»Ich kann das Geld gebrauchen: ich heirate im Herbst«, fügte Sudbinski hinzu.
»Was du sagst! Wirklich? Wen denn?« fragte Oblomow teilnehmend.
»Ohne Scherz, Fräulein Muraschina. Erinnerst du dich, sie wohnten in der Sommerfrische neben mir. Du hast einmal bei mir Tee getrunken und sie dabei gesehen, glaube ich.«
»Nein, ich erinnere mich nicht. Ist sie hübsch?« fragte Oblomow.
»Ja, sie ist sehr nett. Wenn du willst, können wir einmal bei ihnen zu Mittag essen . . .«
Oblomow fing an zu stottern: »Ja . . . schön, nur . . .«
»In der nächsten Woche«, sagte Sudbinski.
»Ja, ja, in der nächsten Woche«, stimmte ihm Oblomow erfreut bei. »Mein Anzug ist noch nicht fertig. Nun, und ist es eine gute Partie?«
»Ja, der Vater ist Wirklicher Staatsrat; er gibt ihr zehntausend Rubel Mitgift, und wir wohnen mit in seiner Dienstwohnung. Er hat eine ganze Hälfte seiner Dienstwohnung für uns bestimmt, zwölf Zimmer; fiskalische Möbel, desgleichen Heizung und Beleuchtung; damit kann man schon leben . . .«
»Ja, das kann man! Und ob! Du bist ein famoser Kerl, Sudbinski!« fügte Oblomow nicht ohne Neid hinzu.
»Ich lade dich zu meiner Hochzeit als meinen Marschall ein, Ilja Iljitsch; vergiß es nicht . . .«
»Wie werde ich; ich werde bestimmt kommen!« sagte Oblomow. »Nun, aber was machen Kusnezow, Wasiljew und Machow?«
»Kusnezow ist schon lange verheiratet; Machow ist in meine frühere Stelle eingerückt, und Wasiljew ist nach Polen versetzt worden. Iwan Petrowitsch hat den Wladimirorden erhalten, und Oleschkin ist Exzellenz geworden.«
»Er ist ein guter Kerl!« sagte Oblomow.
»Das ist er, das ist er; er verdient es.«
»Ein sehr guter Mensch, mit einem weichen, ruhigen Charakter«, sagte Oblomow.
»Und so gefällig«, fügte Sudbinski hinzu. »Und weißt du, es liegt ihm fern, sich durch Kriecherei heraufzuarbeiten, einem andern zu schaden, ihm ein Bein zu stellen, ihm den Rang abzulaufen . . . was er nur kann, tut er einem zuliebe.«
»Ein vortrefflicher Mensch! Hatte man manchmal in einem Schriftstück Konfusion gemacht, etwas übersehen, in einem Berichte eine falsche Meinung vertreten oder ein unrichtiges Gesetz herangezogen, so machte das nichts aus: er ließ es einfach von einem andern in Ordnung bringen. Ein vortrefflicher Mensch!« schloß Oblomow.
»Unser Semjon Semjonowitsch dagegen ist unverbesserlich«, sagte Sudbinski; »der versteht weiter nichts, als den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Hör' nur, was er neulich getan hat: aus den Gouvernements war eine Eingabe eingegangen, es möchten bei den zu unserem Ressort gehörigen Gebäuden Hundehütten gebaut werden zum Schutze des fiskalischen Eigentums gegen Diebstahl; unser Architekt, ein tüchtiger, kenntnisreicher, ehrenhafter Mensch, stellt einen sehr maßvollen Kostenanschlag auf; unserm Semjon Semjonowitsch erscheint der Kostenanschlag auf einmal zu hoch; flugs stellt er Erhebungen darüber an, was die Erbauung einer Hundehütte kosten könne. Er bekommt dreißig Kopeken weniger heraus und reicht sofort ein Memorandum ein . . .«
Die Klingel ertönte von neuem.
»Adieu«, sagte der Beamte. »Ich bin zu sehr ins Plaudern gekommen; man wird mich dort schon nötig haben . . .«
Oblomow suchte ihn zurückzuhalten. »Bleib' doch noch ein Weilchen sitzen«, sagte er. »Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um dich um Rat zu fragen: ich habe in zwiefacher Hinsicht Unglück . . .«
»Nein, nein, ich will lieber in den nächsten Tagen wieder herankommen«, erwiderte er und ging fort.
