»Wieso?«
»Sie liegen ja immer noch?«
»Muß ich denn aufstehen?«
»Gewiß! Wir werden erwartet. Sie wollten doch mitkommen.«
»Wohin denn? Ich wollte nirgendhin mitkommen.«
»Aber, Ilja Iljitsch, wir haben doch diesen Augenblick davon gesprochen, daß wir zum Mittagessen zu Owtschinin gehen und dann nach Jekateringof fahren wollten . . .«
»Wie werde ich denn in dieser Nässe ausfahren! Und was werde ich dort Neues zu sehen bekommen? Es scheint regnen zu wollen; der Himmel ist so trübe«, sagte Oblomow träge.
»Es ist kein Wölkchen am Himmel; Ihre Befürchtung, es könne regnen, ist die reine Einbildung. Trübe ist es deswegen, weil bei Ihnen die Fenster seit wer weiß wie langer Zeit nicht geputzt sind. Was sitzt da für ein Schmutz darauf! Man kann ja gar nicht hindurchsehen, und das eine Rouleau ist auch fast ganz heruntergelassen.«
»Ja, sagen Sie davon mal ein Wort zu Sachar; dann schlägt er sogleich vor, es sollten Reinemachefrauen angenommen werden, und jagt mich für einen ganzen Tag aus dem Hause!«
Oblomow überließ sich seinen Gedanken; Alexejew aber trommelte mit den Fingern auf dem Tische, an dem er saß, und ließ seine Augen zerstreut an den Wänden und an der Decke umherlaufen.
»Also was wird nun aus uns? Was tun wir? Werden Sie sich anziehen oder so bleiben?« fragte er nach ein paar Minuten.
»Was ist denn los?«
»Wir wollten doch nach Jekateringof?«
»Bleiben Sie mir mit diesem Jekateringof vom Leibe!« versetzte Oblomow ärgerlich. »Können Sie denn nicht ruhig hier sitzenbleiben? Ist es etwa kalt im Zimmer, oder ist hier ein schlechter Geruch, daß Sie durchaus wegwollen?«
»Nein, ich fühle mich bei Ihnen immer wohl; ich bin völlig zufrieden«, antwortete Alexejew.
»Aber wenn Sie sich hier wohlfühlen, warum wollen Sie dann anderswohin? Bleiben Sie doch lieber den ganzen Tag über bei mir, essen Sie hier Mittagbrot, und bringen Sie dann in Gottesnamen den Abend dort zu! . . . Ja, das hatte ich ganz vergessen: ich kann ja gar nicht weg! Tarantjew kommt heute zum Mittagessen zu mir; heute ist Sonnabend.«
»Nun, wenn es so ist . . . ich fühle mich hier sehr wohl . . . wie Sie befehlen . . .« sagte Alexejew.
»Und von meinen materiellen Angelegenheiten habe ich Ihnen noch nichts gesagt?« fragte Oblomow lebhaft.
»Von was für materiellen Angelegenheiten? Daß ich nicht wüßte«, erwiderte Alexejew, ihn mit großen Augen ansehend.
»Warum ich so lange nicht aufstehe? Ich habe ja hier immerzu gelegen und darüber nachgedacht, wie ich aus dieser schwierigen Lage herauskommen könnte.«
»Was gibt es denn?« fragte Alexejew, der sich Mühe gab, ein erschrockenes Gesicht zu machen.
»Ich habe in zwiefacher Hinsicht Unglück! Ich weiß nicht, was ich anfangen soll.«
»Wieso denn?«
»Ich werde aus meiner Wohnung hinausgetrieben; stellen Sie sich das nur einmal vor: ich muß ausziehen. Dabei werden mir meine Sachen ruiniert, und was gibt es dabei für Unruhe und Arbeit! Es ist schauderhaft, daran auch nur zu denken! Acht Jahre lang habe ich ja in dieser Wohnung gewohnt. Der Hauswirt hat mir einen bösen Streich gespielt: ›Ziehen Sie aus‹, sagt er, ›ziehen Sie schleunigst aus!‹«
»Und noch dazu schleunigst! Er drängt ja sehr zur Eile; also werden Sie wohl nicht umhin können. Das ist eine sehr unangenehme Geschichte, das Umziehen; mit einem Umzuge ist immer viel Plackerei verbunden«, sagte Alexejew. »Es kommen Sachen abhanden oder werden zerbrochen. So etwas ist sehr verdrießlich! Und Sie haben eine so prächtige Wohnung . . . was bezahlen Sie denn dafür?«
»Wo werde ich eine andere derartige finden?« sagte Oblomow. »Und noch dazu in der Eile? Die Wohnung ist trocken und warm; im Hause geht es ruhig und ordentlich zu: nur ein einziges Mal bin ich bestohlen worden! Sehen Sie, die Zimmerdecke da sieht zwar defekt aus, der Putz ist ganz abgefallen; aber sie stürzt trotzdem nicht ein.«
»Nun sagen Sie um alles in der Welt!« sagte Alexejew, den Kopf hin und her wiegend.
