Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga. Sandra Grauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Grauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738005868
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»Was machst du hier?«, hörte ich Tim fragen und war wieder voll ansprechbar.

       »Richtig, was machst du eigentlich hier?«, wollte nun auch ich wissen.

       »Wie, hast du deinem Freund etwa nicht erzählt, dass wir uns in letzter Zeit öfter treffen?«

       Ich wünschte, Gabriel würde wie sonst grinsen, aber das tat er in diesem Moment natürlich nicht. Fragend sah ich ihn an. »Bitte?«

       Gabriel lachte leise. »Spaß beiseite. Ich bin mit Mark verabredet, wegen des Referats.«

       Erleichtert atmete ich auf. »Ach so. Er hat gar nicht erwähnt, dass ihr euch hier treffen wolltet.«

       »Offensichtlich«, erwiderte er und musterte mich wieder amüsiert von oben bis unten. Ich wusste genau, dass er auf meinen Aufzug anspielte. »Wo ist Mark denn?«

       Ich spürte, dass ich mal wieder rot wurde, versuchte aber tapfer, das zu ignorieren. »Der steht noch unter der Dusche, müsste aber jeden Moment fertig sein. Willst du was trinken oder essen? Wir haben genug Brötchen.« Ich hatte zwar keine große Lust, dass er mit uns frühstückte, aber ich wollte auch nicht unhöflich sein.

       »Ach lass nur. Ich will eure traute Zweisamkeit nicht stören, außerdem hab ich schon gefrühstückt. Übrigens hab ich noch was für dich.« Er warf mir ein anzügliches Grinsen zu, zog einen schwarzen Ordner aus seinem Rucksack und hielt ihn mir entgegen.

       Ich warf einen Blick hinein. Das waren die Unterlagen für das Satanismus-Referat. Überrascht sah ich ihn an.

       Er zuckte die Schultern. »Ich dacht mir, du hättest sicher nichts dagegen, wenn ich dir die Sachen heut schon mitbringe. Biste denn schon neugierig, was ich mir Nettes für uns zwei überlegt hab?«, fragte er und zwinkerte mir zu.

       »Äh, nein«, brachte ich gedehnt hervor. »Danke für die Sachen.« Ich fühlte mich etwas unbehaglich, also sprang ich auf. »Ich seh mal nach, wo Mark bleibt.« Ich lief die Treppen nach oben und blieb vor dem Badezimmer stehen. Auf mein Klopfen hin öffnete Mark die Tür. Er war gerade dabei, sich zu rasieren.

       »Bin gleich fertig«, meinte er und stellte sich wieder vor den Spiegel, der über dem Waschbecken hing.

       »Gabriel ist hier«, meinte ich.

       Mark nickte mir zu. »Ich komm sofort.«

       Doch anstatt wieder nach unten zu gehen, trat ich ins Badezimmer und zog die Tür heran, sodass sie nur noch einen Spalt geöffnet war. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass ihr euch hier trefft?«, flüsterte ich, obwohl mich die zwei Jungs in der Küche garantiert nicht hören konnten. »Jetzt musste ich ihm im Schlafanzug die Tür öffnen, das ist doch voll peinlich.«

       »Was stört's dich?«, erwiderte Mark und warf mir einen kurzen Blick zu.

       Vielleicht hatte er recht. Eigentlich konnte es mir egal sein, aber das war es nicht. Ohne noch etwas zu sagen, verließ ich das Badezimmer und zog die Tür hinter mir ins Schloss. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich mir schnell etwas Vernünftiges anziehen sollte. Das würde vielleicht einen komischen Eindruck machen, aber ich würde mich definitiv wohler fühlen. In meinem Zimmer schlüpfte ich also schnell in Jeans und Shirt und lief dann wieder hinunter in die Küche. »Mark kommt gleich«, sagte ich und setzte mich an den Küchentisch.

       Gabriel musterte mich einen Augenblick. »Wegen mir hättest du dir doch nicht extra was anziehen müssen.«

       Ich beschloss, den Kommentar einfach zu ignorieren, und zog stattdessen den Ordner zu mir. Ich blätterte ein paar Seiten durch. »Wie kamst du eigentlich auf die Idee, das Thema zu behandeln?«, fragte ich Gabriel möglichst beiläufig.

       Gabriel vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans und grinste. »Na ja, es macht doch Sinn, ein Thema zu wählen, mit dem man sich gut auskennt, oder nicht?«

       Ich versuchte, zu lächeln, auch wenn mir überhaupt nicht danach zumute war. Gabriel war wirklich nicht leicht zu durchschauen. Einerseits machte er einen netten und vor allem normalen Eindruck, wenn man mal davon absah, dass er ziemlich dreist war. Aber auf der anderen Seite sagte und machte er solche Sachen. Gerne hätte ich mehr gewusst, aber ich hatte das Gefühl, dass ich ohnehin keine brauchbaren Antworten bekommen hätte. Außerdem kam mein Bruder in dem Moment in die Küche, die sich sofort mit dem Geruch von Rasierwasser und frisch gewaschenen Haaren füllte. Mark begrüßte Gabriel mit Handschlag und ging hinüber zur Kaffeemaschine.

