Balkany Knights. Hermann Christen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Christen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752915648
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      'Du wirst sehen', hatte es breitbeinig angekündigt, 'wenn wir zurück sind ist Gras über die Sache gewachsen, Koller damit beschäftigt, andere in die Pfanne zu hauen und du, wenn's gut läuft, bist deine Wutattacken los.'

      'Meinst du?'

      'Habe ich je gelogen?'

      Nein, hatte es nicht. Merlin unterstellte ihm gar krankhafte Wahrheitsliebe im Endstadium. Nur manchmal, so hatte es mal erklärt, wich es in Notfällen auf eine stimmigere Realität aus und bisweilen spielte ihm sein Gedächtnis übel mit. Genau genommen war das dann keine Lüge, sondern ein analoger Bug.

      Er streckte vorsichtig die Beine durch und verlagerte das Gewicht von der eingeschlafenen Pohälfte auf die andere.

      Er blickte durch die kleine Sichtluke in der Seitenwand. Wiesen, Wald, noch mehr Wiesen, Industriezonen, schon wieder Wiesen und ab und an kleine Ortschaften, wo der Zug jedes Mal stoppte. Wie sein eigenes Leben kam auch dieser Zug nicht richtig voran. 'Der Lokführer hat eine schwache Blase. Oder beugte Thrombose vor', verscheuchte er die trüben Gedanken.

      Thrombose! Wenn er noch lange sitzen blieb, würde es ihn auch erwischen. Was wäre, wenn beide Pohälften taub waren? Was, wenn er deswegen ins Koma fiele? Eichhörnchen traute er nicht zu, ihn zu reanimieren. Und wie war das mit dem Stuhlgang? Ob Inkontinenz bei Bären heilbar war? Ein bisschen aufstehen, die Beine schütteln ein paar Schritte im Wagon wären die Rettung für seinen Schließmuskel.

      Raus durfte er ja nicht. Ammans Freund von der Bahn hatte dieses strikt verboten. Wegen dem Fahrplan, der durcheinanderkäme, wenn man ihn entdeckte und Nachforschungen anstellte, behauptete er. Gemäß Frachtpapieren war er als experimenteller Feinstaubfänger für Innenstädte deklariert. Experimentelle Feinstaubfänger vertraten sich nicht die Beine, das war ihm klar.

      Vor der Luke ragten jetzt steile, dicht bewaldete Felswände auf. Er kannte diese Gegend von der Herreise. Seltsame Leute lebten hier. Bliesen in hohle, krumme Bäume und nannten es Musik. Verglichen mit Flötisten waren die Krummbaumbläser totale Versager. Ihre Melodien enthielten schräg klingende Querschläger, Vorreiter der atonalen Musik. Vielleicht hielten sich die Einheimischen damit die Touristen vom Leib.

      Eichhörnchen regte und streckte sich: "Wo sind wir?"

      "Im Zug."

      Eichhörnchen kletterte zur Luke hoch und schaute hinaus. "Uri – vermutlich. Oder sind wir schon durch den Tunnel durch?"

      "Weiß nicht." Er langte nach dem Rucksack. "Auf jeden Fall Zeit fürs Frühstück." Er stand auf und schüttelte die Beine. Gerade noch rechtzeitig, um die Steuerhoheit über den Stoffwechsel zu behalten, dachte er erleichtert.

      "Haselnussriegel? Ist antiallergen steht drauf."

      "Nein danke. Aber den Reiseführer."

      Buddlibär klaubte das Buch hervor und fischte Brot und Wurst heraus. Eichhörnchen blätterte eifrig.

      "Waf gipf fo ichtiges?"

      "Schluck, bevor du sprichst", schnappte es angewidert.

      Buddlibär schluckte: "Ich hab damals die ganze Strecke ohne Reiseführer geschafft."

      "Und darum hast du auch nicht bemerkt, was an Bemerkenswerten um dich vorgeht", belehrte Eichhörnchen, "oder hast du etwa gewusst, dass die hier ganz spezielle Musikinstrumente haben – Alphörner."

      "Logo. Ich nenn sie Krummbaumflöten", er schob einen weiteren Brocken in den Mund, "damit holen sie Lawinen runter, glaube ich. Darum hat's kaum Leute in der Gegend...", er stockte, "steht da auch was von Leuten, die in Ameisenhaufen hocken und vom Wetter schwafeln?"

      Eichhörnchen blätterte hastig und schüttelte den Kopf. "Warum sollten sich Leute in Ameisenhaufen setzen?"

      Buddlibär zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung."

      "Du nimmst mich auf den Arm."

