Die Endzeitpropheten. Hermann Christen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Christen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742730626
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      "Der hier auch", fragte Steve desinteressiert und deutete auf ein Oval, welches rot eingekringelt war und einen grobschlächtig hingeworfenen Totenkopf unter einem Namen zeigte. Er beugte sich näher, um den Namen zu entziffern: "dieser Henry Wallich. Aber den haben sie, wenn ich mich richtig erinnere, noch nie erwähnt."

      "Zu Recht", schnaubte Becker, "Wallich war ein Antiprophet. Ein reizbarer Charakter, der aus niederen, eigennützigen Beweggründen zum Lügen neigte und das verschollene Evangelium als 'unverantwortbaren Unfug' bezeichnete. Ein übles Geschöpf, das der neoliberalen Idee huldigte. Dumm wie Stroh. Der und seine Mitstreiter", Becker spuckte das letzte Wort verächtlich heraus, "waren sicherlich nicht die Vorlage, als die Evolution die Intelligenz erfand."

      Becker hielt inne und strich sich über den Bart: "Aber das ist jetzt irrelevant. Wallich und seine buckligen Dämonen wurden durch die Große Säuberung, die sie entfachten, widerlegt und hinweggefegt."

      Er schnaubte: "Um es kurz zu machen, Globe: ich habe den Beweis, dass das verschollene Evangelium existiert."

      Er strahlte, doch rutschten seine Mundwinkel nach unten als er sah, dass sein Assistent seine Ekstase nicht teilte. Er nahm seine Runden geräuschvoll saugend wieder auf.

      "Ist das nicht aufregend? Was würden sie an meiner Stelle jetzt unternehmen?"

      "Äh, nachprüfen?"

      Nachprüfen war die klassische Aktion, wenn man nicht weiterwusste. Nachprüfen verschafft die Zeit, um jemanden eine fixe Idee auszureden. Nachprüfen war die Hürde, über welche viele nicht springen mochten und Pläne aufgaben. Steve war sicher, dass der Professor nur ein paar Tage Zeit brauchte, um dem Unsinn, welchem er auf die Schliche gekommen zu sein glaubte, selbst den Todesstoß zu versetzen.

      Er blickte sich um. Auf dem Feldbett im Büro, das Becker oft benutzte, lag eine zerknüllte Decke und Steve schätzte, dass Becker seit Tagen nicht aus diesem Raum herausgekommen war und außer ein paar Snacks aus dem Automaten draußen im Gang, nichts gegessen hatte. Das war auch eine logische Erklärung für das eigenwillige Odeur im Raum.

      'Ein paar Tage Bedenkzeit und eine Dusche' ergänzte Steve im Gedanken.

      "Sie treffen den Nagel auf den Kopf", lobte Becker, "nachprüfen. Wir müssen nachprüfen. Sie und ich, wir werden nachprüfen gehen. Vor Ort werden wir Klarheit finden."

      Er kratzte mit dem Stiel der Pfeife an seinem Hinterkopf.

      "Gut ist unterrichtsfreie Zeit", sprach Becker weiter, "so können wir ohne Probleme den Trip machen. Sie und ich. Wir werden das verschollene Evangelium finden."

      Becker steckte die e-Pipe in die Brusttasche seiner Arbeitsjacke.

      "Die Hinweise sah ich schon seit Jahren. Das haben sie in meiner Grafik ja auch gesehen", fuhr er fort, "aber ich muss gestehen, dass ich manchmal befürchtete, dass das Evangelium nicht nur verschollen, sondern verloren ist."

      Wieder hielt er inne, klopfte die Jackentaschen ab, fand die Pfeife und steckte sie in den Mund zurück.

      "Manchmal verzweifelte ich beinahe, weil es außer den überlieferten Zitaten der Endzeitpropheten keine Hinweise auf das verschollene Evangelium gab. Doch die Zweifel sind pulverisiert, weil ich den Beweis gefunden habe. Der größte der Endzeitpropheten hat sie mir sozusagen persönlich präsentiert."

      "Aha…?"

      Becker blitzte ihn an: "Mensch, Globe. Wo haben sie ihren Kopf. Al Gore. Sie erinnern sich, nicht?"

      Steve erinnerte sich und nickte. Al Gore war unter den vielen Endzeitpropheten, die Becker verehrte, einer aus der zweiten Reihe. Steve erinnerte sich vage, dass Al Gore derjenige war, der auf ein wichtiges Amt verzichtet hatte, um den Menschen die Apokalypse vor Augen zu führen. Doch auch er blieb ungehört, obwohl er die Polkappen abschmelzen ließ. Das mit den Polkappen stufte Steve als Märchen ein, mit dem Becker Gore etwas aufpeppen wollte.