       »Trinkst du Kaffee?«, fragte er an Gabriel gewandt.

       Der nickte und meinte: »Jep, schwarz wie meine Seele.«

       Ich fühlte mich noch unbehaglicher, sofern das überhaupt möglich war, und war froh, als Mark und Gabriel nach oben gingen. Gabriel drehte sich im Türrahmen noch einmal zu uns um und grinste.

       »Sorry für die kleine Unterbrechung, aber jetzt könnt ihr ja weitermachen.«

       Ich wartete, bis ich hörte, wie Marks Tür ins Schloss fiel. Dann wandte ich mich an Tim. »Du kennst also Gabriel und seinen Bruder?«

       »Klar.« Tim nickte und griff nach einem weiteren Brötchen.

       Mir war der Appetit fürs erste vergangen. »Ich hoffe, du nimmst Gabriels Verhalten nicht ernst. Ich schwör dir, dass ich bis gestern nie was mit ihm zu tun hatte.«

       Doch Tim lachte nur. »Keine Sorge, ich kenn Gabriel.«

       »Und wie sind die so?«

       »Wer?«

       »Na Gabriels Familie. Du weißt doch, was ich mein. Diese ganzen Kommentare von Gabriel, die Gerüchte, das Referatsthema ...«

       »Also Joshua ist ganz in Ordnung. Ich kam immer sehr gut mit ihm klar. Na und Gabriel. Ich bin nicht sicher, was ich von ihm halten soll oder was an den Gerüchten dran ist. Hat auf jeden Fall 'ne ziemlich große Klappe.«

       »Kennst du auch den Rest seiner Familie?« Ich sah Tim fragend an.

       »Ich war einmal bei Joshua zu Hause. Seitdem sind sie aber umgezogen, soweit ich weiß. Der Vater und die kleine Schwester haben einen netten Eindruck gemacht, die Mutter war mir ein wenig unsympathisch, aber sie wirkte normal. Und trotzdem ...« Er stoppte.

       »Was?«

       Er zog die Schultern hoch und schmierte sich Butter auf beide Brötchenhälften. »Weiß auch nicht. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass die was zu verbergen haben.«

      Nachdem Tim gegangen war, rief ich sofort Hannah an. Sie war ein wenig sauer auf mich, dass Gabriel mir die Unterlagen mitgebracht hatte, auch wenn ich ja eigentlich nichts dafür konnte. Schließlich hatte ich ihn nicht darum gebeten. So sauer war Hannah dann aber doch nicht, als dass sie sich nicht gleich auf den Weg zu mir gemacht hätte. Gabriel war allerdings schon wieder weg, bis sie da war. Hannahs Laune wurde noch mieser.

       Wir machten uns daran, die Unterlagen durchzusehen. Je mehr Seiten wir durchblätterten, desto mulmiger fühlte ich mich. Gabriel hatte wirklich sämtliches Recherchematerial, das er finden konnte, in diesen Ordner geheftet. Mir war von vornherein klar gewesen, dass es sich bei Satanismus um ein unangenehmes Thema handelte, aber mit dem, was ich zu sehen bekam, hatte ich nicht gerechnet. Im Ordner befanden sich nicht nur Informationen über die Geschichte und Entwicklung des Satanismus, sondern auch ausführliche Beschreibungen diverser Rituale. Mir wurde fast schlecht. Was hatte Hannah sich bei der ganzen Sache nur gedacht? Wir hätten sicher noch einen angenehmeren Weg gefunden, mit Gabriel ins Gespräch zu kommen.

       Wenigstens waren Hannah und ich uns einig, dass wir uns in unserem Referat auf die Entstehung und Entwicklung des Satanismus beschränken wollten und als Anschauungsmaterial lediglich einige Symbole zeigen wollten, die mit dem Satanismus in Zusammenhang standen. Und danach wollte ich das Thema und Gabriel einfach nur noch vergessen.

      »Nächster Halt: Evangelische Kirche«, dröhnte die markante Männerstimme durch den Bus.

       Ich schreckte hoch und sah aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich zugezogen, und die Dämmerung war bereits über Heidelberg hereingebrochen, aber ich konnte noch genug sehen, um zu erkennen, dass der Busfahrer die richtige Haltestelle durchgesagt hatte. So ein Mist, jetzt hatte ich doch tatsächlich meine Haltestelle