      "Der war nicht richtig im Kopf, genau wie die Nacktwanderer", er schüttelte den Kopf, "wirklich komische Gegend. Ameisenhaufensitzer, Nacktwanderer, Lawinenbläser. So was findet man nicht überall."

      "Was jetzt?", reklamierte Eichhörnchen, als es plötzlich dunkel wurde.

      "Wahrscheinlich deine Tunnels."

      "Dann haben wir bereits die Hälfte. Drüben treffen wir Paul."

      Paul, die waldeigene Brieftaube, war eines Tages aufgetaucht und geblieben. Eichhörnchen vermutete, dass er aus Brieftauben-Restbeständen der Schweizer Armee stammte, welche, nachdem sie festgestellt hatte, dass Kommunikation auch elektronisch geht, Paul und seine Kumpane verhökerte. Pauls Aufgabe war, die Verbindung zwischen den Reisenden und den Waldleuten zu halten.

      So plötzlich wie es dunkel geworden war, so plötzlich wurde es wieder hell. Dann kreischten die Bremsen des Zuges und er kam ruckelnd zum Stehen.

      "Der Lokführer muss schon wieder", kommentierte Buddlibär und legte sich hin. Eichhörnchen kletterte zur Luke hoch.

      "Blasenschwäche oder Thrombose", erklärte Buddlibär, "der sollte es mal mit Homöopathie versuchen."

      "Da kommt wer", rief Eichhörnchen, "läuft über die Gleise direkt auf unseren Wagen zu."

      Jemand schob die Schiebetür zur Seite. Ein dunkelhaariger Mann stieg eilig in den Wagen und zog die Schiebetür zurück ins Schloss. Er trug eine dicke Jacke, einen rotweißen Schal und einen prall gefüllten Rucksack. Die Enden des Schals zierte ein 'C', welches einen Fußball umfasste. Er trat an die Luke und blickte sich verstohlen nach allen Seiten um. Er seufzte, zog den Rucksack von den Schultern und hockte sich nieder.

      "Hallo", brummte Buddlibär.

      Der Mann schoss auf und starrte erschrocken. Dann lösten sich seine Gesichtszüge und er strahlte. "Mischka – Mischkitin!" Er ging zu Buddlibär, kniete sich hin und umarmte ihn. "Mischka – kleines, braves Mischka. Ich hab wissen du nicht tot."

      Der Mann rollte das 'ch' ganz hinten in der Kehle, so, als ob er gleich schleimig ausspucken wollte. Buddlibär schob ihn weg. "Ich bin nicht Mischka!"

      Der Mann wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln: "Stimmt – du nicht Mischka. Aber sehen aus wie Mischka. Mischka – armer Mischka. Tot."

      "Wer ist Mischka?", mischte sich Eichhörnchen ein.

      Der Mann drehte sich um: "Ah, du nicht allein. Gruß dich, Kleintier. Ich Vladimir. Große Fan von Spartak Moskau, bester Fußballklub wo's je hat's gibst. Ihr auch Milano? Fußball gucken?"

      Eichhörnchen schüttelte den Kopf: "Warum sollten wir in Milano Fußball gucken? Fußball ist wie schlechtes Laientheater. Hinterste Provinz da wo die Rollen von den Eltern auf den untalentierten Nachwuchs vererbt werden…"

      "Ich verstehn nix."

      "Ich mein die Kerle, die wild gestikulieren, sich die Haare raufen und 'Mamma mia – Mamma mia' oder 'Gott im Himmel' rufen. Warum lassen sie Mamma oder Gott nicht gleich selber spielen oder fesseln den Spielverderber, der den Ball immer mit den Händen festhält, an den Pfosten? Fußball ist blöde. Nur Buddlibär weiß, wie man richtig mit Fußbällen umgeht."

      "Das ist wahr", bestätigte Buddlibär.

      "Du nicht richtig in Kopf. Fußball ist wichtigst Sach von Welt. Und Spartak Moskau ist wichtigst Klub von Welt. Heute Abend spielen in Mailand und Vladimir schreien laut 'mach Goal – Spartak'. Ich großer Fan von Spartak."

      "Das wissen wir bereits", winkte Eichhörnchen ab, "aber wer ist Mischka?"

      "Mischka Maskottchen von Spartak. Hat sehr gelitten, wenn verloren. Hat sich getröstet mit Wässerchen, Wodka. Vor zwei Jahr Spartak gespielt sehr, sehr schlecht. Verloren oft. Da Mischka tot gesoffen…"

      "Ihr habt einen Bären als Maskottchen?", unterbrach Buddlibär ungläubig.

      "Ersatzmaskottchen", korrigierte Vladimir, "echte Spartak Maskottchen ist römisch Legionär. Aber ist eingetreten in Gewerkschaft und hat verlangt mehr Geld und weniger Arbeit.