Der Tierarzt plapperte weiter und erzählte, was man sich im 'zerzausten Löwen' so erzählte. Koller soll ein Terroristenabwehrkommando angefordert haben, um die Ordnung im Wald wiederherzustellen und das Monster zu stellen. Er vermutete ihn in Rabulans Atem. Er soll Widmer befohlen haben, den Wald in jener Ecke vorsorglich niederzubrennen. Er soll auch die Pfadfinderabteilung genötigt haben, den Wald umzukrempeln und eine Treibjagd zu organisieren. Er drohte ihnen mit der Streichung der Gemeindezuschüsse, falls sie sich weigerten. Dabei weiß jeder, dass die Pfadfinder seit Jahren leer ausgehen, weil Koller deren Anteil für die ins Kraut schießenden Planungskosten seines Waldstadionvorprojektes verpulverte. Und dann er soll die Schön bezirzt haben, eine Wiedereingliederungsaktionskampagne ins Leben zu rufen.
"…dafür, so hat er ihr eingeimpft, müsse das arme Tier jedoch zuerst gefunden werden. Die Irre hat überall Plakate aufgehängt: 'Gesucht' und darauf ein Bild des Bären. Als ob den nicht ohnehin jeder kennt. Bei der Bärenpopulationsdichte in unserer Gegend sind Verwechslungen so gut wie ausgeschlossen, wenn sie mich fragen."
Gugger hörte nur mit halbem Ohr hin, denn seine Gedanken umkreisten die Idee, Rache zu nehmen. Eine Rache-Therapie hatte was, baut auf, erfrischt die Lebensgeister und erneuert die Kreativität. Die Gedanken reiften zum Plan. Abrupt stand er auf: "Wir gehen, danke."
Geifer blickte fragend hoch.
"Ich weiß, wie wir dich therapieren können. Komm, raus hier."
Der Tierarzt sah verdutzt, wie Gugger und der Hund ohne Erklärungen verschwanden. Er zuckte mit den Achseln: die Blitzheilung überraschte ihn. Er beschloss, einen wissenschaftlichen Artikel zu schreiben und zu veröffentlichen. Und dabei die Pharmaka des großen Pharmamultis in den Vordergrund stellen. Der nächste Kongress stand bevor und einer Auszeichnung für progressive Feldversuche wäre er nicht abgeneigt.
"Mal schauen, ob da noch eine erkältete Katze wartet", murmelte er geistesabwesend und stakste zum Wartezimmer.
Gugger eilte mit zusammengekniffenen Lippen aus der Praxis.
"Wohin gehen wir?", fragte Geifer.
Gugger blieb stehen: "Koller wird uns helfen, die Dinge ins Lot zu bringen. Wir helfen der Gerechtigkeit nach."
"Der wird sich sicher freuen, dich zu sehen", meinte Geifer trocken, "ich hörte, ihr seid als Freunde auseinandergegangen."
Gugger hörte nicht hin. Wenn dank seiner Idee Koller seine Ziele doch noch erreichte, dann läge der Job als Waldaufseher oder Oberjagdmeister drin. Koller war bekannt, dass er sich großzügig zeigte, wenn er im Gegenzug auf Verschwiegenheit zählen konnte. Dass der Job schon vergeben war, blieb nebensächlich. Koller würde einen Weg finden, den Förster wegzumobben.
Gugger achtete nicht auf das erschreckte Aufspringen von Frau Schmidt am Empfang, ignorierte den fragenden Blick von Amman und steuerte direkt zu Kollers Büro. Er klopfte kurz und trat ohne Aufforderung ein. Koller war allein und musterte den unwillkommenen Eindringling mit abschätzigem Blick.
"Manieren sind immer noch nicht ihre Stärke", kommentierte er ätzend und schloss die Tür, "Sie haben Glück, dass ich ein paar Minuten Zeit habe. Ich hoffe nur, dass sie nicht wieder mit haltlosen Zahlungs- und Schadenersatzforderungen aufwarten wie das letzte Mal. Es wäre mir eine Freude, sie raus zu werfen. Daran wird mich auch ihr Bluthund nicht hindern."
Gugger setzte sich unbeeindruckt auf den Stuhl vor dem mächtigen Bürotisch: "Wir haben ein gemeinsames Ziel…"
Koller lachte auf. Mit Gugger und seiner schlampigen Hilfstruppe, dem Sabberköter und dem Hinke-Fuchs war er fertig. Mit Versagern und Laienterroristen gab er sich nicht ab.
"So?"
Gugger rutschte zur Stuhlkante vor und sagte geheimnisvoll flüsternd: "Der Bär – wir beide haben mit dieser Bestie eine Rechnung offen."
"Wie kommen sie auf diese Idee", lenkte Koller ab, "das Kapitel ist für mich abgeschlossen. Nicht zuletzt wegen ihres und des Versagens ihrer laschen Feierabendmiliz. Das Vieh ist weg – und wenn ich es je erwischen sollte, wird es sich wünschen, nicht aufgetaucht zu sein."