»Er ist im Morast versunken, der liebe Freund, bis über die Ohren im Morast versunken«, dachte Oblomow, während er ihm nachsah. »Für alles Übrige in der Welt ist er blind und taub und stumm. Aber er wird sich in die Höhe arbeiten, mit der Zeit in seinem Ressort eine einflußreiche Persönlichkeit werden, zu Ehren und Würden gelangen . . . Das nennt man bei uns Karriere! Und wie wenig von dem gesamten Menschen ist dazu nötig? Wozu braucht man dabei Verstand, Willen und Gefühl? Das ist Luxus! Er wird sein Leben hinbringen, und vieles, vieles wird in ihm gar nicht rege geworden sein . . . Und dabei arbeitet er von zwölf bis fünf in der Kanzlei und von acht bis zwölf zu Hause – der Unglückliche!«
Er empfand ein Gefühl friedlicher Freude bei dem Gedanken, daß er die Zeit von neun bis drei und von acht bis neun bei sich auf dem Sofa zubringen könne, und war stolz darauf, daß er nicht mit Berichten zu einem Vorgesetzten zu gehen und keine Akten zu schreiben brauchte, sondern seinen Gefühlen und seiner Phantasie freien Lauf lassen konnte.
So philosophierte Oblomow und bemerkte gar nicht, daß neben seinem Bette ein sehr magerer schwarzhaariger Herr stand, dessen Gesicht von einem Backenbarte, einem Schnurrbart und einer Fliege vollständig zugewachsen war. Er war mit beabsichtigter Nachlässigkeit gekleidet.
»Guten Tag, Ilja Iljitsch.«
»Guten Tag, Penkin; kommen Sie nicht so nah heran, nicht so nah heran; Sie kommen aus der Kälte!« sagte Oblomow.
»Ach, Sie wunderlicher Kauz!« erwiderte dieser. »Immer noch derselbe unverbesserliche sorglose Faulenzer!«
»Jawohl, sorglos!« versetzte Oblomow. »Ich werde Ihnen gleich einen Brief meines Dorfschulzen zeigen; ich zerbreche mir hier unaufhörlich den Kopf, und Sie sagen: ›sorglos‹! Wo kommen Sie denn her?«
»Aus der Buchhandlung. Ich war hingegangen, um mich zu erkundigen, ob die Zeitschriften noch nicht erschienen seien. Haben Sie meinen Artikel gelesen?«
»Nein.«
»Ich werde ihn Ihnen zuschicken; lesen Sie ihn mal!«
»Worüber handelt er denn?« fragte Oblomow und gähnte dabei gewaltig.
»Über den Handel, über die Frauenemanzipation, über die schönen Apriltage, die uns beschieden waren, und über eine neuerfundene Mischung zur Unterdrückung von Feuersbrünsten. Wie kommt es nur, daß Sie gar nichts lesen? Darin besteht ja Tag für Tag unser Leben. Am meisten aber trete ich für die reale Richtung in der Literatur ein.«
»Haben Sie viel zu tun?«
»O ja, ziemlich viel. Ich schreibe wöchentlich zwei Artikel für eine Zeitung, ferner Rezensionen belletristischer Erscheinungen, und hier, sehen Sie, habe ich eine Erzählung verfaßt.«
»Worüber?«
»Darüber, wie in einer Stadt der Polizeimeister die Kleinbürger in die Fresse schlägt . . .«
»Ja, das ist wirklich eine realistische Richtung«, sagte Oblomow.
»Nicht wahr?« stimmte ihm der erfreute Schriftsteller bei. »Ich führe da einen bestimmten Gedanken aus und weiß, daß er neu und kühn ist. Ein Durchreisender wird Zeuge einer solchen Mißhandlung und führt, als er später mit dem Gouverneur zusammenkommt, bei diesem Klage darüber. Dieser befiehlt einem Beamten, der zum Zwecke irgendwelcher Untersuchungen dorthin reist, bei der Gelegenheit auch festzustellen, was daran Wahres sei, und überhaupt Nachrichtenmaterial über die Persönlichkeit und das Benehmen des Polizeimeisters zu sammeln. Der Beamte ruft die Kleinbürger zusammen, als ob er sie über die Handelsverhältnisse des Ortes befragen wollte, erkundigt sich aber dabei auch nach diesem Punkte. Und was tun die Kleinbürger? Sie verbeugen sich lachend und erheben den Polizeimeister mit Lobsprüchen in den Himmel. Der Beamte stellt an anderer Stelle Nachforschungen an, und da wird ihm gesagt, diese Kleinbürger seien schändliche Gauner, sie handelten mit Schundware, betrögen mit falschem Gewichte und Maße, sogar den Staat, und seien sämtlich eine unmoralische Bande, so daß diese Schläge für sie eine gerechte Strafe seien . . .
»Also haben die Schläge, die ihnen der Polizeimeister verabfolgt, in der Novelle ungefähr dieselbe Bedeutung wie das Fatum in der antiken Tragödie?« sagte Oblomow.