja, dass es spannendere Themen gibt als die Kurvendiskussion, aber würdet ihr das bitte auf nach dem Unterricht verlegen?«, meinte sie. Dann steckte sie den Zettel in ihre Hosentasche und ging zurück zur Tafel.

       Seufzend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und versuchte, Frau Holzmanns Erklärungen zu folgen, aber ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Als es endlich zur ersten Pause klingelte, witterte ich meine Chance. Fünf Minuten würden zwar nicht ansatzweise reichen, um Hannah einzuweihen, aber eine Kurzfassung konnte ich ihr zumindest geben. Hannah sah das jedoch anders. Fluchtartig verließ sie den Raum und war nirgends aufzuspüren. Sie kam erst zurück, als es wieder zum Unterricht läutete. So langsam wurde auch ich sauer. Als ob das alles meine Schuld wäre. Ich hätte liebend gerne auf die Begegnung am Samstagabend verzichtet, und Gabriel konnte mir sowieso gestohlen bleiben. Aber ich musste eine weitere langweilige Mathestunde über mich ergehen lassen, ehe ich es Hannah sagen konnte. Kaum klingelte es zur Frühstückspause, sprang sie von ihrem Stuhl auf und wollte verschwinden, doch ich war schneller. Ich stellte mich ihr in den Weg und hielt sie am Arm fest.

       »Das ist nicht fair ...«, begann ich, doch Hannah schnaubte nur.

       »Du willst mir was von fair erzählen?«

       »Du könntest mir wenigstens die Gelegenheit geben, dir alles zu erklären, bevor du mich als unfair abstempelst.«

       Hannah riss sich los und verschränkte die Arme vor der Brust. Neugierige Blicke trafen uns, als sich die anderen an uns vorbeidrängelten. Schließlich blieben nur noch wir beide und Frau Holzmann im Raum zurück.

       Frau Holzmann räusperte sich. »Wollt ihr nicht in die Pause gehen? Eigentlich sollte ich den Raum abschließen.«

       »Würden Sie vielleicht eine Ausnahme machen?«, bat ich sie. »Hannah und ich müssen noch etwas klären, und es wäre schön, wenn wir dabei ungestört wären.«

       Frau Holzmann zögerte.

       »Wir haben nach der Pause ohnehin Deutschunterricht bei Herrn Oertel in diesem Raum«, fügte ich hinzu.

       Frau Holzmann überlegte einen Moment. Schließlich nickte sie. »Na schön, ausnahmsweise. Aber hängt es nicht an die große Glocke, und stellt keinen Mist an.«

       Ich warf ihr ein dankbares Lächeln zu. Als Frau Holzmann die Tür hinter sich geschlossen hatte, holte ich tief Luft. Gerade, als ich ansetzen wollte, kam Hannah mir zuvor:

       »Weißt du, ich versteh's einfach nicht«, meinte sie und lehnte sich gegen einen Tisch. »Du hast doch schon Tim, und ich dachte, du wärst glücklich mit ihm. Warum musst du mir Gabriel