"Und der Bärenpark? Was ist mit dieser großartigen Geschäftsidee? Geben sie klein bei? Das hätte ich von ihnen nicht erwartet", spottete Gugger.
"Mein lieber Gugger", dozierte Koller wichtig, stand auf, verschränkte die Arme auf dem Rücken und räusperte sich, "es gibt doch den Plan B."
"Ich weiß", sagte Gugger, "es stand in der Zeitung."
Koller nickte: "Nach ihrem kläglichen Scheitern habe ich die Strategie geändert. Es ist wichtig die Bevölkerung miteinzubeziehen. Das schafft Vertrauen. Darum Plan B."
"Plan B wird floppen, den dem fehlt der Pep", meinte Gugger verächtlich, "ein Streichelzoo für Kleinkinder. Einer unter vielen. Geeignet für Großeltern und die ihnen aufgedrängten Enkel, damit Mami und Papi sich selbst entfalten können. Glauben sie wirklich, dass sie damit Kasse machen? Sie brauchen den Bären, sonst macht der Laden in einem halben Jahr dicht – ein finanzielles Fiasko, das ihre Wiederwahlchancen killt…"
Koller blickte erstaunt auf. Dass Gugger um die Ecke denken konnte, war neu. Natürlich hatte er Recht und Koller wusste es. Plan B war nur der Steigbügel für weitere Pläne. Die Fata Morgana, die etwas vorgaukelte. Ziel blieb das überregionale Sportzentrum, mit dem er sich ein Denkmal setzen würde. Das war er alleine schon den Pfadfindern schuldig, die das Projekt mit dem Verzicht auf ihre Beitragsgelder unterstützten. Plan B war nur der Fuß des Staubsaugervertreters, der die Tür blockierte. Plan B zielte darauf ab, Tiere mit 'Jöh-Effekt' anzuschaffen und schnell zu expandieren. Lief der Laden erst, musste man sich in Richtung Wald ausdehnen. Die Unantastbarkeit dieses Biotops, mit welcher die verblendeten Naturschützer der Aktion 'der Wald – dem Wald' argumentierten, würde sich in den Tränen der verwöhnten Bengel und Kleinhexen, die mehr – mehr – mehr wollten, auflösen wie Würfelzucker im heißen Kaffee. Kindertränen waren stärker als Argumente. Diese Expansion wäre bildlich gesprochen der Spatenstich für das Sportzentrum. Plan B setzte jedoch voraus, dass der Zoo ein Erfolg wurde – und dafür brauchte es eine Attraktion.
Koller blinzelte zur Decke. Wenn der Gugger auch nur im Ansatz erahnte, wie sorgfältig er schon geplant, gerechnet uns skizziert hatte, er hätte ihn bewundert. Häschen, Eselchen, Geißlein, Waschbären, Rehlein, Ponys – kleine Mädchen spinnen auf Ponys – Zebras, Schmuseäffchen und Koalas würden seinen Zoo bevölkern. Alles streichelzahmes Getier, das vorwiegend Gras fraß. Darauf legte er besonderen Wert, denn die Kosten waren bei diesem Unternehmen entscheidend. Kosten und Einnahmen! Darum auch die kostenpflichtigen Spielgeräte. Teuer genug, um einen nennenswerten Beitrag zu generieren, billig genug, um dem flehenden Blick des Enkels nicht wegen des Preises eine Abfuhr erteilen zu müssen. Großeltern waren das Zielpublikum: rolatorgängige Wege, Sitzgelegenheiten – vor allem in der Nähe der Spielgeräte – große, gut leserliche Hinweisschilder. Koller wusste, bei welcher Bevölkerungsschicht die Kohle locker saß. Aber wie sagte Gugger: 'es fehlt der Pepp'.
Er hatte schon zahllose Varianten durchgespielt. Pinguine zum Beispiel. Aber Pinguine geben nichts her, außer dass sie rumtorkeln wie Großvater, wenn dieser sein Insulin vergessen hatte. Schildkröten eher nicht, weil die etwa so interessant wie Steine sind und sich genauso benehmen. Nein, er wusste selber, dass es ohne Attraktion, ohne Positionierungsmerkmal gegenüber dem langweiligen, fantasielosen Durchschnittsstreichelzoo schwierig war, das Unternehmen zum Fliegen zu bringen. Es brauchte etwas Großes, Wildes: einen Tiger oder einen Bären. Der Tiger oder der Bär war das Pferd, dank dem der Plan-B-Steigbügel erst Sinn ergab.
Der Haken für einen Publikumsmagneten waren die Kosten. Ihm schwebte eine unkonventionelle, wegweisende Lösung vor. Warum nicht dem Fleischfresser die Überproduktion an Grasfressern verfüttern? Dieser Gedanken führte ihn zurück zu den Pinguinen: was sähe das ulkig aus, wenn der Bär oder der Tiger sie jagen dürfte… Vielleicht sollte man den Pinguinen noch eine rote Pappnase aufsetzen,