      Doch jetzt hatte Al Gore offensichtlich in Beckers Endzeitprophetenranking Boden gut gemacht, Meadows von der Topposition verdrängt und von Däniken, den Becker in letzter Zeit auch öfter erwähnte, überrundet. Der von Däniken, der Außerirdische kontaktierte aber von ihnen nur die kalte Schulter gezeigt bekam. Wahrscheinlich, so mutmaßte Steve, wussten die Außerirdischen, dass von Däniken ein nikotinabhängiger Junkie war.

      Steve meinte, dass ein Endzeitprophetenranking ohnehin wenig Sinn machte, da sie und ihre Lehren während der Säuberung atomisiert wurden. Übrig blieben nur historische Krümel, denen der beißende Geruch des Weltenfeuers anhaftete. Becker verschleuderte sein Leben damit, diese einzusammeln und in einen Zusammenhang zu stellen. Diese Anstrengung war so sinnlos, wie aus nur zwölf Teilen eines 3000 teiligen Puzzles das Gesamtbild rekonstruieren zu wollen.

      "Al arbeitete mit den Anti-Wachstums-Propheten zusammen", schwärmte Becker begeistert, "ich bin aber erst vor Kurzem darauf gestoßen, dass die mächtige Volkswagen-Stiftung ebenfalls mit von der Partie war, als die Erkenntnisse im Buch 'vom Ende des Wachstums' formuliert wurden."

      Becker blickte Steve mit fanatisch blitzenden Augen an: "Als ob jemand ein verstaubtes Wegschild sauber gewischt hat. Ich weiß, wo wir zu suchen haben!"

      "Das verschollene Evangelium?"

      "Globe! Haben sie während unserer Arbeit geschlafen?"

      "Das Wachstums-Dings, davon haben sie was erwähnt, aber von diesem verschollenen Evangelium höre ich heute zum ersten Mal", warf Steve schnell ein, bevor Becker die gestellte Frage vertiefen konnte.

      Becker winkte ab: "Das ist ein und dasselbe. Meine Glaubensgemeinschaft nennt es das verschollene Evangelium, weil wir nicht sicher sind – sicher waren, ob es nicht nur eine Parabel ist."

      "Aha. Und jetzt haben sie den Beweis, dass es existiert?"

      "Ja", rief Becker und eilte zur Projektionswand, "ich zeige es ihnen."

      Er fummelte fahrig am Schaltpanel bis ein Bild aufleuchtete.

      "Sehen sie, das ist Al Gore. Und sehen sie, was er da in der Hand hält?", er tippte mit dem Zeigefinger auf Als Hand, "das verschollene Evangelium!"

      "Aha. Sie haben es also gefunden. Gut."

      Becker ließ sich von der desinteressierten Haltung seines Assistenten nicht beeinflussen: "Die wahren Katholiken vermuten seit Generationen, dass es existiert. Doch alle Suchexpeditionen blieben erfolglos."

      "Ah! Darum wohl 'verschollen'".

      "Scharfsinnig", entgegnete Becker mit bösem Blick, "es geht so weit, dass jene, welche nicht tief im Glauben verankert sind oder eigene Ziele verfolgen, behaupten, dass es nur eine Legende sei. Mein lieber Globe, sie sind gerade Teil einer historischen Entdeckung."

      Becker ließ Steve Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Nach einigen Augenblicken winkte er ungeduldig ab und fuhr fort: "Sehen sie, wo das Bild gemacht wurde? Das war während einer Konferenz in den Räumlichkeiten des Club of Rome. Die Wachstumspropheten, die WAREN der Club of Rome! Mit den Meadows als Anführer."

      Becker tippte sich mit der flachen Hand auf die Stirn: "Aber diesen Zusammenhang habe ich erst vor einigen Tagen erkannt, obwohl ich das, wie ich schon vorher erwähnte, aus dem VD hätte herauslesen können."

      'Du hättest Kaffeesatzlesen anwenden müssen', dachte Steve belustigt, 'um schneller zum Resultat zu kommen.'

      Becker kratzte sich am Kinn: "Vielleicht muss ich die Gewichtung in der Matrix überarbeiten, damit das richtige Resultat herauskommt."

      Steve wusste von früheren Workshops, dass 'Gewichtung überarbeiten' bedeutete, Fehlschlüsse so zu manipulieren, um sie mit zufällig erlangten Fakten in Übereinstimmung zu bringen.

      "Und jetzt?"

      Becker trat dicht vor Steve heran und blickte direkt in seine Augen: "Ich weiß, wo das Bild aufgenommen wurde. Ganz in der Nähe, wo einst auch meine Kirche ihren Hauptsitz hatte. Genau da müssen wir nachsehen."

      "Gratuliere, Herr Professor. Und ich soll ihnen bei der Recherche behilflich sein, nehme ich an."

      Becker