»Wie läßt es sich nur einrichten, daß ich nicht auszuziehen brauche?« sagte Oblomow nachdenklich vor sich hin.
»Haben Sie die Wohnung auf Grund eines Kontraktes gemietet?« fragte Alexejew und musterte dabei mit den Augen das Zimmer von der Decke bis zum Fußboden.
»Ja; aber der im Kontrakt festgesetzte Termin ist schon überschritten; ich habe in der ganzen letzten Zeit monatweise bezahlt . . . ich erinnere mich nur nicht, seit wann.«
»Was beabsichtigen Sie denn nun?« fragte Alexejew nach einigem Stillschweigen. »Wollen Sie ausziehen oder hierbleiben?«
»Ich beabsichtige gar nichts«, erwiderte Oblomow; »ich mag überhaupt nicht daran denken. Mag Sachar etwas ausfindig machen!«
»Manche Leute lieben das Umziehen sogar«, sagte Alexejew, »und finden darin geradezu ein Vergnügen, als ob der Wohnungswechsel ein Genuß wäre . . .«
»Na, dann mögen diese ›manchen Leute‹ umziehen! Ich für meine Person bin ein Feind von Veränderungen. Und das ist noch das wenigste, die Geschichte mit der Wohnung«, fuhr Oblomow fort. »Aber sehen Sie mal, was mir mein Dorfschulze schreibt. Ich werde Ihnen den Brief gleich zeigen . . . wo ist er nur? Sachar, Sachar!«
»Ach, du Königin des Himmels!« rief Sachar in seinem Zimmer mit heiserer Stimme und sprang von der Ofenbank herab. »Wann wird mich Gott zu sich nehmen?«
Er kam herein und blickte seinen Herrn mit trüben Augen an.
»Warum hast du den Brief noch nicht gefunden?«
»Wie soll ich ihn denn finden? Weiß ich etwa, was für einen Brief Sie haben wollen? Ich kann nicht lesen.«
»Ganz egal, suche ihn!« sagte Oblomow.
»Sie selbst haben gestern Abend irgendeinen Brief gelesen«, erwiderte Sachar; »aber nachher habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Wo ist er denn nun?« versetzte Ilja Iljitsch ärgerlich. »Ich habe ihn doch nicht hinuntergeschluckt. Ich erinnere mich ganz genau, daß du ihn genommen und irgendwohin gelegt hast. Also sieh zu, wo er ist!«
Er schüttelte die Bettdecke: der Brief fiel aus den Falten derselben auf den Fußboden.
»Na, da haben wir es; so geben Sie mir immer die Schuld! . . .« – »Na, nun geh, geh!« schrien Oblomow und Sachar einander gleichzeitig an. Sachar ging hinaus; Oblomow aber begann den Brief vorzulesen, der mit braunem Siegellack gesiegelt und auf grauem Papier wie mit Kwaß geschrieben war. Die gewaltig großen Buchstaben zogen sich wie eine feierliche Prozession, ohne einander zu berühren, in steil abfallender Linie von der oberen Ecke zur unteren hin. Ihre Reihe wurde manchmal durch einen großen blassen Tintenklecks unterbrochen.
»Gnädiger Herr«, begann Oblomow, »Euer Wohlgeboren, unser Vater und Ernährer, Ilja Iljitsch . . .«
Hier ließ Oblomow mehrere Begrüßungsphrasen und Wünsche für sein Wohlergehen weg und fuhr aus der Mitte fort: »Ich melde Deiner herrschaftlichen Gnaden, daß auf Deinem Familiengute, Du unser Ernährer, alles in guter Ordnung ist. Seit fünf Wochen hat es nicht geregnet; wir müssen wohl den Herrgott erzürnt haben, daß er uns keinen Regen schickt. Auf eine solche Dürre können sich die ältesten Leute nicht besinnen: die Sommersaat ist wie ein Feuer verbrannt. Die Wintersaat haben an manchen Stellen die Würmer und an anderen die Frühfröste verdorben; wir haben versucht, sie zu Sommersaat umzupflügen, aber man kann nicht wissen, ob etwas Ordentliches wachsen wird. Vielleicht wird der barmherzige Gott mit Deiner herrschaftlichen Gnaden Erbarmen haben; um uns sorgen wir nicht: mögen wir immerhin verrecken. Zu Johannis sind noch drei Bauern davongegangen: Laptew, Balotschow, und für sich allein ist Waska, der Sohn des Schmiedes, davongegangen.