»Er reitet einen Fuchs«, fuhr Wolkow fort. »In seinem Regimente haben sie sämtlich Füchse; ich aber habe einen Rappen. Wie werden Sie denn hinkommen: zu Fuß oder im Wagen?«
»Gar nicht«, erwiderte Oblomow.
»Wie kann jemand am ersten Mai nicht in Jekateringof sein! Was reden Sie, Ilja Iljitsch!« rief Wolkow erstaunt. »Es sind alle da!«
»Na, wie werden denn alle da sein! Nein, alle denn doch nicht!« bemerkte Oblomow träge.
»Kommen Sie mit, teuerster Ilja Iljitsch! Sofia Nikolajewna und Lidija werden im Wagen nur zu zweien sein; gegenüber ist im Wagen noch ein Bänkchen; da könnten Sie mitfahren . . .«
»Nein, auf dem Bänkchen habe ich nicht Platz. Und was sollte ich da auch machen?«
»Nun, dann wird Ihnen Mischa, wenn Sie wollen, ein anderes Pferd geben.«
»Gott weiß, was der für Einfälle hat!« sagte Oblomow, beinahe nur so für sich. »Warum sind Sie denn so hinter den Gorjunows her?«
»Ach!« seufzte Wolkow errötend. »Soll ich es sagen?«
»Sagen Sie es!«
»Werden Sie es auch niemandem wiedersagen – Ehrenwort?« fuhr Wolkow fort und setzte sich zu ihm auf das Bett.
»Schön, meinetwegen.«
»Ich . . . bin in Lidija verliebt«, flüsterte er.
»Bravo! Schon lange? Ich glaube, sie ist ein allerliebstes Wesen.«
»Schon drei Wochen lang!« sagte Wolkow mit einem tiefen Seufzer. »Und Mischa ist in Daschenka verliebt.«
»In was für eine Daschenka?«
»Wo sind Sie denn her, Oblomow? Kennt der Mensch Daschenka nicht! Die ganze Stadt ist davon enthusiasmiert, wie sie tanzt! Heute will ich mit ihm ins Ballett gehen, und er wird ihr ein Bukett werfen. Ich muß ihm ein bißchen Anweisung geben: er ist noch so schüchtern, ein Neuling . . . Ach, ich muß ja noch hinfahren und Kamelien besorgen . . .«
»Wohin wollen Sie denn noch? Lassen Sie das nur, und kommen Sie zu mir zum Mittagessen; dabei könnten wir miteinander reden. Ich habe in zwiefacher Hinsicht Unglück . . .«
»Ich kann nicht; ich speise beim Fürsten Tjumenew; alle Gorjunows werden da sein, auch sie, sie . . . meine süße Lidija«, fügte er flüsternd hinzu. »Warum haben Sie sich denn von dem Fürsten zurückgezogen? Was ist das für ein lustiges Haus! Wie fein und vornehm geht es da zu! Und das Landhaus! Es versinkt ordentlich in Blumen! Jetzt ist noch eine Galerie in gotischem Stil angebaut. Im Sommer sollen da, wie man hört, Tanzvergnügungen stattfinden und lebende Bilder gestellt werden. Sie werden doch hinkommen?«
»Nein, ich glaube, ich werde nicht hinkommen.«
»Ach, was ist das für ein Haus! In diesem Winter waren Mittwochs immer mindestens fünfzig Personen da, und manchmal fanden sich gegen hundert zusammen . . .«
»Mein Gott, das muß ja höllisch langweilig gewesen sein!«
»Wie können Sie so etwas sagen? Langweilig! Je mehr Leute da sind, um so lustiger ist es. Lidija war öfters da; ich beachtete sie zuerst nicht, und plötzlich . . .
›Vergeblich müh' ich mich, sie zu vergessen,
Die Leidenschaft zu bänd'gen durch Vernunft . . .‹«
sang er und setzte sich in Gedanken auf einen Lehnstuhl; aber plötzlich sprang er wieder auf und wischte sich den Staub vom Anzug ab.
»Was liegt bei Ihnen überall für ein Staub!« sagte er.
»Daran ist immer dieser Sachar schuld!« klagte Oblomow.
»Na, es ist Zeit, daß ich gehe!« sagte Wolkow. »Ich muß das Kamelienbukett für Mischa besorgen. Au revoir.«
»Kommen Sie doch am Abend nach dem Ballett zum Tee zu mir; dann können Sie mir erzählen, was sich da zugetragen hat«, lud ihn Oblomow ein.
