München, der Strand, das Hotel, nun der Grill und immer diese hohen Schuhe – Tom redete tatsächlich die ganze Zeit von derselben Frau und dachte, es wären mittlerweile vier!
Steven lachte laut los.
„Eigentlich hättest du ja verdient, dass ich dir gar nicht erzähle, was ich vermute. Es geschieht dir nämlich ganz recht, du Weiberheld, wenn du weiter dumm herumlaufen müsstest und denken würdest, du ständest auf vier Frauen gleichzeitig. Aber ich will mal nicht so sein, also hör’ zu …“
Zum zweiten Mal an diesem Tag schaute Jennifer entgeistert in den Spiegel.
Sie war rußschwarz im Gesicht wie ein Schornsteinfeger. Seltsamerweise waren die Haare und die Kleidung sauber geblieben. Da hatte sie noch einmal Glück im Unglück gehabt.
Sie wusch sich den Staub aus dem Gesicht und probierte ein wenig mit Julias Make-up herum, als Julia auch schon nach ihrer Freundin sah.
Wer weiß, was ihr sonst wieder zustoßen würde?
Julia schmunzelte bei dem Gedanken.
Jennifer war einer der liebenswertesten Menschen, die sie kannte, aber wenn es darum ging, mit beiden Beinen in ein Fettnäpfchen zu springen, stand Jenny garantiert in der ersten Reihe ganz vorn.
Während Jennifer im Badezimmer war, hatte Julia sich einige Gedanken über Jennifers seltsame Begegnungen mit diesen ominösen Männern gemacht.
Die ziemlich genaue Beschreibung des Mannes aus ihrem Traum hatte bei Julia schließlich alle Alarmglocken schrillen lassen, denn ganz offensichtlich existierte der Mann aus Jens Traum leibhaftig und ging bei ihnen im Haus regelmäßig ein und aus.
Doch wenn sie Jennifer nun davon erzählen würde, wie würde sie reagieren? Sie kannte Jennifers Drang immer allen zu gefallen, es würde sie vermutlich vollkommen verschrecken.
Julia hatte eine bessere Idee.
„Du Jen, sieh’ mal, was ich gefunden habe!“
Sie hielt Jennifer eine Packung Tageslinsen unter die Nase. „Die hast du bei deinem letzten Besuch bei uns vergessen.“
„Du bist meine Rettung“, jubelte Jennifer, „ich dachte schon, ich müsste mir hier welche besorgen, denn ohne Brille gerate ich irgendwie immer in dumme Situationen und die Brille kann ich einfach nicht tragen. Ich komme mir damit vor wie eine alte Jungfer.“ Dankbar nahm sie die Packung entgegen.
„Ach Julia, wer war denn eigentlich dieser Idiot, der gegen den Grill geschossen hat? Mit dem würde ich gerne mal ein ernstes Wörtchen reden.“
Das möchtest du nicht wirklich wissen, dachte Julia.
Laut sagte sie jedoch: „Jenny, lass mal gut sein, es war bestimmt keine böse Absicht von ihm.“
„Na gut, aber warte, bis ich es selbst rausfinde!“, drohte Jennifer lachend.
Auf diese Entdeckung war Julia auch schon gespannt und brannte darauf, endlich mit Steven reden zu können, denn sie war ziemlich sicher, dass dieser inzwischen auch schon eins und eins zusammengezählt hatte. Offenbar waren hier zwei Menschen so voneinander fasziniert, dass es beide ziemlich blind für das Offensichtliche machte.
„Geh ruhig schon zu deinen Gästen zurück“, schlug Jennifer vor, die Julia ansah, das dieser etwas unter den Nägeln brannte, was sie erledigen wollte, denn Julia tippelte unruhig mit den Füßen.
„Ich setze mir nur schnell noch die Linsen ein, damit ich endlich wieder klar sehen kann.“
Julia konnte gerade noch fluchtartig das Bad verlassen, bevor sie von einem Lachanfall geschüttelt, zu ihrem zukünftigen Mann rannte.
13. Kapitel
Wie klar Jennifer sehen konnte, verblüffte sie einige Minuten später selbst am meisten.
Sie hatte die Linsen eingesetzt und blinzelte einige Male, um die Tränenflüssigkeit zu verteilen. Dann spähte sie neugierig aus dem Fenster, um zu testen, wie gut sie mit den Kontaktlinsen nun wieder sehen konnte.
Was sie sah, ließ ihr den Atem stocken.
Da war er schon wieder!
Sie erkannte ihn dieses Mal sofort, denn er stand nur mit den Fußballshorts bekleidet am Poolrand und machte Anstalten hineinzuspringen.
Sein durchtrainierter Körper wirkte kraftvoll und athletisch während er absprang und ins glitzernde Wasser tauchte.
Jennifer trat zurück und sank stöhnend auf den Rand der Badewanne.
Wurde sie jetzt vollkommen verrückt? Litt sie an Wahnvorstellungen?
Schnell sprang sie auf, um noch einmal aus dem Fenster zu sehen. Er war nicht mehr dort.
Langsam begann Jennifer an ihrem Verstand zu zweifeln.
Da tobte in Julias Garten eine ganze Horde gut aussehender, junger Männer herum und was tat sie? Sie bildete sich schon wieder ein, diesen Typ aus ihrem Traum gesehen zu haben, und das auch schon wieder halb nackt. Und warum träumte sie von einem Mann mit Tattoos, wo sie normalerweise gar nicht auf solche Typen stand? Je länger sie über diesen Mann nachdachte, umso heftiger begann ihr Herz zu klopfen.
Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, schien es, als hätte ihr Unterbewusstsein genau den Typ Mann in ihren Träumen entstehen lassen, der ihre tief vergrabenen erotischen Fantasien mehr als erweckt hatte und so gar nicht in das Schema passen wollte, nach dem sie normalerweise ihre Freunde aussuchte: nette, glatte und langweilige Männer, die Jennifers Vermögen oft interessanter fanden als sie selbst.
Reiß dich zusammen und geh endlich wieder zu den anderen. Du kannst doch nicht den ganzen Abend hier auf dem Badewannenrand hocken und glauben, du hast einen Knall, sagte sie zu sich selbst und stand entschlossen auf und verließ das Badezimmer.
Auf der Suche nach dem Ausgang irrte Jennifer nun schon zum dritten Malƒ durch die untere Etage des Hauses.
Wie immer hatte sie sich in den vielen Gängen und Nischen der Strandvilla vollkommen verlaufen, war an der Kellertür gelandet, in der Vorratskammer und wusste nun auch, wo Juanita ihr Bügelzimmer hatte.
Aber die Terrassentür schien immer in noch weitere Ferne gerückt zu sein.
Aus einem der Zimmer klang ein Geräusch. Vielleicht waren das Juanita oder Julia, die ihr den Weg aus diesem Labyrinth zeigen konnten, hoffte Jennifer.
Zielstrebig folgte sie dem Geräusch und öffnete die Tür des Raumes einen Spalt breit und spähte vorsichtig hinein.
Sie spürte, wie ihr Mund trocken wurde.
In einem der Gästezimmer stand ein Mann splitternackt und rubbelte sich mit einem dicken Handtuch ab und summte dabei leise eine Melodie. Der Fremde hatte eine äußerst männliche Ausstrahlung und sinnliche Intensität, dass es ihr den Atem nahm.
Sie war mehr als verwirrt.
Er bewegte sich langsam und lässig und wirkte dabei seltsam verlockend auf sie.
Ihr wurde heiß. Sie schnaufte leise und versuchte, Luft zu holen. Das Geräusch musste sie jedoch verraten haben, denn plötzlich drehte er sich aufreizend langsam zu ihr um und sah sie an.
Das war zu viel für Jennifer. Vor ihren Augen begann es zu flackern und in ihrem Kopf drehte es sich immer schneller: grüne Augen, Schlangen, die Lobby, der Hund am Strand – alles raste in Hochgeschwindigkeit an ihr vorbei.
Sie wurde kreideweiß und rutschte mit dem Rücken am Türrahmen ganz langsam auf den Boden.
Sie rieb sich die Augen und schaute ungläubig noch einmal hin. Doch dieses Mal stand er immer noch dort, inzwischen ein Handtuch um die Hüften geschlungen und sah sie vollkommen ungeniert an.
Jennifer saß immer noch unbeweglich im Türrahmen und wünschte, sie wäre unsichtbar.