»Ich kann nicht; ich habe den Mussinskis mein Wort gegeben, zu ihnen zu kommen; die haben heute ihren Jour. Kommen Sie doch auch hin! Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Sie vorstellen.«
»Nein, was soll ich da machen?«
»Bei Mussinskis? Aber ich bitte Sie, da verkehrt die halbe Stadt. Wie können Sie fragen: Was soll ich da machen? Das ist ein Haus, wo über alles mögliche gesprochen wird . . .«
»Das ist ja eben das Langweilige, daß über alles mögliche gesprochen wird«, versetzte Oblomow.
»Nun, dann besuchen Sie Mesdrows«, unterbrach ihn Wolkow. »Da wird nur über einen einzigen Gegenstand gesprochen, über Kunst; da hört man weiter nichts als: Venezianische Schule, Beethoven, Bach, Leonardo da Vinci . . .«
»Immer und ewig dasselbe Thema – wie langweilig! Das müssen rechte Pedanten sein!« sagte Oblomow gähnend.
»Ihnen kann es auch niemand recht machen. Aber wieviele Familien gibt es nicht, und alle haben sie jetzt ihre Jours: bei Sawinows kann man Donnerstags dinieren. Maklaschins haben ihre Freitage, Wjasnikows ihre Sonntage, Fürst Tjumenew seine Mittwoche. Bei mir sind alle Tage besetzt!« schloß Wolkow mit strahlenden Augen.
»Und ist es Ihnen nicht unbequem, so Tag für Tag umherzurennen?«
»Unbequem? Wie kann einem das unbequem sein? Es ist höchst amüsant!« sagte er sorglos. »Am Morgen liest man ein bißchen; man muß auf allen Gebieten au courant sein, die Neuigkeiten wissen. Gott sei Dank ist meine dienstliche Tätigkeit von der Art, daß ich nicht in einem Büro zu sitzen brauche; ich sitze nur zweimal in der Woche ein bißchen beim General und speise bei ihm zu Mittag. Dann aber mach ich Visiten an Stellen, wo ich längere Zeit nicht gewesen bin; und dann . . . da tritt bald im russischen, bald im französischen Theater eine neue Schauspielerin auf. Jetzt beginnt die Opernsaison; da nehme ich ein Abonnement. Und jetzt bin ich verliebt . . . Der Sommer steht vor der Tür; die Vorgesetzten Mischas haben ihm einen Urlaub versprochen; da will ich mit ihm zur Abwechslung für einen Monat aufs Land fahren. Da kann ich auf die Jagd gehen. Ihre Nachbarn dort sind prächtige Leute; da werden bals champêtres veranstaltet. Mit Lidija werde ich im Walde spazierengehen, Kahn fahren, Blumen pflücken . . . Ach! . . .« und er drehte sich vor Freude hin und her. »Aber jetzt muß ich gehen adieu!« sagte er und versuchte vergebens, sich in dem verstaubten Spiegel von vorn und von hinten zu besehen.
»Warten Sie noch einen Augenblick«, hielt in Oblomow zurück; »ich möchte gern mit Ihnen über etwas Geschäftliches reden.«
»Pardon, ich habe keine Zeit«, versetzte Wolkow eilig; »ein andermal! – Aber wollen Sie nicht mit mir Austern essen? Dann können Sie mir ja erzählen, was Sie auf dem Herzen haben. Kommen Sie; Mischa traktiert.«
»Nein, was reden Sie da!« antwortete Oblomow.
»Na, dann adieu!«
Er ging zur Tür und kehrte wieder um.
»Haben Sie das schon gesehen?« fragte er, indem er ihm seine von dem Handschuh glatt umschlossene Hand zeigte.
»Was ist denn das?« fragte Oblomow verständnislos.
»Das sind die neuen lacets! Sehen Sie nur, wie vorzüglich so ein Ding zusammenzieht: man braucht sich nicht zwei Stunden lang mit den Knöpfen abzuquälen; man zieht an dem Schnürchen – fertig! Das ist soeben aus Paris gekommen. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen ein Paar zur Probe, ja?«
»Schön, bringen Sie mit ein Paar!« antwortete Oblomow.
»Und sehen Sie einmal dies hier an: nicht wahr, allerliebst?« sagte er, während er aus der Menge von Anhängern einen heraussuchte. »Eine kleine Visitenkarte mit umgebogener Ecke.«
»Ich kann nicht erkennen, was darauf geschrieben steht.«
»Pr., das heißt prince; M., das heißt Michel«, sagte Wolkow; »für den Familiennamen Tjumenew hat der Platz nicht